Rival ConsolesArticulation
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Label:
Erased Tapes
VÖ:
31.07.2020
Referenzen:
Kiasmos, Jon Hopkins, Helios, Moderat, Pantha Du Prince, Lorn, Four Tet
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Autor: |
Markus Wiludda |
Eng an eng kuschelt eine Ansammlung von hageren Balkendiagrammen im ersten Segment. Im zweiten hingegen stehen Pyramidalformen Spalier, grimmig an der Grundlinie ausgerichtet wie Zähne eines Haifischs, bevor sich im Schlussdrittel wellenförmige Linien erst zerstreuen, dann verdichtend gruppieren. Mit farbigem Marker sind darüber Crescendi eingezeichnet, die ihre Position stellenweise willkürlich und frei interpretieren.
Was für das Passspiel auf Bundesliga-Niveau sicherlich abträglich wäre, ist der persönliche Versuch Ryan Lee Wests, der rein digitalen Ausproduktion seiner Ideen eine analoge Konzeptphase vorzuschalten. Auf seinen karierten Kompositionsblättern verbindet er formal-strenge Notationen mit spielerischen, vielleicht sogar zufälligen Elementen, die er erneut aufgreift und als Klanggeste in seine Tracks überführt. Wie lässt sich die Bewegung einer Bleistiftwolke klanglich abbilden? Wie kann man mikroskopischen Punkten eine akustische Entsprechung bieten?
Über Zufallsverfahren und zeichnerische Zugänge einen (digitalen) Schaffensprozess zu unterstützen, ihn gar zu ermöglichen, ist keine gänzlich neuartige Herangehensweise. Passende Inspiration saugt der Londoner Produzent aus den Partitionen György Ligetis der Fünfzigerjahre sowie Rainer Wehingers visuellen Listening-Scores zu “Artikulation”, welche er auch im Titel zitiert. Während jedoch in der rumpelnden Entdeckerkiste der Early-Electronic-Avantgarde die Bruchstücke und Field Recordings nur behelfsmäßig zusammengelötet sind und so kantige und abstrakte Klänge mit vielerlei Offenheiten drumherum entstehen, misstraut West bisweilen der Tragfähigkeit seines Konzepts und schüttet Leerstellen wie jeher mit allerlei buschigem Hall und freundlich zuwinkenden Effekten zu, bis seine Songs altbekannt frisiert sind. Die Kommunikation der Töne, sie verläuft in geregelten Bahnen. Es muss sich niemand fürchten, dass Rival Consoles nun nicht mehr nach Four Tet oder Jon Hopkins klingen.
Derartige offen zur Schau gestellte Verbindungslinien müssen jedoch nichts per se Schlechtes verheißen. “Articulation” beginnt direkt mit einer halbkräftig pumpenden, euphorischen Gefühlsduselei namens “Vibrations On A string”. Ein überaus freundliches Hallo, rundgeschürft tänzelnd, fast taumelnd, die zahmen Verzerrungen mit einem wohlig-massierenden Grundbass in Schach haltend. Auch “Forwardism” hüpft vor Wiedersehensfreude aufgeregt und wird in bekannter Manier ganz leicht aus dem Takt geschubst. Ein Pantha-Du-Prince-Gedächtnisglockenspiel schaut vorbei.
Von hier an gewinnen die Tracks an Eigenständigkeit, Variantenreichtum und struktureller Raffinesse. Auch tut es dem Werk sehr gut, dass West hier etwas vorsichtiger vorantastend und subtiler musiziert als beim allzu fröhlich hereinstolpernden Vorgänger.
Man wünschte sich gar noch viel weniger funktional gedeichselte 4/4-Bässe und ein Mehr an gebrochenen Tönen. Mehr Momente, die tiefgründiger funkeln und schwärzer faszinieren; so wie “Melodica”, das als kontemplative Umgebungsmediation vor dem synkopierten Stolpler mit Stimmungsschwankung namens „Articulation“ seine kontrastive Wirkung nicht verfehlt. Zu oft bleibt es jedoch bei Andeutungen wie beim zaghaften Einflechten von Vogelgezwitscher auf „Sudden Awareness Of Now“, die das eskapistische Narrativ der Romantik nur anreißen, anstatt ihm Raum zur Entfaltung zu geben. Es darf also gerne beim nächsten Mal in der Partitur hemmungsloser ausgestanzt, herumgerissen und mit Edding geschmiert werden.