SuedeNight Thoughts

Niemand jammert so schön wie Brett Anderson. Ob auf Suedes Debüt vor 23 Jahren, dem kommerziellen Höhepunkt drei Jahre später, seinem Ausflug mit The Tears oder komplett solo: Das Leid der Welt, ohne allzu pathetisch und weinerlich zu klingen, auf den Punkt zu bringen und dabei vom einen auf den anderen Moment in höchste Glücksgefühle umzukippen, ist eine Kunst, die er wie kein Zweiter beherrscht. Dabei ist das Motiv fast egal. Früher ging es um die ganz große Politik, um das Vereinigte Königreich, um Europa. Spätestens bei Andersons intimen Soloalben liegt der Fokus auch bei Suede aber auf dem Persönlichen, in „Night Thoughts“ mehr denn je.

Bestätigt ist es zwar nicht, aber es wäre wenig verwunderlich, wenn sich Suede bei der Namensgebung und Themenfindung nicht auf Edward Youngs gleichnamiges Gedicht aus der Mitte des 18. Jahrhunderts gestützt hätten. Voller Titel: „The Complaint: Or, Night-Thoughts On Life, Death, & Immortality”. Ein ganzer Berg düsterer Gedanken also, ebenso ein großer Anspruch, an dem man leicht scheitern könnte. Die Band meistert die Aufgabe auf den ersten Blick geschickt und zeigt sich vor allem wie gewohnt extrem geschmackssicher, was große, bedeutungsschwere Melodiebögen angeht. Zusammen mit Andersons Gespür für den passenden Pathos sollten das eigentlich vorzügliche Voraussetzungen für ein Album nach Maß sein. Doch ganz rund läuft es nicht. Denn „Night Thoughts“ hat vermehrt mit den Luxus- oder je nach Blickwinkel elementaren Problemen zu kämpfen, die sich schon auf dem Vorgängerwerk andeuteten.

Pompöse Arrangements legen sich voluminös und allzu perfekt über die Schwermütigkeit, das Zusammenspiel der Kräfte gerät zusehends aus den Fugen. Solange die Balance zwischen Andersons Lamentieren und der Dynamik der melodielastigen sowie orchestralen Momente gewahrt bleibt, ist das Ergebnis mitreißend („No Tomorrow“, „The Fur & The Feathers“), doch zwei, drei Mal zu oft gerät die Grundidee dadurch zu deutlich in den Hintergrund. Bestes Beispiel hierfür ist „I Don’t Know How To Reach You“. Während Anderson mit zwischenmenschlichen Problemen hadert, kommt die musikalische Begleitung eher einem euphorischen Triumphzug gleich. Etwas mehr Bescheidenheit wäre hier, wie auch bei einigen anderen Songs, angebracht gewesen. Schließlich leidet durch diese ohne Not herbeigeführte, übertriebene Zugänglichkeit auch der Langzeitwirkung des Albums.

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