Reib (XIII): Auf der Kippe

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„Was sind das eigentlich für Striche da an der Tafel?“, fragt der bereits um 19:09 Uhr sichtlich mitgenommene Bauke den Barkeeper Bruno in der Dortmunder Tanken-Kneipe gegenüber vom „U“.
„Tja, das wirst Du vermutlich noch schnell genug erfahren, denke ich.“
„Ich hoffe nicht, dass Du hier die Gäste zählst. Etwas mickrig. Fänd ich schade für Dich.“ Bauke hat diesen provozierenden Blick, bei dem man das Lachen nicht so recht einordnen kann.
„Irgendwie ansteigende Tendenz“, versucht Reib deeskalierend einzuschreiten, „heiße Bräute, dafür wären die Zahlen doch in Ordnung.“ Er wirft einen Blick durch den Raum: „Bloß: Wo sind die alle gerade?“
„Wie gesagt, Burschen,“, entgegnet Bruno, „vielleicht löst ihr das Geheimnis ja von selbst.“ Er schaut zur Seite, wippt zu den Sonics, „Walking The Dog“.
„Ich guck ja schon die ganze Zeit.“
„Warum guckst Du eigentlich schon wieder, Reib? Heiße Bräute – jetzt erzähl endlich mal, wie ging die Janina-Jana-Nummer denn nun zu Ende?“
„Nummer ist gut. Naja, wie ich gerade bereits sagte, steht plötzlich Jana auf der Matte.“
„Ja, und weiter?“
„Ansgar hat ihr bereitwillig die Tür aufgemacht, dämlich gegrinst, sich selbst zum besten Theaterprogramm dieses Abends eingeladen, wenn Du so willst.“
„Und, ist sie geblieben?“
„Jana? Also, das lief ungefähr so: Als Janina, die an dem Abend auch noch dermaßen gut aussieht, so gut hatte ich sie gar nicht mehr in Erinnerung, naja, als sie den Raum betritt, sich vorstellt und eher gedankenverloren Jana fragt, ob sie zu Ansgar gehört, begreift Jana die Situation natürlich sofort. Schaut Janina an, dann mich. Und sagt: ‚Ne, aber zu ihm wohl auch nicht mehr.‘ Damit war der Abend natürlich gelaufen.“
„Oh Mann.“
Reib wischt sich mit der rechten Hand den Schaum von der Nasenspitze, nachdem er etwas zu gierig die nächste Runde Weizen eröffnet hat – und ascht sich dabei selbst auf das ausgeblichene Elliott-Smith-Shirt: „Paradoxerweise, und das versteht kein Mann, halten die Frauen fortan auch noch zusammen. Ich meine, anstatt dass Janina Janas schnippischen Kommentar als Angriff auf ihre Person sieht und sich, nur mal so als Beispiel, in meine Richtung lehnt, um ein deutliches Zeichen zu setzen.“ Einen Schluck zwischendurch.
„Nix da.“
„Und dann?“ Selbst Bruno schüttet jetzt wachsam sein Glas nach, ist drin.
„Jana. Nicht, dass sie seit nunmehr zehn Jahren dauernd behaupten würde, wir wären nicht zusammen, aber immer das Gegenteil lebt. Nein, als es dann endlich drauf ankommt und ich was gefunden habe, taucht sie wie aus dem Nichts auf. Und macht mir dann den Abend zur Hölle.“
„Schlimme Sache. Wie hat Janina denn reagiert?“ Bauke ist schon wieder beim letzten Schluck, während Bruno sofort das nächste Glas bereitstellt, die beiden haben inzwischen einen Weg gefunden.
„In etwa so“ – er versucht, Janinas beängstigend finstere Miene nachzustellen: „Ach so ist das also. Aha. Mir“, und dabei zeigt sie bohrend in meine Richtung, „mir hat er davon nichts erzählt. ‚Nene, bin in keiner Beziehung, keine Sorge‘“, war meines Wissens der genaue Wortlaut.
„Und Ansgar?“ Bauke hat sich vor lauter Spannung das neue Weizen direkt runtergekippt, das ihn langsam wanken lässt, selbst das Abstützen an der Theke kann darüber nicht hinwegtäuschen.
„Ach, der. Ist dauernd zum Kühlschrank gegangen, auch, aber nicht nur, um sein Lachen zu verbergen. Der hat das richtig genossen, sag ich euch. Ich meine, wie verhält man sich da? Zwei Frauen, die einen inzwischen auf die gleiche Art und Weise hassen. Und ein betrunkener Kiffer, der lächelnd distanziert auf die ganze Schose blickt und nur hin und wieder unter beipflichtenden Blicken der beiden Verbündeten eine seiner jahrelang antrainnierten Belehrungen einwirft. Die, wie hätte es anders sein sollen, mich natürlich noch mehr in die Scheiße reiten. Warte, eine ging so: ‚Reib, was hast Du Dir denn dabei gedacht? War Dir nicht klar, dass die Sache irgendwann auffliegt und gehörig nach hinten losgeht?‘“
Bauke geht vor Lachen der Knopf seiner Buchse auf: „Haha, Reib, das ist mal wieder so typisch. Die ganze Situation. Mann, dann auch noch Ansgar, den braucht es dann ja nun wirklich nicht. Mist, und ich war nicht dabei.“
„Hätten ja gleich die ganze Nordstadt einladen können, vielleicht hätte es wenigstens Trinkgeld gegeben.“
„Bei Dir wäre es dann vermutlich wirklich auf Trink-Geld hinausgelaufen“, wirft Bruno scharfsinnig ein.
„War die – V-Vorstellung dann z-u-u Ende oder gi-i-ng es noch wei-weiter?“ hickst Bauke, der allein für diese Frage fünf Sekunden braucht.
„Also erstmal bin ich dann auch zum Kühlschrank. Nutzt ja nichts. Irgendwie klarkommen, die Situation beobachten: Was passiert, wenn man die beiden Frauen alleine lässt? Bricht der Verbund etwa in dem Moment, in dem der gemeinsame Feind den Raum verlässt? Oder … Kannst Du mir noch folgen Bauke?“
„K.-kklaaar doooch. Voll lo—hicks- gisch.“
„Voll, ja. Jedenfalls habe ich mir die Situation ne Weile angesehen, bin dann rüber, zu Janina und habe ihr versucht zu erklären, dass Jana mal war. Aber dass Janina nun ist. Und dass …“
Jetzt kippt Bauke vollends vom Stuhl, schlägt lang hin und begräbt den bis dahin vor ihm auf der Theke stehenden Aschenbecher mitsamt Kippen-Stummeln unter sich. Ein kurzer, heftiger Knall, der die weniger abgebrühten Gäste gehörig aufschrecken lässt und die Stamm-Besucher eiskalt identifiziert. Barkeeper Bruno, der kennt seinen Laden. Der dreht sich um, öffnet eine seiner Schubladen, nimmt ein Stück Kreide raus und schlendert gemütlich und zufrieden Richtung Tafel: „Hat sich doch gelohnt. Tatsächlich: Ansteigende Tendenz.“
„Here Are The Sonics!!!“ von The Sonics erschien 1965 auf Etiquette Records.