Der Liedschatten (112): Wer bekommt keinen Ring versprochen?

Lynn Anderson: „Rose Garden“, April 1971

1970 ist zumindest im Hinblick auf die erfolgreichsten Singles in den Charts der BRD ein sehr abwechslungsreiches Jahr gewesen, in dem es Peter Maffays „Du“ als einziger deutschsprachiger Song auf Platz 1 schaffte.

Woran das liegt, lässt sich nur mutmaßen. Vielleicht war der Bedarf an Schlagern erst einmal gestillt, ihr textliches Repertoire aus vor allem Fern- und Heimweh, Liebe und anzüglichem Augenzwinkern ausgereizt und ihr Sound zu altbacken. Die Konsumenten konnten und wollten dem Anschein nach einfach andere und, zumindest das lässt sich mit Sicherheit sagen, im Vergleich zu den deutschsprachigen Schlagern der 1960er modernere Songs hören. Davon gab es 1970 genügend. Norman Greenbaum veröffentlichte mit „Spirit In The Sky“ ein psychedelisches und zugleich geistliches Lied. Simon & Garfunkels „El Condor Pasa (If I Could)“ ist eine Vorahnung der Weltmusik mit ebenfalls sinnhaft wirkendem, dabei aber selbst mit bestem Willen nur poetisch scheinendem Text. Miguel Rios machte sich mit seiner Bearbeitung von Beethovens Finalsatz der 9. Sinfonie „A Song Of Joy“ sicher nicht nur Freunde, die Kritiker werden aber in der Minderzahl gewesen sein. Es gab Black Sabbaths „Paranoid“, das die Teenage Angst späterer Rockbands ebenso wie den Punk andeutete und persönliche Befindlichkeiten ohne Beschränkung auf Liebesfreude oder Leid und metaphorische Beschönigungen ausdrückte. Und schließlich war da George Harrison, der sich als Solokünstler in „My Sweet Lord“ nach Gottesschau sehnte und wie auch die anderen Beatles bereits in den letzten Jahren dazu beigetragen hatte, Popmusik als ein mittlerweile erwachsenes Genre mit ernsthaften Anliegen auftreten zu lassen.

Vielleicht waren bedeutungsschwere Texte im Bereich kommerziell erfolgreicher Popmusik 1971 keine Möglichkeit mehr, sondern ein Anspruch. Und da ihm der bis dahin übliche Schlager meist nicht entsprach, erwarben die Hörer Singles, deren Schlichtheit sich entweder in Grenzen hielt oder aufgrund der englischen Sprache erst nach und nach deutlich wurde.

Das aber sind nur Überlegungen, bloße Vermutungen, die durch die Gegenwart einer netten Melodie ratzfatz irrelevant werden können. Eine solche hat die #1 „Rose Garden“ von Lynn Anderson.

http://www.dailymotion.com/video/x2c9c7_lynn-anderson-rose-garden_music

„But what would it matter?“: endlich einmal eine gute Frage in einer ungewollt guten Schnulze.

Die Karriere der Countrysängerin hatte bereits Mitte der 1960er begonnen, erreichte aber erst in den 1970ern ihren lang anhaltenden Höhepunkt. Den größten Erfolg hatte sie dabei in Amerika, wo Verkaufsranglisten nach Genres sortiert erstellt werden und sie mit insgesamt 17 Singles in die Top Ten der dortigen „Country Charts“ gelangen konnte. Da Anderson mit „Rose Garden“ auch Platz 5 der „Adult Contemporary“-Charts erreichte, galt der Song als Crossover-Hit.

Ein solcher war „Rose Garden“ in der ursprünglichen Version von Joe South nicht. Der Songwriter, dessen erster erfolgreicher Song den Namen „The Purple People Eater Meets the Witch Doctor“ trug – ein sehr, sehr albernes Stück …

… in dem er auf zwei weitere sehr alberne Stücke Bezug nimmt, nämlich „Purple People Eater“ und „Witch Doctor“ – hatte Andersons größten Hit bereits 1969 auf einem seiner Alben veröffentlicht.

Weder in der ursprünglichen noch in Andersons Version ist „Rose Garden“ ein stiltreues Countrystück. Es klingt nach dem Pop der späten 1960er-Jahre und hat einen starken Easy-Listening-Einschlag. Bei der Countrysängerin profitieren Strophe, Bridge und Refrain von der wenig subtilen Gefälligkeit vorhersehbarer Melodien. Dazu werden Zeilen stimmlich gedoppelt, kurze Gesangspausen mit einer simpel aufsteigenden Gitarre mit Tremoloeffekt aufgefüllt, malen Streicher weite Bögen, singt der Backingchor seine Vokale schwelgerisch und tänzelt der Bass höchst effektiv, aber wenig raffiniert nebenher. Und selbstverständlich hat auch Anderson eine sehr hübsche, schmeichelnde Stimme. Diese Häufung blütenbunter Bravheiten ruft aber nicht etwa Widerwillen hervor, sie funktioniert gut und sogar besser, je öfter man den Song hört.

anderson_roseDaran dürfte der Text einen großen Anteil haben. Er basiert auf dem Klischee von den guten und schlechten Zeiten, die Liebende miteinander zu bestehen hätten. Störend ist das nicht, im Gegenteil, es ist eine nette Abwechslung. Die Abwesenheit von Liebesschwüren und der Behauptung, Liebe würde jegliche Unbill wettmachen, ja sogar abwehren erweckt den Eindruck, hier würde sie einmal nicht überbewertet. Richtig hübsch wird dieses Klischee aber erst durch ein weiteres. Es ist hier nicht die Frau, der ein Ring versprochen werden könnte, sondern der Mann.

Unbedarft ließe sich nun fragen: „Warum denn der Mann?“. Bestenfalls bleibt es aber nicht dabei, sondern die Frage „Warum denn ansonsten der Frau?“ folgt daraus. Oft genug werden Frauen in Popsongs als unschuldige (gerne als höhere, aber selten genug als einfach nur menschliche) Wesen dargestellt, die sich passiv nach entgegengebrachter Zuneigung sehnen, selbst aber keine anderen Bedürfnisse als versprochene Treue oder kostspielige Geschenke haben, also nicht nur um-, sondern auch erworben werden müssen und das auch noch wollen. Da sich die Sängerin hier aber in der üblicherweise dem Mann zugedachten Rolle befindet, wird dieses Missverhältnis ohne jede Absicht und subversive Garstigkeit inmitten all der süßen Dudelei deutlich. Im Zusammenspiel mit seinem Arrangement wird „Rose Garden“ deshalb zu einem Schlager, der sich ohne jede Ironie als „Guilty Pleasure“ mögen lässt, was angesichts seiner Catchyness nur gut ist, denn ein Ohrwurm ist er so oder so.

Einen Kommentar hinterlassen

Platten kaufen Links Impressum