Reib (VIII): Mittwochs gelten Gesetze

Es ist Mittwoch. Schon wieder Mittwoch. Verdammter Trott. Alles taumelt wie eh und je vor sich hin. Und dabei hatte er sich so sehr vorgenommen, dass dieser ein anderer Mittwoch werden würde.
In fünf Tagen Abgabetermin der Ausarbeitung, die er mit Jana vorlegen muss: „Social, Local, Mobile: Was die Zukunft für uns bereithält.“ Im Prinzip ein spannendes Thema. Das liegt augenblicklich jedoch etwas flau im Magen – der Rest des Lehrstuhls (Jana inbegriffen) hat sich der Sache nämlich etwas frühzeitiger angenommen.
Und warum überhaupt mit Jana sowas anfangen? Das bekommt man dann auf dem anderen Sektor empfindlich zu spüren. Muss ja nicht sein. Heute Abend wollte er ein gutes Stück aufholen, doch dann stand Bauke in der Tür. Kaltes Bier vom Kiosk in der Plastiktüte. Da geht’s dahin.
Im Endeffekt also alles wie immer, denkt Reib, als er mit diesem Typ Rock’n’Roll wenig später die brüchige Tür mit dem Poster der seit zwei Wochen abgelaufenen Auftrittsankündigung des großartigen Chris Brokaw öffnet, das Techtelmechtel betritt und der Barkeeper ohne zu fragen zwei Union-Pils um ihre Kronkorken befreit.
Stark, die Black Keys mit „Girl Is On My Mind“ – es sollte für die nächsten Minuten nicht das letzte Mal gewesen sein, dass eine von Reibs Lieblingsbands läuft. So wird es wohl auch am nächsten Mittwoch nichts mit dem Verzicht.
Ein Gruß hinter die Theke, ein Gruß zurück: „Beide Flaschen auf Deinen Deckel, Reib? Und hier hast Du schon mal zehn 50-Cent-Stücke, noch habe ich welche, die schreibe ich direkt mit auf.“
Doch Reib geht erstmal an den Tresen – am Kickertisch tummeln sich eh gerade genug Neu-Studis um die beiden ebenso ehrgeizigen wie „sympathischen“ Mädels, denen man später am Abend zwangsläufig noch einige Male begegnen wird. Also keine Eile.
„Weißt Du was, Reib“, Bauke krallt sich den erstbesten Barhocker, prostet ihm zu und nimmt einen beeindruckenden Schluck, „jetzt sind es nur noch wenige Tage bis zur 30. Eigentlich sollte ich langsam unruhig werden: Keine Frau, immer noch kein abgeschlossenes Studium, keine Kinder. Nicht mal ne Scheidung habe ich vorzuweisen. Nur lauter Kleckerbeziehungen. Das ist doch alles verrückt.“
„Ne Frau? Bei Deiner Lebensweise? Reib schaut ihn provokant an und geht direkt dazu über mitzusingen:
Got to stand and face it life is so complicated
Ladi dah di dahdah, ladi dah di dah dah
Life is overrated, life is complicated.
„Schön noch nen „Ladi Da Da“ hintendran. Und dann läuft das schon, oder wie?“
„Das sind die Kinks.
Die müssen es wissen, mein Lieber.“
„Jaja, Reib, die Kinks, schon gut, ich knicke ein.“
„Wenn es Dich beruhigt, Bauke, kann ich Dir sagen, dass es unmittelbar nach der 30 auch gut und gerne erstmal so weiter laufen kann. Doch ist die 27 ja eh die viel bedenklichere Zahl, finde ich. Naja, zumindest so lange, bis man festgestellt hat gar kein Rockstar zu sein.“
Wieder einer von Baukes gefürchteten Schlücken.
Reib kramt derweil die Schachtel Rote Gauloises aus der Hosentasche, lässt den Blick durch die Bar und das vertraute, abgedunkelte Licht schweifen, zieht genüsslich zwei, dreimal und fährt fort: „Und außerdem: Sei doch froh. Für viele ist mit 30 alles vorbei. Erinnere mich da an einen Besuch beim Orthopäden. Der erzählte von früher, täglich Sport und so. Dann, sein genauer Wortlaut, ging es bergab: 30. Ehe. Kreuzbandriss. Kind.“
„Auch wieder wahr.“ Baukes Blick klart auf: „Dann bin ich ja sowas wie das blühende Leben.“ Das Grinsen im Gesicht fest verankert, als er routiniert die leere Flasche in die Luft hebt. Es lohnt sich, schließlich ist es dieses Mal die neue Barkeeperin, die ihn verdutzt ansieht: „Schon leer?“
Jedes Mal die gleiche Antwort, „ach, für’n holen Zahn“. Und schon ist Bauke im Gespräch, das er, wie er in diesem Zusammenhang immer gern betont, nicht mal von sich aus anstoßen muss. Das hat er echt drauf, das ist seine Nummer. Und da ist auch schon ihre.
Puh, davon kann man echt nur lernen. Andere müssen sich erst „Doc“ nennen, bevor sie was reißen. Und wenn er die Nummer erstmal abgestaubt hat, ist die ganze Hektik raus, der Kopf wieder klar. Wie jetzt, als er sich entschlossen abwendet: „Reib, auf geht’s an den Kickertisch. Is‘ Mittwoch. Gibt schließlich noch was zu tun heute.“
The Black Keys – „Rubber Factory“ (07.09.2004) / The Kinks – „Muswell Hillbillies“ (24.11.1971), Bildausschnitt: Bogdan Luca
30…pah, gar nicht sooo essentiell. Die 40 ist viel schlimmer :)
Sehr apropos: Codeine-Reunion! Aber erst mal heut Abend Brokaw mit Geoff Farina in Köln.
@Pinsel: Alter Mann, schau Dir doch mal den Link in dem Text zu Brokaw an, vielleicht erkennst Du ja wen;)
Na da bekommt ein bestimmter Schwerenöter aber sein Fett weg ;-)
Ob er’s merkt?
Hehe, aus dem „Doc“, was an dem Abend als einfache gib-mir-schon-deine-Nummer begann, ist inzwischen eine Art Lebensgefühl geworden, das so manch anderer möchtegern Schwerenöter oft feiert (ob er’s merkt? ;-)). Und solange ich die 30 und den Kreuzbandriss noch nicht hinter mir habe, und die Nummer mit dem was für’n hohlen Zahn bei mir nicht zieht, muss der „Doc“ halt laufen.
Starke Fortsetzung von Reib! Weiter so :-)
[…] das klingt so kaufmännisch. Naja, diese Nummer mit dem großen Schluck, damit kommt man zwar ins Gespräch. Aber sowas habe ich ja nicht immer auf Lager. Insofern mal […]