Nathan (XI): Musik in niederen Rängen

Nathan klang wenig begeistert. „Neee … Das ist wirklich nichts für mich. Ich kann doch gar nichts. Und mir fällt nie etwas ein.“

„Von wegen. Du hast ein Eulenkatzenbärentier bei Dir im Zimmer sitzen. Darauf muss ein erwachsener Mensch doch erst einmal kommen!“

„Siehst Du, Dir fällt auch nichts ein. Über Totoro hattest Du Dich neulich schon lustig gemacht. Du wiederholst Dich.“

„So? Wiederhole ich mich? Dann machen wir halt repetitive Musik, das ist doch mal was. Und außerdem habe ich mich nicht über Tattero, sondern Dich lustig gemacht.“

„Na, dann ist ja gut, Stefan. Und was willst Du machen? Repitive Musik?“

„Repetitive Musik, wiederholende ist das, oder? Wir könnten doch so was Elektronisches machen. Immer dasselbe, ganz einfach. Das kriegst Du doch hin.“

„Du spielst kein Instrument und ich gar nicht Schlagzeug, eine tolle Idee. Und dann machen wir obendrein elektronische Musik. Das ist doch Blödsinn.“

„Eben, genau. Und weil ich so beknackte Ideen habe, brauche ich Dich. Du stellst nämlich fest, dass sie blöd sind. Und hast eine gute, so als Ausgleich. So wird das was, wirst schon sehen.“

„Pah, gute Idee … manchmal fällt mir zehn Minuten nach dem Kochen ein, dass der Herd abgeschaltet werden sollte … und das war’s.“

„Ein Genie. Du bist ein Genie.“

Der Weg zum Proberaum von „Reißverschließer“, einer mit Stefan befreundeten gutbürgerlichen Deutschpunkband, wurde jungenhaft ausgelassen zurückgelegt. Gegenstand der durch eine Flasche Sekt befeuerten Albernheit war die Zukunft ihrer noch zu benennenden Gruppe. Stefan alberte Großes zusammen, Nathan grantelte Spöttisches dazu. Schließlich betraten sie einen Bunker.

„Verdammt, das stinkt aber scheußlich. Und wir dürfen hier wirklich rein?“

„Sicher, sonst hätten wir ja den Schlüssel nicht bekommen, oder?“

„Schon … aber wir sollten hier nicht drin sein. Danach kann ich meine Klamotten doch wegwerfen. Und meine Lunge in die Waschmaschinen stecken. Oder andersrum.“

„Ja, hier ist es ein bisschen feucht … das muss wohl so sein. Jeder Proberaum ist feucht, ganz bestimmt. Auf jeden Fall in Hamburg. So, hier sind wir.“

Eine große Stahltür mit drei Schlössern wurde umständlich geöffnet, dahinter brummte etwas in der Dunkelheit. Neonröhren flackerten auf, und Nathan machte in der Mitte des fensterlosen Raums eine Art Staubsauger aus. Von dem also stammte das Geräusch. Darin steckte ein unreinlich braun gefärbter, durchsichtiger Schlauch, der im Wasser eines überlaufenden Bottichs endete. Ringsherum befand sich eine Pfütze. Zwischen dieser und der mit einer fleckigen Filzdecke abgehangenen Wand stand das Schlagzeug. An den Wänden rechts und links standen von gekonnt lässig verteilten und mehr oder minder leeren, aber stets bereits seit Längerem geöffneten Bierflaschen umsäumte Verstärker.

Stefan wunderte sich, anders als Nathan, über nichts, er war bereits öfter hier gewesen. Reißverschließer probten so selten, dass sie nie Konzerte spielen konnten. Das wiederum brachte sie auf die Idee, jede Probe zum Konzert zu machen.

„Verdammt … sieht voll aus, komm, wir bringen erst mal das Wasser zur Toilette.“

„Und das kommt woher?“

„Na, aus der Luft. Wäre doch sonst zu feucht hier.“

„Aha.“

Vier Stockwerke ging es nun hoch, durch Gänge, die, von den bemalten und beklebten Türen einmal abgesehen, recht unwirtlich aussahen. Zumindest dann, wenn mal alte Poster, krakelige Tags und zotige Schmierereien als wirtlich empfand.

Nathan war über seine Umgebung wenig erfreut. „Lass mich bloß nicht allein hier stehen, ich finde ja sonst nie heraus … warum muss das alles so hässlich sein? Und wie viele Bands sind hier eigentlich?“

„So drei bis vier pro Raum bestimmt.“

„Dann gibt es doch schon genügend, dann braucht’s uns doch nicht noch.“

„Doch, wir sind nämlich viel besser.“

„Gar nix sind wir. Du spielst nicht mal ein Instrument.“

„Doch, Bass. Seit jetzt gleich.“

Zurück im Raum schaltete Stefan den Verstärker ein, griff zum Instrument und strich einmal mit der flachen Hand über die Saiten. Es kam kein Ton. Er nahm sich ein Plektrum, schabte an den Saiten. Wieder kein einziges Geräusch.

Nathan hatte hinter dem Schlagzeug Platz genommen und fragte sich, was das hier sollte. Früher hatte er ein paar Stunden Unterricht erhalten, sollte damals aber immer nur auf der Snare trommeln und sich dabei ganze fünf Wochen gelangweilt , bevor er das Kit gegen ein SNES tauschte. Seine Eltern waren wenig erbaut, er selbst aber bald der beste Mariokartspieler der Schule und damit hoch zufrieden.

Jetzt also, mit Ende zwanzig, ein erneuter Versuch. Wie war das noch mal … ah, linke Hand Snare, die rechte musste was mit der Hi-Hat machen. „Tsch … Tsch, Tscccccchhhhh … Bmm …“, Moment, das Fell der Snare spannen. „Tschak!“. Warum nicht. „Tschak!“. Dazu dann das „Bomm“ der Bassdrum, hej, die war ganz gut. „Bomm Tschak!“. Nicht schlecht. „Die großen Becken und Toms lasse ich weg, bin ja kein Rockist … oder was meinst Du, Stefan?“

„Ja, repetitive Musik braucht das nicht, jaja … ähem, kennst Du Dich damit aus?“ Stefan selbst nämlich offensichtlich nicht, er drehte an allem, woran sich drehen ließ, hatte aber außer dem Klacken diverser Kippschalter noch keinen Ton erzeugt.

„Nein. Aber elektronische Geräte sollten nicht auf Standby stehen.“

„Ahhh! Siehst Du, ein Genie bist Du. Ich mach gleich mal den anderen Sekt auf, ja?“

„Ja. Und dann?“

„Spielen wir Musik, ja. Hehe.“

Bomm. Tschak in Wiederholung. Dazu schlug Stefan die leeren Saiten des Basses an, hin und wieder griff er einen Ton, doch nichts klang annehmbar. Obendrein war das Instrument nicht gestimmt.

Nach zehn Minuten klagte Stefan über brennende Fingerkuppen, nach fünfzehn Minuten wurde die Probe durch ihn für beendet erklärt. Nathan hätte gern bemerkt, repetitive Musik sei das aber noch nicht gewesen, die bräuchte ja Wiederholung, so etwas Profanes wie Übung in etwa, befürchtete aber, Stefan so auf die Idee zu bringen, das hier müsse dann eben wiederholt werden. Er schämte sich, wusste aber nicht, weshalb und vor wem.

“Philosophy of the World” von The Shaggs ist 1969 via Third Word Records (mehr oder weniger) erschienen.

3 Kommentare zu “Nathan (XI): Musik in niederen Rängen”

  1. Nice-o! Äußerst realistisch. Und gleich werde ich Kleidung und Atemwege wie beschroben mißbrauchen. Und das mit Wonne.

    Die Shaggs-Platte wurde sogar noch ein paarmal wiederveröffentlicht. Einmal auf Betreiben von NRBQ. Man kriegt sie zu stolzen Preisen im Internet oder als Bezahl-mp3. Was im vorliegenden Fall wohl besonders wenig Freude macht, so ohne Booklet und so.

  2. Lennart sagt:

    Naja, ganz so wie oben beschrieben wird’s ja dann Gott sei Dank doch nicht gewesen sein, hoffe ich und, naja, weiß ich. Puh.

    Und jepp, die Platten kamen ab und zu mal wieder zum Vorschein. Wird wohl auch so bleiben, der Ruhm der Band wächst ja mit den Jahren, und Jahren, von denen werden noch ein paar kommen…

  3. […] „Na, Stefan sagte, ihr würdet jetzt Musik machen.“ […]

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