Xul ZolarHeidelbach

Der britische Kulturjournalist und Postpunk-Experte Simon Reynolds hat sich in seinem Buch „Retromania“ gefragt, weshalb Popkultur trotz technologischer Fortschritte oft so sehr an der Vergangenheit hängt. Vielleicht ließen sich die Thesen von Reynolds auch anhand der vierköpfigen Band Xul Zolar aus Köln gut erörtern. Stilistisch schaut die Gruppe jedenfalls gerne in den Rückspiegel: in die achtziger Jahre, die Blütezeit von New Wave und elektronischer Musik. 2018 erschien ihr Debütalbum „Fear Talk“, das Synthie-Pop dezent mit Elementen aus kontemporärer Popmusik verknüpfte. Der Sound wurde gelobt und provozierte Vergleiche mit Gruppen wie Talk Talk und Roxy Music, die in den Achtzigern ihre künstlerischen Hochpasen hatten.

Für den Nachfolger haben sich Xul Zolar Zeit gelassen. Die elf Songs von „Heidelbach“ entstanden im Winter zwischen 2021 und 2022. Die Mitglieder haben viel Demo-Material gesammelt und sich dann gemeinsam um den Feinschliff gekümmert. Produziert hat das renommierte Kölner Elektro-Duo COMA, namentlich Marius Bubat und Georg Conrad. Um es direkt zu sagen: Ein Großteil der Lieder orientiert sich nun noch unverblümter an den Soundwelten der Achtziger. Der raffinierte Synthie-Pop und die Leadgitarre im Song „Talk It Out“, der sensibel Beziehungsprobleme thematisiert, erinnert etwa an New Order. Die Klangästhetik von „Before“ wäre ideale Musik für Werbeclips von Nebelmaschinen. Der atmosphärische Opener „MSCI“ lässt mit seinen wabbrigen Synthesizer-Spuren hingegen an das Lied „Under Your Spell“ von der 2009 gegründeten Electro-Pop-Band Desire denken, die vor allem durch den Soundtrack zum US-Film „Drive“ bekannt wurde.

Noch ein Highlight aus dem Album wäre das schon im Vorfeld veröffentlichte „Protocol“, das an die Titelmelodie von „Stranger Things“ erinnert. Das ist bekanntlich die Serie, die den Kult um die achtziger Jahre nochmal verstärkte. Klar, musikalisch ist auch „Heidelbach“ ein nostalgisches Album. Andererseits ließe sich erwidern, dass die Mitglieder der Band wohl erst Ende jenes Jahrzehnts geboren wurden oder in dieser Zeit allenfalls die ersten Gehversuche unternommen haben. So gesehen erinnert man sich nicht nur des musikalischen Kosmos der Achtziger, er wird vielmehr eigenhändig erschlossen. Genau das macht die Band ziemlich gut. Ein paar mehr Tempowechsel hätten dem ersten Drittel der Platte nicht geschadet, andererseits kann man so auf Albumlänge wunderbar in die Melange aus Gitarren und Synthesizern eintauchen.

Zudem deuten manche Songs subtil durchaus andere Richtungen an: Das tolle „Underwater“ beginnt als Dream-Pop, nimmt dann aber etwas Fahrt auf. Nicht nur die Synthesizer und Beats von „Night“ würden problemlos in die DJ-Sets oder tanzbaren Songs von Roosevelt passen, der Xul Zolar für eine Aufnahme eine Akustikgitarre lieh. Support bekam die Band auch von der Musikerin Hanitra Wagner, die den Sänger Ronald Röttel in drei Stücken begleitet. Seine sanfte Stimme passt zu den Arrangements und widmet sich textlich etwa schlaflosen Nächten, Angst und Vergänglichkeit. Mit dem Albumtitel hat das aber nichts zu tun: Der spielt auf die Holzbaufirma an, auf deren Gelände sich der Proberaum des Quartetts befindet. Der Vater des Geschäftsführers der Kölner Firma heißt Karl Heidelbach und war Künstler – wie Xul Solar, der argentinische Namensgeber der Band. Mit ihrem zweiten Album beweist sie, dass musikalisch schon bekannte Pfade keineswegs Holzwege bedeuten müssen. Sie versteht ihr Handwerk, aber Gitarrenbretter gibt es nicht im Angebot. Zum Glück. Wer den stilsicher melancholischen Synthie-Pop von „Heidelbach“ einmal für sich entdeckt hat, kann sich glücklich schätzen und mit dieser Musik vielleicht sogar neue Erinnerungen sammeln.

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