Atlas SoundParallax

Parallaxe speien der Objektivität ins Gesicht, denn sie meinen den Wandel und bezeichnen die scheinbare Bewegung eines Körpers bei Veränderung des Betrachtungswinkels. Das braucht dem kreativen Kosmos von Bradford Cox und den scheinbar abertausenden an großen Pop-Songs, die in seinem dürren Körper schlummern und von denen ein guter Teil bereits in rauen Mengen als Atlas Sound oder im Bandkollektiv von Deerhunter die Welt bereichert hat, keiner zu sagen.

Cox steht für DIY, er setzt sich seine Grenzen selbst, um sie dann umso gekonnter zu überschreiten. Damit hat er sich kraft seiner kreativen Freiheit genau den Raum für genug kreative Freiheiten erschaffen, um elegant weiter zu reüssieren. Unter dem Pseudonym Atlas Sound etwa schreibt er seit seiner Jugend Songs, die aus der intimen Situation seines Schlafzimmers (oder zumindest aus dessen Geist, was die einfache, handgemachte Intensität der Aufnahmen meint) entstanden sind, aus der „Bedroom Databank“, wie der Name einer über sein Blog veröffentlichten Reihe an Alben ist, von Bradford Cox selbst.

Dabei ist „Parallax“ erst die dritte reguläre Albumveröffentlichung von Atlas Sound. Die Handschrift des Meisters ist unverkennbar: in Melancholie fundierte Pop-Extravaganzien und verträumte Sehnsüchteleien in geschmackssicherem Arrangement. Dabei lässt Cox mit zunehmendem Alter allerdings die Brüche und Kracheskapaden hinter sich, so dass Atlas Sound sich immer mehr – wie Deerhunter, die sich von Noise-Rock zu Indie wandelten – von Psychedelic-Experimental-Pop zu Pop entwickelt. Die Bereitschaft, sich großen Gefühlen (Melancholie, Einsamkeit, Unentschlossenheit, unentschlossen melancholische Einsamkeit …) auszuliefern, besteht wie eh und je. Aber auch die hochtrabenden Bezüge zu antiker Kultur, wofür schon „Logos“ stand, finden sich auf „Parallax“ z.B. in „Te Amo“ und „Terra Incognita“. Fast klassische Ikonographie begegnet uns auf dem Cover (Cox als Rock’n’Roll-Crooner!) und das Songwriting bewegt sich in nicht minderen Kategorien auf klaren und genau abgesteckten Bahnen, auch wenn ein Bradford-Cox-Song nach wie vor zumeist von einem Schwall seltsamer Sounds unterlegt ist. Nur sind es inzwischen weniger und weniger seltsame Seltsamkeiten.

In „Praying Man“ verstecken sich unter der Haken schlagenden Gitarre und dem trotzig religiösen Text („Why don’t you seek me in the ground?/ I’ll rise again/ I’m a praying man.“) ein Mundharmonika-Solo – ganz so, wie es die Geister des Folk gern mal fordern – und, als wäre das noch nicht genug, noch ein stetes „Shalala“ obendrauf. Ähnlich beseelt wird auch in „Angel Is Broken“ Gitarre gespielt und gesehnt. Oder in „Lightworks“, das fast einem Country-Song gleich kommt. Und weitere Mid-Tempo-Evergreens wie der Fiep-Pop von „Parallax“ und das butterweiche „Mona Lisa“ hätten auch der Pop-Nische einer Deerhunter-Platte nicht schlecht zu Gesicht gestanden. Die weiteren Stücke wandeln in Traumsphären verhallter Gefühlslabyrinthe („Amplifier“), sind Bedroom-Ambient („Te Amo“) oder funktionieren mehr als Soundcollage denn als Song („Doldrums“). Die Gitarrenriffs der ruhigen Songs sind oftmals geradezu mittelalterlich vornehm, so dass in Kombination mit viel Emphase, Hall und „Bababa“ malerische Easy-Listening-Gebirge entstehen wie im stillen Höhepunkt der Platte, „Terra Incognita“.

Bradford Cox, der um die Kraft von Distortions weiß und der selige Harmonie im Spiegel der Disharmonie einzusetzen versteht, schreitet weiter voran Richtung Pop-Olymp, so dass er auch auf der Station „Parallax“ wieder unzählige Anhänger bekehren wird. Für der Blickwinkel, der es ermöglicht, nicht auf das dritte Album von Atlas Sound anzuspringen, bedarf es schon eines arg abgehärteten musikalischen Herzens, auch wenn „Parallax“ kein Opus Magnum ist, sondern „nur“ ein weiteres Puzzle in der eigenen wahnwitzigen Traumwelt des Bradford Cox, die immer feiner und schöner geschliffen wird.

83

Label: 4AD/Beggars

Referenzen: Animal Collective, Grizzly Bear, Deerhunter, Beta Band, Stereolab, Xiu Xiu, Of Montreal

Links: Facebook (inoffiziell) | Label | Albumhomepage

VÖ: 04.11.2011

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