Wer weiß warum, aber Großstädte bei Nacht erzeugen eine ganz bestimmte Atmosphäre. Die hat wenig mit dem Trubel des Tages zuvor zu tun. Wie ein Nebel legt sie sich um die Häuser und in die Straßen. Das ist kein neues Phänomen. Hundert Jahre nach dem Expressionismus scheinen sich das Bild und die Schlechtigkeit der Menschenansammlungen nur noch in verregneten, dunklen Nächten abzuspielen. Erstaunlich ist dabei, dass es immer wieder neue Facetten in dieser Grundstimmung gibt. Gil Scott-Heron schafft mit „I’m New Here“ nun eine weitere dunkle Gasse, die doch keiner anderen gleicht.

Mit dem frühen Soul hat diese Scheibe nichts mehr zu tun. Dieser liegt an so manchem Bordstein zwar noch schwer atmend, ist aber nur noch eine Randnotiz. „On Coming From A Broken Home Part 1“ startet dann auf Kanye Wests „Flash Lights“. Die düstere Poesie Scott-Herons nimmt sofort gefangen. Was folgt ist eine halbe Stunde voll von Düsternis und Zweifel. Die urbane Kälte saugt die Stücke blutleer und lässt sie in ihren ganzen isolierten Beats allein. „Me And The Devil“ drückt sich durch seine Clap Hands und Beats. Im Takt von Schienen zeichnen die Worte die Kargheit, in der für Licht kein Platz ist. Blues ist nur noch ein Schimmer, ein entferntes Echo. Dann, wenn in „I’ll Take Care Of You“ die Streicher eine kaputte Stimme tragen oder in „New York Is Killing Me“, das wieder mit seinen künstlichem Klatschtakt reduziert verschwimmt. Brüchigkeit und Rhythmik verschmelzen und über all dem thront eine dunkle Stimme, die sich zum Erzähler reduzieren lassen will.

Nur selten wie am Ende von „The Crutch“ wird etwas wie ein Herzschlag deutlich, lassen sich Emotionen erahnen, die in den Fassaden verborgen liegen. Dann, wenn das Poetische aufgebrochen wird und in Musik überfließt. „I’m New Here Again“ singt Scott-Heron im Titelstück des Albums, das sich nur mit ein paar gezupften Saiten über Wasser hält.  Melodie kann sich nur so an dieser einen Stelle breit machen und doch bleibt sie nur ein Rudiment, das unter der Rhythmik der Worte schimmert.

Egal wie einen diese Scheibe erwischt, sie kriegt einen. Mit ihren dunklen Straßen, mit ihren verkrüppelten Gefühlen, mit ihrer Abhängigkeit, mit ihrer Sehnsucht. Es ist das tiefe Grollen, dass im Fundament schlummert. So endet alles wieder zu dem Sample von „Flash Lights“. Es ist immer noch hoffnungslos und die Sonne geht trotzdem jeden Morgen wieder auf. So schließt sich der Kreis.

84

Label: XL Recordings / Beggars / Indigo

Referenzen: King Midas Sound, Fever Ray, Nick Drake, Marvin Gaye, Darkstar

Link: Website

VÖ: 05.02.2010

2 Kommentare zu “Rezension: Gil Scott-Heron – I’m New Here”

  1. gawain sagt:

    Ich gratuliere zur sehr sehr gelungenen Rezension. Hätte ich mir so nicht angehört bin aber jetzt vor allem von „New York Is Killing Me“ sehr sehr angetan, danke dafür :-)

  2. […] des Lobes für die Avantgarde-Postpunker These New Puritans, den schrägen Gonjasufi, Altmeister Gil Scott-Heron, die im Untergrund von Los Angeles wühlenden Liars, songstrukturiertere Efterklang, Owen Pallett […]

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