
Bob Moore “Mexico”, Februar – März 1962
Die Komposition stammt von Felice und Boudleaux Bryant, einem Autoren- und Ehepaar, durch das unser Bild von der populären Musik der 50er Jahre maßgeblich geprägt wurde, obwohl sich nicht allzu viele Menschen dessen bewusst sein dürften. Nehmen wir zum Beispiel die Everly Brothers, deren Schaffen von vielen Menschen als „ehrlich“ und „handgemacht“ bewertet werden dürfte. Unabhängig davon, dass jedes Musikinstrument und die Voraussetzung seiner Bedienung menschen- und damit eben „handgemacht“ sein dürfte, handelte es sich bei den beiden Brüdern um wirklich gute Instrumentalisten und Sänger, deren Musik aber nur insofern „authentisch“ war, als dass ihr gelungener Vortrag auf soliden musikalischem Fähigkeiten fundierte, sie waren fähige Interpreten. Ansonsten dürfte ihr Crossover aus Country und Rock’n’Roll trotz des enormen Erfolges damaligen Puristen nicht sonderlich genehm gewesen sein. Die Songs der Everly Brothers zielten auf jugendliche HörerInnen ab und beeinflussten und begeisterten folgerichtig vorrangig junge Menschen, darunter Künstler wie die Beatles, Beach Boys und Simon & Garfunkel. Einen Großteil ihrer Hits hatte das Duo dem bereits erwähnten Autorenpaar Felice und Boudleaux Bryant zu verdanken, darunter „Bye Bye Love“, „Wake Up, Little Susie“, „Love Hurts“ (später von Nazareth mit großem Erfolg gecovert) und „All I Have To Do Is Dream“. Bei Letzterem spielte auch noch Chet Atkins, ein für Nashville stilprägender Produzent, Gitarre.
Fremde Autoren, SessionmusikerInnen und „zeitgerechte“ Vermengung von populären Stilen, so funktioniert Pop auch heute noch. Seine künstlerische Qualität hing aber weder damals noch heute von den Umständen der Produktion ab, das gilt für Lo-Fi ebenso wie für Plastikpop. Wenn also demnächst irgendwer verlauten lassen sollte, ein zeitgenössisches Stück Popmusik könne aufgrund mangelnder Erdigkeit und instrumentaler Versiertheit irgendeiner involvierten Person keine Qualität besitzen, so lohnt sich der Einspruch, vielleicht mit dem Hinweis, dass auch für „Pet Sounds“ StudiomusikerInnen engagiert wurden, selbst für Gitarre, Schlagzeug und Bass. Pop war nie authentisch, eine solche Zuschreibung dient der Verkaufsförderung und erfasst nicht das eigenste Wesen der Musik, egal, wo sie ihre Wurzeln auch haben mag, ob im Prog der 70er, dem Punkrock, Postpunk, Folk oder Alternative Rock. Verabschieden wir uns also von diesem Wort, ein Song ist gut oder schlecht, ob er „wahr“ ist, braucht nicht zu interessieren.
Felice und Boudleaux Bryant also schrieben „Mexico“, Bob Moore & his Orchestra nahmen ihn auf und hatten damit ihren größten Hit, der jedoch im Vergleich mit Moores sonstigem Schaffen wie eine nicht sonderlich ernst genommene Fingerübung wirkt. Seine eigentliche Tätigkeit war die eines Sessionmusikers, als Bassist war er dabei seit seinem 15. Lebenswahr rund um seinen Geburtsort Nashville, Tennessee, tätig. Er spielte unter anderem für Elvis Presley, Simon & Garfunkel, Roy Orbison, Jerry Lee Lewis, Roger Miller und so viele weitere KünstlerInnen, dass er insgesamt an ungefähr 17.000 Sessions teilgenommen haben soll. Und wenn ein solcher Musiker von einem damals überaus erfolgreichen und vielversprechenden Songwriter Paar Material erhält, wird’s halt veröffentlicht, mal sehen, was geschieht.
Durch all das wird ein solches Stücklein wie „Mexico“ in seiner klar erkennbaren Warenförmigkeit beinahe schon wieder sympathisch und liebenswert. Im Gegensatz zu den Versuchen, Schlagersängerinnen wie Nana Mouskouri als große Künstlerinnen mit idealistischem Geltungswunsch darzustellen und Bill Ramsey zum fröhlichen Lebemann zu erheben ist er beinahe schon ein wenig erfrischend, dieser tatkräftig unbedarfte Geist des schmerzfreien Kapitalismus. Den nämlich kann man einfach ablehnen, dahinter stecken keine merkwürdig-idealistischen Phrasen und auch, wenn diese Art von Musik nicht besser ist als der gemeine Schlager, so ist sie doch weniger verlogen.
Ach, und wenn wir gerade in der Ecke der Lügen sind, sollten wir mal schauen, was Irrtum und Mythos so treiben. Sie sitzen beieinander, die Augen des Mythos blitzen und seine Ärmchen fliegen, er ereifert sich über die enorme Kraft des Rock’n’Roll, Bill Haley und die BRD 1958, Konzerte und Krawalle, Sie wissen schon.
Gerade wollte ich mich abwenden, da fällt der Name Bill Ramsey, eine Person, den ich ob seiner Schmierigkeit geradezu gefressen habe, was aber nur so eine Redewendung ist und obendrein gar nicht möglich wäre, schließlich scheint mir dieser Mensch nicht mehr appetitlich als „Stulli, des Pausenbrot, schön mit Margarine beschmiert und dick mit Fleischsalat belegt“.
Folgende Worte also werden zwischen Irrtum und Mythos gewechselt:
Mythos (emsig, aber ein wenig leiernd, sichtlich um Erhabenheit bemüht) „Und so also begab es sich, dass sich die Blüte des Landes …“
Irrtum (etwa etwas albern und schadenfroh): „Hihihi …“
Mythos (das Lachen ignorierend): „Die Blüte des Landes, sage ich, erwachsen auf blutigem Boden, von den staubbedeckten Händen Trümmer schleppender Frauen aus klapprigen Wiegen gehoben …“
Irrtum (hat die ganze Zeit unbeirrt weiter gekichert): „Hihi … he … hehe …“
Mythos (etwas beeirrt, aber demonstrativ standhaft): „Also, gerade eben erst noch den Wiegen enthoben, der Mutterbrust entwachsen, ohne Schonfrist, weder für sich noch die kriegsgeplagten Eltern, da sie …“
Irrtum (beinahe prustend): „Jaaaa …, der Bill Haley … hehe … der Ramsey war’s, der Ramsey …“
Mythos (noch doch schon zornig in der Art altestamentarischer Patriachen): „Wirst Du wohl schweigen! Schweig still, los, Du Person, nichtige!“
Irrtum (etwas ruhiger): „Ah, nichtige Person, so … (betont): Der Ramsey war’s, ihn mochten sie nicht, deshalb haben sie gepfiffen, nicht der Haley mit seiner Musik, oh nein, Polizei und Bill Ramsey als Rahmenprogramm, das konnte doch kein Mensch aushalten … Aber keine Angst, wär’ ich denn der Irrtum, wenn ich mich abschaffen wollt’? Ja, und lachen, lachen solltest Du mit mir, und froh sein, dass ich einen solchen Spaß daran habe, denn wo wärst Du ohne mich, he? Magst mich wohl nur ewig verleugnen, sonst ist’s vorbei mit den hübschen Morgenmänteln aus Fotostrecken … ach, ich brauche Dich nicht, ich erfreue mich an Dir, und Du, du magst nichts von mir wissen … hehe … dabei wärst Du ohne mich … hehe … hihi …“
Mythos: wendet sich mit säuerlicher, aber hilfloser Miene ab.
Vorhang, Punks verteilen Lokalsausgaben verschiedener Tageszeitungen ans Publikum, man erkennt ein Bild des schmalztolligen Bill Haleys und nostalgische Überschriften, „Heute vor 53 Jahren…“, „Revolte im Konzert“ usw.
„Stulli, des Pausenbrot, schön mit Margarine beschmiert und dick mit Fleischsalat belegt“. Hammer!
ja, das ist es… neben „hier lacht der betrachter“ so ziemlich das bestes, was die rattelschnecks je erschaffen haben. unvergleichlich.