AutechreExai

Was schreiben zu Autechre? Warum fallen einem zu Autechre nicht sofort Gesichter und Namen ein? Klar, man kann bei Discogs nachschlagen oder googlen, danach weiß man, Autechre sind Sean Booth und Rob Brown aus Manchester. Sie stammen aus der englischen Breakbeat-, Hard Core- und Rave-Kultur der 90er. Und ja, Breakbeats sind zumeist das Grundgerüst oder der Ausgangspunkt für Autechre-Tracks, sie produzieren seit 1993(!) unter diesem Namen auf Warp Musik. Anders als ihre Labelkollegen wie z.B. LFO oder Sweet Exorcist haben sie keine echten Hits veröffentlicht, legen aber im Gegensatz zu den beiden genannten eine stoische Veröffentlichungskontinuität an den Tag, die wiederum ihresgleichen sucht.

Nach der bombastischen Werkschau „EPs 1991-2002“ erscheint mit „Exai“ Autechres elftes Album und auch dieses ist ein ganz dicker Brocken – mehr als zwei Stunden Musik, verteilt auf 4 LPs, 2 CDs oder 17 Tracks im Download. Dabei haben Autechre schon immer die Hörerschaft tief gespalten: Für die einen, welche elektronische Tanzmusik als Funktionsmusik zum kollektiven Abfeiern begreifen, stellen ihre Tracks nicht selten Beat und Sound zerhackende Kakophonien dar – bar jeder einfach nachvollziehbaren Struktur. Für die anderen repräsentieren sie – gerade durch dieses scheinbar chaotische Moment – die absolute Befreiung der Musik aus sämtlichen Korsagen und Formatierungen, deren erhabene Schönheit sich erst nach einer angemessenen Neujustierung der Ohren und der eigenen Hörgewohnheiten offenbare. Aber bringt uns dieses Wissen in irgendeiner Weise näher an das Phänomen dieser Musik? Und wie lässt sich diese Musik überhaupt adäquat beschreiben? Am ehesten kann man sich die Musik von Autechre wohl so vorstellen: Algorithmen-Musik, wie sie sich Roboter erträumen oder Mikrochips in einer Rechenpause.

„Exai“ beginnt denn auch wie ein klassisches Autechre-Album, sperrige Stolperbeats und Sounds werden über den ihnen zugewiesenen Zeitrahmen verschoben, addiert, subtrahiert und moduliert. Ist dieser Prozess einmal in Gang gesetzt, läuft er scheinbar völlig automatisiert – ohne menschliches Zutun – ab. Hört man sich manche Tracks auf „Exai“ an, beschleicht einen obendrein mitunter das Gefühl, als wäre zusätzlich deren Anfang, Ende und Länge absolut willkürlich gesetzt. Einige Tracks wirken in ihren Spannungsbögen überdehnt oder zerfallen in disparate Teile. Dieses Phänomen ist schon im ersten Track „Fleure“ zu beobachten, wenn das Stück bei 3:54 kurz mit Stille abbricht um dann anschließend eine weitere Minute völlig anders und neu fortgeführt zu werden. „Exai“ spielt offensichtlich mit dem Rezeptionsverhalten seiner Hörer und ihrer Erwartungshaltung, wann zum Beispiel Songs anzufangen und aufzuhören haben, bricht diese teilweise auf – dieser Ansatz fand sich zuletzt auch bei „Truant“ von Burial. Das geht teilweise gut, manchmal wirkt es allerdings befremdlich. So erscheint das Ende von „Fleure“ eher wie das Intro zum folgenden „irlite (get 0)“, nur dass der Trackmarker eben wunderlich gesetzt ist. Diese Aufmerksamkeitsverschiebung gewahrt man aber nur, wenn man das Tracklisting mit seinen kryptischen Titeln ständig vor Augen hat oder wenn man sich wundert, dass man liebgewordene Tracks nicht auf Anhieb wiederfindet, weil diese eben nur Passagen in anderen Einheiten sind.

„irlite (get 0)“ ist jedoch ein gutes Beispiel für die, bei aller ausgestellten Sperrigkeit, vorhandene und vielleicht sogar gewollte neue Zugänglichkeit von Autechres Stücken, wird es doch durch eine exponierte Snare strukturiert. Dies bietet dem Ohr eine klare Orientierung durch Geradlinigkeit, unter der umso heftiger das vermeintliche Chaos brodelt. Andere Tracks, wie „T ess xi“ oder „bladelores“, lassen durch ihre Shuffle-Beats (Post-)Dubstep und/oder Glitch mit der Prozessierung der Sounds anklingen. So beginnt „bladelores“ wie Dubstep für Dreibeiner, der im weiteren Verlauf einen nahezu eingängigen, hypnotisierenden Flow entwickelt um sich am Ende, nach zwölf Minuten, im ambienten Nirwana aufzulösen. Eine Art Anbiederung an eine dominierende Ästhetik darf hier allerdings nicht unterstellt werden, werden einem im weiteren Verlauf doch noch der eine oder andere – sprichwörtliche – Knüppel zwischen die Beine geworfen. Bisweilen sind über das Album verteilt sogar humanoide Restsequenzen zu vernehmen.

Abschließend könnte man konstatieren: Eigentlich alles beim Alten in der großteils selbstreferenziellen Welt von Autechre.

Aber „deco loc“, fast am Ende des Albums, wartet dann doch noch mit einer Überraschung auf. Es wird ganz prominent und offensichtlich The Human Leagues „Being Boiled“ gesampelt, sodass es anfangs tatsächlich wie der Auftakt zu einem Remix wirkt – auf einmal stehen der Mensch und die (Musik-)Geschichte sehr plastisch im Raum. Das wirft dann natürlich doch die Frage nach der menschlichen Urheberschaft der Musik von Autechre auf. Wirkte diese bisher, wie oben beschrieben, wie autarke Maschinenmusik – rein mathematischen Gesetzen folgend – bricht hier auf einmal explizit der menschliche Faktor der Materialauswahl in diesen scheinbar hermetisch-synthetischen Kosmos ein. Dieses Sample öffnet obendrein ein Fenster zur Historizität, einer Kategorie, der sich Autechres Musik bisher meist verweigert hatte. Nicht zuletzt lebte und lebt ihre Musik doch auch immer durch ihre kaum greifbare zeitliche Referenz. Was das nun alles für Autechre bedeutet, muss jeder für sich entscheiden. „Exai“ bietet mehr als eine konstruktive Diskussionsgrundlage.

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