Wie hyperesistent Norwegen ist, belegt der Blick in den Rückspiegel. 2002: In Schweden und dem Rest der Welt wütete gerade die Garagenrock-Renaissance, die Verstärker stehen auf Anschlag. In Norwegen blieben die Gitarren leise, quiet is the loud. 2005: Überall schießen hysterische Diskopunker und Neo-Wave-Rocker aus dem Boden, die noch schnell ein wenig Erfolg erhaschen wollen. Erfolg, den inzwischen jede Band bekommt, die „Gang Of Four“ auch nur annähernd fehlerfrei buchstabieren kann. Im Küstenländle Norwegen growlen beständig zottelige Fjordbewohner ihre bestialischen Urschreie ins Mikrophon.

Es ist beruhigend mit anzusehen, dass sich die knapp fünf Millionen Nordländer kaum beirren lassen, wenn es um Musik geht. Ihr anachronistisches Setting ist nämlich dabei der Garant für Außergewöhnliches – besonders im Metal- und Elektronikbereich. Seit Jahren schon ist Oslo weltweit die wichtigste Enklave für Disco und Cosmic House, was unter anderem dem Erfolg Hans-Peter Lindstrøms zu verdanken ist. Kaum ein anderes Fleckchen auf diesem Planeten kann mit der bemüht szenigen Hafenstadt konkurrieren. Objektiv betrachtet, mangelt es im Globopop-Kosmos jedoch auch an adäquaten Mitstreitern, schließlich sind synthetische Giorgio-Moroder-Klänge und funkige Diskoteppiche auch anno 2009 nicht gerade Kassenschlager und das musikalische In-Thema. Entsprechend haben die Monopolisten aus Oslo ein leichtes Spiel.

Cosmic Disco ist eine musikalische Spielart, die heutzutage eigentlich nur noch nostalgische Gefühle heraufbeschwört. Und doch schafft es dieser sympathische Norweger ein ums andere Mal zu faszinieren, was nicht zuletzt daran liegt, dass er bei allem Zitatreichtum das Gefühl der Originalität bewahrt. Seine Songs tönen ebenso zeitgemäß wie mit einer Jahrzehnte alten Patina überzogen. Mit Silje Isabelle Birgitta Sandoo alias Christabelle fokussiert er nun den Tanzflur. Nicht, dass er das nicht schon immer gemacht hätte, jedoch waren die zuletzt entstandenen brutal romantischen Weltall-Epen (zwischen zehn und vierzig Minuten lang) doch eher für den Kopfhörereinsatz prädestiniert. Das neue Kurzformat kommt dem Songwriting zugute. Das Plus an Melodien, das Mehr an unterkühlter Stimme und Stimmung hinterlässt fast ausschließlich positive Hör-Spuren – nur albumauswärts wird es etwas beliebiger und mit „Let’s Practice“ sogar ein wenig nervig. Mit „Baby Can’t Stop“, „Lovesick“ (darauf sind besonders die Chemikal Brothers ziemlich neidisch) und dem herrlich post-weihnachtlichen „Keep It Up“ sind jedoch drei Hits dabei, die sofort das Format zu Klassikern haben.  Seine poppigen Songs bedienen dabei zugleich Vergangenheit und Gegenwart und sind doch fest geerdet. „So Much Fun“ gefällt sich beispielsweise als Bastard aus Duran Duran, Roxy Music und Daft Punk, aber versteigt sich nicht in deren Plattheiten. Überhaupt vereint Lindstrøm scheinbar Unvereinbares: Reduktion ohne Minimalismus. Oder melodisch zu sein, ohne anbiedernd zu wirken. Tanzbar zu sein, aber gar nicht so beatlastig, wie es sein könnte. Schließlich ist es eben diese kultivierte Form der Italo Disco, die bereits vor Jahrzehnten die Vinyls statt auf 45 Umdrehungen pro Minute nur mit 33 spielte und so ein schleppendes Moment institutionalisierte, das späterhin als kosmischer Groove ein Markenzeichen werden sollte. Für die passende ironische Überspitzung steigt Lindstrøm auf einem Track sogar nicht nur auf das übliche Bremspedal, sondern lässt die Platte gleich rückwärts laufen, was „Never Say Never“ glatt den Tanzboden unter den Füßen wegzieht. Er weiß schließlich ganz genau, was er da tut.

Der Rest pluckert wie von einem anderen Stern. Gnadenlos bunt, nie wirklich kitschig, dafür ist seine Produktion zu cool, wie er mit der Brechung im Albumtitel gleich deutlich macht, die durchaus auch selbstbezüglich verstanden werden darf. Und wenn selbst Diskoschmock und aus der „Kiste des Grauens“ geborgene Instrumente wie Mellotron, Schlager-Synthie oder Glockenspiel diesem Album nichts anhaben können, dann zeugt das von einer einmaligen Qualität. Zwischen kuscheliger Romantik, sphärischen Flächen und jubelnden Beats feiert auf „Real Life Is No Cool“ die Aktualisierung des uralten Diskobegriffs Triumphe.

82

Label: Smalltown Supersound

Referenzen: Prins Thomas, Duran Duran, Roxy Music, Giorgio Moroder, Mental Overdrive, Bee Gees, Diskjokke

Links: myspace

VÖ: 22.01.2010

7 Kommentare zu “Montags-Preview: Lindstrøm & Christabelle – Real Life Is No Cool”

  1. Pascal Weiß sagt:

    Sehr interessante Herangehensweise, Markus, spannend zu lesen!

  2. Eva-Maria sagt:

    Macht noch mehr Lust aufs Reinhören, das! :)

  3. […] übereinstimmend diskutierte man auch an anderer Stelle: Mit Pantha Du Prince, Four Tet oder Lindstrøm & Christabelle konnte der Elektrosektor zu Beginn des Jahres ein gewisses Übergewicht verbuchen, das die […]

  4. […] in diesen Tagen mit Pantha Du Prince, Four Tet, Pawel oder Lindstrom & Christabelle eine ganze Schar von ambitionierten neuen Veröffentlichungen aus dem Elektrosektor die Redaktion […]

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