Der Liedschatten (19): Das Fehlen der Liebe in Zeiten der Schnulze

Nana Mouskouri nahm ungefähr 1.500 Lieder auf, ihre verkauften Platten werden mit 230-250 Millionen Stück angegeben. Als bisher erfolgreichste Schlagersängerin der Welt saß sie für die Christdemokraten Griechenlands im Europaparlament und wirkt als UNICEF-„Goodwill Ambassador“, ein Posten, den sie von Audrey Hepburn übernahm. Sie ist, um es mit den Worten eines Schlagerportals zu sagen, „ein Meilenstein der populären Musikgeschichte.“ Ei ja.

Nana Mouskouri “Weisse Rosen aus Athen”, November-Dezember 1961

Auf solch einem unsinnigen Satz herumzuhacken wäre nun ein Leichtes, vielleicht sogar einfacher, als sich der Sängerin Mouskouri anzunehmen. Nicht, dass der wirtschaftliche Erfolg ein Grund zur Rechtfertigung der Belanglosigkeit ihrer Musik wäre, doch ist sie einfach zu professionell, als dass man ihr daraus einen Vorwurf machen kann, der sich nicht eh gleich gegen die ganze Kulturindustrie richtet. Bleiben wir also bei dieser und dem, was sie nicht nur unter dem Label „Mouskouri“ angerichtet hat und auch weiterhin anrichten wird.

mouskouri

In einem Werbetext zu einem Downloadpaket mit verschiedenen von der Sängerin vorgetragenen Coverversionen heißt es zum Beispiel, es sei in diesem auch „Every Grain Of Sang“ enthalten, ein Song, den Bob Dylan „speziell für Nana geschrieben hat.“ Nun war der gute Bob sicherlich ab und zu verblendet, besonders in seiner hochchristlichen Phase, doch selbst während dieser wusste er, dass ein Song namens „Every Grain Of Sand“ auf mehr Verständnis hoffen kann als „Every Grain Of Sang“, ein Titel, der eher zu seiner von französischen Surrealisten inspirierten Zeit gepasst hätte. 1981 aber war Dylan gerade ein guter Christ und lobpreiste seinen Herrn, indem er „Shot Of Love“, sein letztes stark christliches Album, veröffentlichte, darauf enthalten „Every Grain Of Sand“. Die Verkaufenden scheren sich um solche Details nicht sonderlich, ein Lektorat schien nicht nötig, warum auch, die KäuferInnen einer Nana-Mouskouri-Compilation wird’s auch nicht weiter interessieren. Sie freuen sich lieber über die Begründung ihres Verzichts auf die Kandidatur für eine zweite Amtszeit im Europaparlament, dort gehe es nämlich ihrer Meinung nach laut Wikipedia nur um „Machterhalt und Parteipolitik […], Wahrheit und Freiheit“ kämen zu kurz.

Nun, wir sind hier ja im Reich des Schlagers und dort darf es gerne einmal ein bisschen simpel zugehen. Wer jedoch glaubt, die Auseinandersetzung um irgendeine „Wahrheit“ fände nicht zwischen verschiedenen Partien statt, die ihre Interessen mit Macht zu vertreten versuchen, hat eine merkwürdige Vorstellung von demokratischer Freiheit. Das Problem am Schlager ist, dass er solche Denkweisen befestigt, dort geht’s immer wieder um „Heimat“ und „Freiheit“, „Wahrheit“ und „Liebe“, als wären das Dinge, für oder gegen die man sein könnte, nicht einfach wandelbare Begriffe, die sich für so ziemlich jeden Quatsch instrumentalisieren lassen.

Aber wir haben es hier mit Schlagerfans zu tun, da nimmt man’s, wie bereits weiter oben festgestellt, nicht so genau, auch nicht mit der Logik. „einfach die grösste,genau wie vicky leandros….“, lautet ein Kommentar zu Nana Mouskouri bei Youtube, ein anderer mahnt an „Sie habt weltweit ca. 250 Millionen Alben verkauft also ist sie die zweiterfolgreichste sängerinn aller zeiten!!! Also nicht meckern, anderen Leiuten gefällt es also anscheiend oder nicht?“ und erinnert uns daran, wie essentiell Opportunismus  für unser aller friedliches Zusammenleben doch ist, dass es „damals“ sicherlich noch gab, meint ein Dritter „bin zwar ein bisschen jünger , kann mir aber gut vorstellen wie gemütlich die zeit früher war ! nicht wie heute nur stress schläger ärger bei weggehen !!“. Gerne möchte man die junge Person um eine nähere Definition des „früher“ bitten, doch Achtung: „Wer keine Ahnung von dem damaligen Zeitgeist hat, sollte sich Kommentare verkneifen!! Vor allem negative!!!!!!“ Klaro, wer nicht dabei war, darf nix sagen, vor allen Dingen, wenn’s um Zeitgeist geht, besser war’s aber sicher alle Mal. Letztendlich aber handelt es sich nur um Kommentare auf Youtube, zu denen sich Andreas Spechtl von Ja, Panik im Zusammenhang mit der Frage, ob sie durch schmähende Bemerkungen an dieser Stelle verletzt werden würden, in einem Interview wie folgt äußerte: „Ein Mensch, der unter YouTube überhaupt kommentiert und dann noch so was – das wäre eine Beleidigung, wenn der auch nur fähig wäre, uns zu verstehen! Für mich wäre es eine größere Beleidigung, wenn der „lässig, das taugt mir!“ darunter schreiben würde!“ Ein kluger Mann, der Herr Spechtl.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Es geht nicht darum, persönliche Erlebnisse schlecht zu reden, man sucht sich nicht aus, womit man sozialisiert wird, aber wie oft kommt es einmal zur Entgegnung: „250 Mio. verkaufte Platten? Schade um die fehlgeleitete Aufmerksamkeit!“? Mit Sicherheit eher selten, dabei gibt es ja auch genügend vermeintlich oder tatsächlich bessere Kaufoptionen. Mehr Tonträger als Nana Mouskouri konnte zum Beispiel Madonna absetzen, eine weitaus kontroversere Künstlerin. Sollte man nun aber Schlagerfans empfehlen, Madonna zu hören? Es wäre vielleicht ein Anfang, weg von reaktionärer Intoleranz zu marktorientierter Toleranz, und wenn man dann noch irgendwie Opportunismus, Beliebigkeit, Gleichgültigkeit und den Markt selbst rauskriegt, dann kommen wir am Ende vielleicht noch mal bei einer aufmerksamen, tätigen Menschlichkeit an.

Kann eine solche durch Musik geschaffen werden? Sicherlich nicht, doch sie würde vom freien und kritischen Ausdruck allerorten leben, und genau diesen lässt der Schlager nicht zu. Die Abwesenheit der Schnulze macht die Menschen also noch lange nicht zu liebenden Wesen, die Liebe aber kann nur aus der Abwesenheit der Schnulze erwachsen.

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