Xiu XiuAlways

Keiner sollte sich für Mitten interessieren. Am Rande wird es interessant, an den Grenzen zwischen Ja und Nein, Gut und Schlecht, Himmel und Hölle erfahren wir so viel über das eine wie das andere. Die Dialektik küsst sich selbst und mit Zunge.

Im konkreten Fall heißt das: Die Grenzen von Wohlklang zu Krach, die Gegensätze und Brüche sind es, die Xiu Xiu ausmachen. Die Jamie Stewart antreiben in seinem ehrenhaften Bemühen, Popsongs jenseits von Moral und Anstand zu schreiben und zu singen, manchmal singend, manchmal gehetzt flüsternd, gern keifend. Es zieht Stewart zu den dunklen Themen menschlicher Existenz, zu Leid, Gewalt, Hass, Tod, Verbrechen und Schuld. (Im Sinne von: Was krank ist, lebt, oder der Tod klopft an die Tür.) 2002 erschien das erste Album von Xiu Xiu und seitdem gräbt sich Stewart in wechselnder Begleitung in den Kern des Elends hinein, nicht ungern auf möglichst sperrige und verstörende Weise, aber zusehends auch in Form süßen Elektropops mit Industrialelementen, der Xiu Xiu mit dem letzten Album „Dear God, I Hate Myself“ einiges mehr an Aufmerksamkeit einbrachte, denn die Band hatte auf einmal Hits.

Das hält Stewart nicht davon ab, nach wie vor sich selbst zu verletzen, Haare zu rauchen und inbrünstig von den schwarzen Himmeln aus Not und Elend zu singen. Etwa in Form des Openers „Hi“, der so etwas wie eine recht eingängige Leidenshymne darstellt für alle gebeutelten Seelen. Ob aber ein „Hi“ einen allzu großen Anteil an der Lösung von Problemen hat, wer weiß … zumindest ist es ein Anfang. „Joey’s Song“ beinhaltet eine verzückende klerikale Passage, um die herum Stewart den Tod seines Bruders besingt. Gerade in seiner Stimmung und rhythmisch gemahnt „Beauty Towne“ an die Kollegen der Former Ghosts. Ein Duett über Aufstehen an ruinierten Tagen bietet melodieselige Gitarren im Spannungsaufbau und eine überbordernde, verzerrte Orgel zur Auflösung: „Honey Suckle“. Balladen folgen, sowohl geradezu herkömmliche wie „The Oldness“ als auch noisegetränkte wie „Factory Girl“ und „Black Drum Machine“. Die Hit-Versuche überwiegen aber: „Chimney’s Afire (Mickensian Suicide)“ schreitet erhaben und von sanften Synthie-Geigen umgarnt. „Gul Muldin“ ist die Vertonung eines Mordes amerikanischer Soldaten an einem afghanischen Jungen aus Spaß am Töten und verfügt über eine sehr eingängige Hookline. Bei „Smear The Queen“ handelt es sich um ein verschlepptes Industrialpop-Duett. Die unerwähnten Songs sind größtenteils schwer hörbar.

Nichtsdestotrotz: Auf dem schwankenden Seil zwischen Wohlklang und Krach waren Xiu Xiu selten der Harmonie so sehr zugewandt, zumindest musikalisch. Dabei ist „Always“ kompakter als sein Vorgänger, in sich geschlossener und enger beieinander, sowohl stilistisch als auch qualitativ. Was auch heißen soll: Ein Überhit wie „Gray Death“ findet sich nicht auf „Always“, dafür einige schöne halbe Hits, gute Songs, beeindruckende Effekte und verführerische Harmonien. Xiu Xiu bleiben da, wo sie sich am besten machen: Am Rande des Schmerzes. So schön anstrengend, so angenehm schwer zugänglich und doch so süß. Wenn einer zu leiden weiß, dann Jamie Stewart.

71

Label: Cooperative Music

Referenzen: Joy Division, Former Ghosts, Deerhoof, Liars, Spiritualized

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VÖ: 24.02.2012

2 Kommentare zu “Xiu Xiu – Always”

  1. Je mehr ich das höre, desto mehr ist das mein Lieblingsalbum von ihm seit einiger Zeit. Ist zwar immer noch relativ poppig, hat aber auch den Krach und Schmutz, der mir vor allem auf der letzten doch arg gefehlt hatte.

  2. […] Intensität hat sich wenig geändert. Erst vor wenigen Tagen haben wir euch das aktuelle Werk „Always“ vorgestellt, nun stattet uns die Band um Stewart mal wieder einen Besuch auf deutschen Bühnen […]

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