Der Liedschatten (105): Du! & Die Liebe des Pierre Lavendel

Peter Maffay: “Du”, Mai – Juni 1970

Weit davon entfernt, den Schlager zu mögen, stelle ich erschrocken fest, dass er mir lieb ist. Woher kommt das nur? Ganz einfach, wenn er mir „lieber als“ sein kann, muss er mir auch lieb sein, ist lieb doch die Voraussetzung für „lieber als“.

Möglich wird das durch Peter Maffay, der mir als der wirkliche Schlagersänger lieber als der vermeintliche Rocker ist. Man könnte auch sagen: solange er lieb war und nicht gemogelt hat, sein Haar ordentlich und das Hemd geschlossen trug, war er (mir) eben lieber als in seiner späteren Erscheinung mit ungebändigtem Haar und Kettchen auf der nackten Brust. Denn einst wurde die Schnulze auch Schnulze genannt und als Schnulze war sie schnulzig. Nachdem man aber dazu überging, seine Schnulzen als Rock zu verbrämen, waren sie noch immer schnulzig und solch eine Verdrehung offensichtlicher Tatsachen ist sehr unangenehm. Darauf kommen wir aber später zurück, hören wir jetzt unsere heutige #1, Maffays Debütsingle „Du“ von 1970.

Ein leiser Hauch von Terror: Du bist gemeint!

Erst ist alles Schunkelei, Wiegen, Dreivierteltakt, eine düdelige Gitarre, die salbungsvolle Stimme, dann kommt das übergroße Gefühl, das mitreißende Pathos, das „Du!“. Selbstverständlich ist das plump, es handelt sich ja auch um einen Schlager, und der will nicht im Stillen wirken. Sein Text ist dabei gar nicht mal abwegig. „Du, Du allein kannst mich verstehen“? So muss es sein, denn ich verstehe ihn nicht. Wer nur ist dieses „Du“? Es ist eine junge Frau.

„Du – ich will Dir etwas sagen was ich noch zu keinem anderen Mädchen –
zu keinem anderen Mädchen gesagt habe.
Ich hab‘ Dich lieb, ja ich hab‘ Dich lieb –
Und ich will Dich immer lieb haben
immer, immer nur Dich.“

maffay_duWohlgemerkt: Er liebt sie nicht, er hat sie lieb. Und gewiss, er ist ja auch erst Anfang 20. In dem Alter wird bei größtmöglicher Reinheit der Protagonisten nicht profan geliebt, sondern in Verklärung lieb gehabt. In diesem Sinne lässt sich nur feststellen: was für ein toller Spoken-Word-Part, was für ein züchtiges Haushalten mit hehren Gefühlen! Da wird nichts verschleudert, das ist empfindsam und sittlich. Bei näherer Betrachtung ist es zwar ein klein wenig gruselig – man nehme nur die Vehemenz des „Du, Du darfst nie mehr von mir gehen“ – aber ist es nicht beruhigend, wenn sich jugendlicher Überschwang nicht in vorehelichem Geschlechtsverkehr, sondern Schwüren ewiger Treue äußert? Wobei, schwört er denn Treue? Ja. Und deshalb darf seine Geliebte, wir kennen das aus anderen Schlagern, niemals von ihm fort gehen. Was ist das nur für eine Liebe? Einen bittende oder eine fordernde? Nichts von beidem, es ist die Schlagerliebe, die gute, alte Schlagerliebe, wie sie uns auch beim großen Pierre Lavendel entgegenschlägt.

Das klingt nach einem fairen Deal.

Erfolg gilt hierzulande ja als mindestens bemerkenswert und meist sogar respektabel. Noch der größte Murks wird mit der Bemerkung, die Menschen würden so etwas ja kaufen, gerechtfertigt. Als würde derjenige, der einen so seichten Schlager wie „Du“ verzapft hat, ja gar nichts dafür können, als wäre es ihm vom großen Ganzen, von Volks-, Zeit- oder sonstigem Ungeist eingegeben worden. Dennoch werden Stücke wie „Du“ ohne Frage im vollen Bewusstsein ihrer Gefälligkeit geschrieben und gerade seine Autoren Peter Orloff und Michael Kunze dürften sehr wohl gewusst haben, was sie hier taten. Das Lied ist ein einziges Klischee – oder aber, anerkennender gesagt, eine effektive Variation des Immergleichen. Ob das Stück für seinen Erfolg eine größere Rolle als der Interpret spielt, lässt sich nur vermuten. Doch gehen wir einmal davon aus.

Denn was ist bei näherer Betrachtung das Besondere, nur ihm Eigene an Peter Maffay, was macht ihn vom Interpreten zum Künstler? Vielleicht die Stimme? Eine Stimme allein macht noch keine Kunst, „eine gute Stimme“ haben, das können viele, denn gut ist vor allem das Mittelmaß. Wer „gut“ sagt, meint oft nicht mehr als „Ich werde auf keinen Fehler gestoßen und fühle mich deshalb in meinem Geschmack geschmeichelt, ohne mich wirklich auseinandersetzen zu müssen“, in etwa beim Urteilen über die Teilnehmer irgendeiner Castingshow.

Doch ganz so einfach ist es bei dem in Rumänien geborenen Schlagersänger aufgrund seines Akzents und der nuscheligen Vortragsweise nicht. Niemand sonst singt wie er, nur Parodisten, deren Spott wir uns nicht anschließen wollen. Stellen wir anerkennend fest: Nein, Peter Maffay hat nicht einfach eine gute Stimme. Dafür aber ist sie stets salbungsvoll und eindringlich, besonders die unklare Aussprache verbindet emotionales Übermaß mit intimer Eindringlichkeit. Sie ist ungewöhnlich im Rahmen des Bekannten und damit etwas, das sich von seinen Liedern nicht sagen lässt. Obwohl sie sich nicht veränderte, nahmen ihm Fans und Medien die Neuerfindung als Rocker gegen Mitte der 1970er Jahre weitestgehend ab. Das spricht entweder für ihren Wiedererkennungswert (im Sinne von „Er ist immer noch er selbst“) oder aber ihre Irrelevanz, da das Drumherum die Rezeption stärker als der Gesang bestimmt.

Doch liegt mir nichts ferner, als ihm an dieser Stelle mangelnde Authentizität vorzuwerfen. Das wäre wieder einmal nicht mehr als die Beschwerde, nicht besser belogen zu werden. Hier liegt kein anderer als der übliche Etikettenschwindel vor, die dreiste Beharrlichkeit der Reklame, durch die auch die Rolling Stones noch immer als Rebellen gegen eine Industrie verkauft werden, die sie selber schufen. Eine Stilfrage, die zu nichts verpflichtet als dem Tragen einer Lederjacke. Freuen wir uns darauf, Maffay das nächste Mal in diesem symbolträchtigen Kleidungsstück zu begegnen.

Doch auch die Karriere des Liedes „Du“ war noch nicht zu Ende, 1994 durfte es von David Hasselhoff vorgetragen werden.

Es handelt sich um einen Ausschnitt aus der Komödie „Eurotrip“. Einer Komödie. Das wird auch Hasselhoff gewusst haben. Ganz bestimmt.

Ein Kommentar zu “Der Liedschatten (105): Du! & Die Liebe des Pierre Lavendel”

  1. […] erfolgreichsten Singles in den Charts der BRD ein sehr abwechslungsreiches Jahr gewesen, in dem es Peter Maffays „Du“ als einziger deutschsprachiger Song auf Platz 1 […]

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