NachklappUnsere Leser auf dem Le Guess Who? 2015

Es ist der 20. November 2015, endlich geht das Le Guess Who? los! Naja, streng genommen ging es schon einen Tag vorher los. Nur halt ohne uns. Wir sind übrigens Christina, Fridi und ich.
In Utrecht wohnen wir bei einer netten Dame, die selbst verreist ist über das Wochenende und uns ihre Wohnung und die zwei Katzen Mietz und Matz (oder zumindest so ähnlich) überlässt. Beide Katzen beschließen, panische Angst vor mir zu haben – das soll aber nicht weiter stören, denn jetzt gehen auch schon bald die Konzerte los. Wir starten mit den gewohnt energetischen Titus Andronicus. Sänger Patrick Stickles hüpft, schreit und springt wie wild in der Gegend rum. Dass der Saal nur halb gefüllt ist, scheint aber weder ihn noch das Publikum zu beeinflussen. Schon mal ein großartiger Auftakt. Von einer Bierband zur nächsten: Weiter geht es mit Postpunk von Protomartyr, bei denen, wie auch Freund und Kollege Daniel Gerhardt bezeugen kann, nach drei Songs schon acht ausgeleerte Bierflaschen plus angeschlagenem Sixpack auf der Bühne rollen. Was an Publikum bei Titus Andronicus noch fehlte, scheint sich hier versteckt gehalten zu haben.
Es folgen METZ und springende Massen. Alles und alle fliegen durch- und übereinander. Das Publikum ist derart in Ekstase, dass das Konzert fast unterzugehen droht. Danach brauche ich erst mal eine Pause – schade, denn die jetzt aufspielenden Kanadier Viet Cong hätten es durchaus verdient gehabt, dass ich zu ihren Klängen ein wenig in der Gegend rumspringe. Für den ersten Tag soll es das dann auch gewesen sein. Auf dem Heimweg noch ein paar frittierte Köstlichkeiten vom Febo Automatenrestaurant naschen und dann ab ins Bettchen.
Am nächsten Morgen beschließt Matz, dass wir jetzt beste Freunde sind. Zumindest für eine Viertelstunde. Den Rest des Tages hat er dann wieder Angst vor mir.
Nach dem Frühsück machen wir uns auf Richtung Innenstadt. Parallel zum Le Guess Who? findet das Le Mini Who? statt, überall in der Innenstadt spielen in diesem Rahmen kleinere Bands in Cafés, Kneipen oder anderen Läden. Super, um sich schon mal auf den Abend einzustimmen. Wir entscheiden uns, die Bands anzuschauen, deren Genrebeschreibungen am unterhaltsamsten sind. Wir starten mit „Weird Pop Nerd“ von Goodnight Moonlight, wo die die Umschreibung offenbar für etwas lahmen Synthiepop steht. Tut zwar niemandem weh, reißt einen aber auch nicht vom Hocker. Als nächstes darf sich dann die One-Man-Trash-Band Ottoboy beweisen, er zeigt uns knarzigen Rockabilly. Vielleicht haben seine Lieder, wie zum Beispiel „Rock ’n Roll Zombies On The Run“ oder „German Police Car Missing On Die Autobahn“, nicht den größten Tiefgang, Spaß macht es aber trotzdem. Zum Abschluss dürfen dann noch Häxxan – best Garage Band from sunny Tel Aviv – ran. Ob sie wirklich die besten sind, kann ich nicht beurteilen, aber definitiv mein Favorit des Le Mini Who? und eine Empfehlung wert.
Beim Le Guess Who? steht heute Destroyer, The Drones und Total Control auf dem Plan. Destroyer zeigen dabei im Saal einen gewohnt beeindruckend klaren Sound – hier steht zudem eine halbe Streicher-Mannschaft auf der Bühne. Total Control dagegen wirken wie eine unfassbar angepisste Version von Joy Division – zumindest stelle ich mir ungefähr so immer ein Konzert von Joy Divison vor, direkt anchdem irgendwer Ian Curtis’ Außenspiegel abgetreten hätte. Meinen persönlichen Höhepunkt liefern jedoch The Drones an diesem Abend: Sie starten mit den vollen 8 Minuten von „I See Seaweed“. Was daran so besonders ist? Noch eine Woche zuvor bei einem Konzert im Kölner King Georg war der Song nicht in der Setlist, nach dem Konzert erklärte Fridi der Bassistin Fiona Kitschin dann jedoch, wie cool es wäre, ihn in Utrecht doch mal wieder zu spielen. Und während ich ganz allgemein Bassistinnen weltweit davon abraten würde, auf Karrieretipps von leicht angetrunkenen Fans zu hören, hat sich Kitschin anders entschieden und schafft damit, zumindest für uns, den Höhepunkt des Abends.
Am Ende des Tages gibt es dann wieder kulinarische Hochgenüsse aus der Fritteuse, bevor es zum Schlafen geht. Zumindest versuche ich zu schlafen. Das klappt allerdings nur bedingt, da sich in meinem Bett eine Holzkante versteckt hält. Mir ist völlig schleierhaft, wie ich da zuvor drauf schlafen konnte. Ich überlege, ob vielleicht jemand heimlich die Kante da rein geschmuggelt hat, während ich unterwegs war, doch die Kante ist fest im Bett verbaut. Ich schlafe also halb aus dem Bett hängend und mache mir eine mentale Notiz: Nächstes Jahr Holzlatte einpacken. Wenn’s einen nicht selbst trifft, kann das bestimmt ganz lustig sein.
Am nächsten Tag erklärt Miez mich dann zu seinem besten Freund. Er zieht aber doch wieder beleidigt ab, nachdem ich ihn höflich auffordere, seine Kralle wieder aus meinem Oberschenkel zu entfernen.
Musikalisch wird dieser Tag von Sahar Taha eröffnet. Die singt irakische Volkslieder, und das sehr schön. Leider werden mir hier aber auch die Grenzen meines kulturellen Horizonts aufgezogen und ich erkenne, dass ich Volksmusik auch auf internationaler Ebene eher „so mittel“ finde. Nach diesem kulturellen Experiment geht es dann mit Mikal Cronin weiter. Der hat sich zur Verstärkung ein Streichquartett und drei Blechbläser dazu geholt. Er hat sichtlich Spaß auf der Bühne, während ich mich zunächst noch frage, ob die sieben Extraleute nun wirklich nötig sind. Cronin gibt dann in den finalen Songs die Antwort. Hier passiert das, was man sich von dem Setup gewünscht hatte: Bläser und Streicher dürfen zeigen, was sie können und bereichern jeden Song, so dass er am Ende mehr als die Summe seiner Teile ist. Jetzt erkenne auch ich, dass das nötig war.
Nach Mikal Cronin schauen wir uns Ariel Pink an. Hier kann ich nur wenig über die Musik schreiben, da ich hauptsächlich von der Videoleinwand abgelenkt bin. In der ersten Szene sehen wir da zum Beispiel eine Frau, die gut Nina Hagens pummelige Schwester sein könnte, wie sie mit ihren adretten Freundinnen auf einer Couch rumlümmelt und genüsslich an einem Fuß lutscht. In der nächsten Szene wird uns dann ein halbnackter Muskelmann gezeigt, dem ein Fuß aus der Unterbuchse lutschert. Möglich, dass es der gleiche Fuß ist, an dem sich eben noch Fräulein Hagen gütlich tat. Zumindest wird es danach weniger fußlastig, wenn auch nicht weniger verstörend. Insgesamt pendelt das gesamte Konzert permanent zwischen „irgendwie lustig“ und „irgendwie verstörend“, was alles in allem aber doch sehr unterhaltsam ist.
Die darauf folgenden 60er-Psychedelic-Helden Os Mutantes sind dagegen deutlich einfacher zu verarbeiten. Mit brasilianischer Leichtigkeit bringen sie den Saal zum Tanzen. Auch der große Hit „A Minha Menina“ kommt mit frischem und sauberen Sound. Ich finde das ein wenig schade, da ich den ursprünglichen dreckigeren Klang ganz gerne mag. Da aber, wie gesagt, der ganze Saal tanzt, machen sie es anscheinend genau richtig und auch ich kann nicht wirklich böse sein.
Den Abschluss des Festivals bildet dann Atlas Sound alias Bradford Cox, der mit ruhigeren Klängen überzeugt. Nach ungefähr einer Stunde kommen dann die weiteren Musiker auf die Bühne und aus Atlas Sound wird Deerhunter. Hier wird es dann auch mal wieder etwas schneller, ein tolles Finale an diesem wirklich schönen Festivalwochenende. Einziger Wermutstropfen: Das FEBO-Automatenrestaurant macht sonntags schon um 18 Uhr zu, so dass der zarte Duft von Frittierfett, der noch als leise Erinnerung in der Luft schwebt, für heute reichen muss.
Text: Thorben Huelmann