InterviewArne Zank

Eine von Deutschlands wichtigsten Indie-Rock-Bands kommt wieder auf Tour. Tocotronic stehen kurz vor ihrer großen Herbsttour, auf der sie ihr rotes Album präsentieren werden, das am 1. Mai diesen Jahres erschien und bereits einen Bestenlisten-Platz bei Feuilletonpop-Liebhabern sicher haben dürfte. Zur Erinnerung: Das Oberthema war die Liebe und die Platte erschien samt rotem Cover am 1. Mai, dem Tag der Arbeiterbewegung. Die Ambivalenz war bei den Hanseaten also wieder vorprogrammiert. Doch bei aller Liebe zum Diskurs-Softrock, es geht auch ganz konkret. Aktuell unterstützt die Band die Flüchtlingshilfeorganisation „Pro Asyl“ und unterzeichnete den Appell „Zeit zu handeln“. Einer der vier Soft-Boys, Drummer Arne Zank alias DJ Shirley, hat sich vor dem Tour-Auftakt Zeit für ein Gespräch genommen und über Politik, das rote Album und die Wichtigkeit, sich zu triezen geplaudert.
AUFTOUREN: Ihr macht gerade bei der Aktion „Zeit zu handeln“ mit, bei der sich auch Bands wie Kettcar oder Die Toten Hosen engagieren. Möchtest du etwas zu der Aktion sagen?
Zank: Es geht um ein Statement von Pro Asyl und verschiedenen Künstlern. Und wir haben uns schon auf der letzten Tour mit Pro Asyl über das Thema beraten. Wir sind da auch irgendwie immer ambivalent. Man ist ja politisch denkend und empfindend als Band. Gleichzeitig ist man sich aber auch dessen bewusst, dass es manchmal auch unschöne Auswirkungen hat, wenn gerade Musiker sich politisch betätigen möchten. Deswegen ist man da oftmals auch vorsichtig. Wir fanden das aber gut, weil uns allgemein die Flüchtlingsproblematik in Europa schon länger beschäftigt hat. Das war ein guter Anlass, das zu machen. Und ich kann es tatsächlich auch nicht immer täglich ertragen, weil es mir persönlich sehr nahe geht. Aber natürlich denkt man: Endlich ist es mal als Thema auf den ersten Seiten angekommen! Das ist zu begrüßen, dass da mal offiziell mit umgegangen wird. Auf der anderen Seite gibt es da immer noch schreckliche Nachrichten, aber auch durchaus schöne Nachrichten. Die Hilfsbereitschaft ist toll, ist großartig!
Noch einmal zur Politik in der Musik: Tocotronic-Songs bieten generell viel Raum zur Interpretation. Man kann das als Respekt vor dem Hörer deuten. Auf der anderen Seite gibt es immer eine Haltung und einen Stil, die beide sehr deutlich wirken. Würdest du sagen, dass das der rote Faden im Werk von Tocotronic ist?
Ein roter Faden ja, das ist doch eine gute Album-Promo für das rote (lacht). Es ist schwer, sich da selber zu analysieren. Da hat man auch eine Scheu vor. Vielleicht ist das ein Künstlermythos oder eine Künstlerkrankheit – wenn man darüber zu sehr nachdenkt, dann klappt der Trick nicht mehr. Was du gerade gesagt hast, hat mich sehr gefreut. Und wenn sich das ergibt, dass der Faden rot bleibt, vom Blick auf das Gesamtkunstwerk her und über die ganzen zwanzig Jahre, die wir das jetzt schon machen, dann ist das total schön. Das hat man natürlich auch im Kopf, aber wir haben auch eine Gegenstrategie, dass wir uns gegenseitig verwirren, um Anderes oder Neues zu erfahren. Oder auch um uns nur zu ärgern, mal zu triezen. Auch in Hinblick auf die Tourvorbereitung gerade, da herrscht schon eine große Unsicherheit. Man weiß vom Verstand her, dass man das schon oft gemacht hat und dass das klappen wird. Aber es gibt auch eine totale Unsicherheit, das, was man da eigentlich mit der Band macht, zu bestimmen. Auf der anderen Seite: Die drei, die wir von Anfang sind und die vier, die wir nun schon seit Längerem sind, wir sind immerhin die gleichen Typen. Von daher wäre es auch komisch, wenn sich da nicht Kontinuitäten entwickeln würden.
Das Flüchtlingsthema scheint euch jedenfalls alle zu beschäftigen und war auch auf eurer letzten Platte inhaltlich sehr präsent. Aber auch Nummern von eurer aktuellen Scheibe, vor allem „Solidarität“, kann man auf die Flüchtlingsthematik beziehen. Das rote Album soll zudem das Werk von euch sein, bei dem das Songwriting nicht mehr so auf Dirk zentriert war.
Ein Stück weit kann ich dazu was sagen. Hauptsächlich waren es aber Jan und Dirk, die an den Texten gearbeitet haben. Ich war da gerade in Japan, also ganz weit weg zu dieser Zeit. Aber sie haben zusammen an den Texten gearbeitet, was vorher noch nicht so explizit passiert ist. Wobei Dirk mit den Texten immer sehr offen umgeht, weil er die Stücke schon als Songs fertigschreibt, dieses Mal hat sich diese Zusammenarbeit dann noch konkreter an den Texten ergeben. Eine andere Arbeitsweise hatte man einfach durch die Produktion, weil man nacheinander aufgenommen hat. Es ergaben sich neue Achsen und auch neue Rollenverteilungen, was sehr erfrischend war, was sehr gut, aber auch manchmal schwierig war, weil man viel debattieren musste und man vieles auch neu erfunden hat. Zum Teil musste man sich auch richtig auf Dinge einigen.
Man spürt wirklich, dass das rote Album nicht live aufgenommen wurde. Im Gegensatz zu „Kapitulation“ klingt die Platte nicht sehr rau. Der Vorgänger „Wie Wir Leben Wollen“ lag da eher in der Mitte. Du bist als DJ Shirley und mit deinem damaligen Soloalbum ja auch sehr elektronisch unterwegs. Elektro lebt schließlich davon, dass man Spuren aufeinander legt, von denen das Ergebnis dann nicht mehr live ist. Hast du dich in diesem Sinne eingebracht?
Das ist unterschiedlich. Manchmal überschneidet es sich. Bei der Band passieren auch mal Sachen, wo man Vorlieben ausprobiert, die aus dem elektronischen Bereich kommen. Aber ich glaube, der Eindruck, dass man so sehr auf das Band- und Rockformat geeicht ist, das stimmt auch nicht ganz. Man ist irgendwie auch unsicher und wir haben im Grunde sehr früh Synthesizer auf Platte und live gespielt – da musste ich gerade dran denken. Und wir haben auch Interesse an elektronischer Musik, eigentlich schon recht lange. Wenn man das jetzt so auseinander dividieren möchte. Es gab ja auch die Variationen [Anm.: Remixe und neue Edits zum Album K.O.O.K.]. Das ist so ein Rollenspiel, was wir da betreiben, dass wir mal die Rockband sind, dann aber wieder eher Popband. Was wir schon von Anfang an waren, sich dann aber nochmal anders gezeigt hat. Weil man natürlich mit Indie-Rock aufgewachsen ist. Aber das ist natürlich ein sehr offenes Genre (lacht).
Ich kann mich erinnern, dass du auf der „Schall Und Wahn“-Tour ein ganz frühes Stück gesungen hast. Und zwar „Bitte gebt mir meinen Verstand zurück“. Das hat für mich ganz wunderbar zu dem Oberthema des damaligen aktuellen Albums gepasst. Generell ergeben sich bei euren Konzerten durch die Songreihenfolge fast schon Verwandtschaften zwischen dem alten und neuen Material. Plötzlich ist da ein Bezug zwischen Stücken hergestellt, die mehr als ein Jahrzehnt auseinanderliegen. Nach welchen Kriterien sucht ihr eigentlich die Stücke für die Tour aus?
Das ist ebenfalls sehr unterschiedlich. Das ist auch sehr launische Zusammenarbeit! Jeder hat natürlich seine Lieblingsstücke – oder auch das Gegenteil davon (lacht)! Manche Stücke sind ja auch schwerer oder man mag sie nicht so, weil sie einem nicht so viel sagen. Vielleicht ist das auch ein wenig alt geworden oder es passt für einen nicht mehr so. Aber wir gucken tatsächlich auch ganz konkret, von welcher Platte man noch kein Stück gespielt hatte. Aber letztlich schaut man auf die Dramaturgie. Und da ergeben sich auch häufig Querverbindungen zwischen den Epochen (lacht). Das ist auch sehr schön zu merken. Das ist ein Neuentdecken von diesen Sachen, und das eignet man sich dann auch wieder anders an. Es ist wie ein Sich-selber-Treffen vor fünfzehn Jahren. Das ist auch schon seltsam. Aber wir haben bisher eine schöne Playlist zusammengestellt und sind eigentlich sehr stramm an dieser Liste, weil es auch viel um technischen Schnickschnack geht. Letzten Endes muss man schauen, wie das live beim Konzert selbst funktioniert.
Vielen Dank für das Gespräch, Arne!