WarpaintThe Fool

Um die Jahre 2009/2010 lässt man es, wie schon knapp eine Dekade zuvor, als "Quiet" plötzlich für ganz kurze Zeit "The New Loud" war, zumindest musikalisch gerne einmal ruhig angehen. Harmonieseliger Dreampop, wie ihn Beach House auf ihrem diesjährigen dritten Album perfektionierten ist wieder en vogue, alberne neue Genrebezeichnungen wie "Chillwave" werden aus der Taufe gehoben und die ziemlich jugendlichen Überflieger von The XX werden in beängstigender Geschwindigkeit durch das Mahlwerk der Hype-Industrie gepresst. Nur die wirklich beste leisetretende Band der Welt, Savoy Grand, bleibt von all dem wieder einmal gänzlich unberührt.

Was das alles mit Warpaint und ihrem nun erscheinendem, ersten kompletten Album "The Fool" zu tun hat? Einiges und dann auch wieder nicht. Zwar erinnert die Kombination aus melancholisch zurückgenommenem Frauengesang und luftigen Gitarre-Bass-Skeletten in ihrer unterkühlten Düsterkeit schon des öfteren mal an The XX und deren erweitertes Referenzsystem, wer aber mal genauer in so komplex verspielte Stücke wie "Elephants" von der letztjährigen Debüt-EP "Exquisite Corpse" reinhört, wird schnell merken, dass bei Warpaint durchaus mehr auf der Agenda steht, als nur das Abschöpfen der üblichen, so langsam leer laufenden Quellen.

"The Fool" ist ein Album, das man am besten über Kopfhörer und am besten nachts genießt. Denn in aller Stille und Abgeschiedenheit erwacht die fröstelnde, kristalline Oberfläche dieser Platte dann Schlag auf Schlag zum Leben. Da tauchen filigran klirrende Gitarrenmotive plötzlich aus dem nichts auf, wachsen und beginnen sich mit stoisch grummelnden Bassfiguren zu schneiden bis schließlich Funken sprühende Reibungsflächen entstehen. Geisterhafte Stimmen umschmeicheln einen von allen Seiten und verschwinden genauso schnell und mysteriös, wie sie zuvor erschienen sind. Schlagzeug und teilweise Drumcomputer geben derweil immer nur grob die Richtung vor und lassen den Stücken genügend Raum zur freien Entfaltung, sodass man sich hier sympathischerweise auf  ein für das gewöhnliche Radioformat nur ein ganz klein wenig zu langes Mittel von rund fünf Minuten einpendelt. Das soll aber nicht heißen, dass "The Fool" nicht auch als Popalbum wunderbar funktionieren würde. Die besten Lieder hier, wie das ganz klammheimlich Fahrt aufnehmende "Undertow", das herrlich vertrackt über allerlei Scherben und Stolpersteine hinwegrollende "Bees" oder das abgründige mit gespenstischen Cheerleaderchören und einer kurzen Thom-Yorke-Gedächtnisperformance aufwartende  "Composure" bergen alle ein verstecktes aber im Endeffekt dennoch kaum zu übersehendes Potential in sich, das sie, so abgeschmackt das jetzt auch klingen mag,  in einer gerechteren Welt zu echten Hits werden ließe.

Weniger hoch anrechnen als diesen gelungenen Balanceakt zwischen Eingängigkeit und Komplexität kann man Warpaint allerdings die auf diesem Album ebenfalls vorhandenen mediokren Momente. "Baby" beispielsweise ist eine zutiefst naive und simple Gitarrenballade, bei deren unterwürfigem Text man überraschenderweise doch einmal ganz froh feststellt, kein englischer Muttersprachler zu sein. Solche Tiefpunkte sind es, die einen während des generell schwächeren Schlussteils von "The Fool" immer mal wieder an die eingangs erwähnte "Exquisite Corps EP" zurückdenken lassen. Denn die in den dort gelegentlich lärmenden Ausbrüchen und der unterschwellig flirrenden Energie enthaltenen Versprechen können Warpaint hier zugunsten eines insgesamt homogener erscheinenden Gesamtwerkes leider nicht immer ganz erfüllen. Abgesehen davon, dass tatsächlich noch etwas mehr drin gewesen wäre, kann man sich aber zumindest für diesen Winter keinen passenderen Begleiter eisiger und glasklarer Nächte vorstellen als dieses Album, das einen, wie Nebelschwaden ganz plötzlich aus dem Nichts erscheinend, in seiner  Unfass- und Undurchschaubarkeit gefangennimmt.

 

75

Label: Rough Trade / Beggars (Indigo)

Referenzen: Joy Division, The Cure, The XX, Young Marble Giants, Low, Nina Nastasia, Pinback

Links: Hompage, MySpace

VÖ: 22.10.2010

Ein Kommentar zu “Rezension: Warpaint – The Fool”

  1. […] der Einschätzung des vorletzten Spiegels, das Warpaint Debüt sei perfekte Herbstmusik, hier die Antithese: die Musik funktioniert doch tatsächlich auch im […]

Einen Kommentar hinterlassen

Platten kaufen Links Impressum