Nicht alle Bands gedeihen unter dem Druck und den Erwartungshaltungen, die eine Musikkarriere mit zunehmendem Bekanntheitsgrad mit sich bringt. Twin Sister waren sicher so ein Fall: Ihr Debütalbum war bei Weitem kein Reinfall, jedoch ging ihm größtenteils die Magie ab, welche die ersten EPs des New Yorker Quintetts so traumhaft durchwölkt hatte. Entgegen seines Titels war „In Heaven“ eher zu irdisch, dem Groove fehlte es an Leichtigkeit und feine Songs wie „Kimmi In A Rice Field“ blieben mit weniger Exzentrik im Songwriting etwas limitiert.

Doch mit Grenzen hat es sich nun: Als Mr Twin Sister gibt die Band auf gleichnamigem Album und eigenem Label sozusagen ihr zweites Debüt und erscheint darauf weniger in einer neuen Identität als in der, die sie schon immer hatte. Am Rande der fassbaren Realität driftet ihr sinnlicher Pop elegant daher, Andrea Estella und Eric Cardona vermengen ihre Stimmen nicht über der Musik stehend, sondern mitten in ihre Faser verwoben wenn sie leiser als ein Drumkick, eine loungig gedehnte Gitarrensaite oder synthiges Dämmern erklingen. So taumelt Estella nur so durch die luxuriös verquollene Wattewelt des Eröffnungstücks, ihr „Is this romantic dreaming?“ wandelt sich von einer Frage zur Feststellung, noch während sie es aussingt. Doch Mr Twin Sisters Sound kann auch Isolation oder Einengung unterstreichen, insbesondere im acidig pumpenden „Twelve Angels“, das mit beunruhigend monotonen Moll-Pianoschlägen in nervösem Schritttempo durch eine schmierig-zwielichtige Gegend rollt.

Eine Anomalie ist nicht nur in dieser Hinsicht das finale „Crime Scene“, das mit prominenten Vocals in einem zarten Befreiungsschlag aus der Umnachtung der beengenden Vorgängersongs hervortritt und auf weiche Keyboard- und Gitarrenstriche reduziert ein konventionelles Coda gibt – bis nach einem Fake-Ende doch noch ein ätherisches Raunen das letzte Wort ergreift. Die Grenzensetzung und -verunschärfung erstreckt sich auf den gesamten Schaffensprozess der Band, die zumindest während der Aufnahmen keine feste Rollenverteilung hat: Alle bringen Ideen auf dem für sie dafür sinnvoll erscheinenden Instrument ein, es gibt keine zentrale Figur, so dass Estella auch schon mal einen von Cardona geschriebenen Text singt und umgekehrt. „I am a woman, but inside I’m a man/ and I want to be as gay as I can“, addressiert das housige „Out Of The Dark“ die komplexe Sachlage menschlicher Identität, anderswo sucht „In The House Of Yes“ im Alkohol den Mut zum Weg aus der Beengung („Break out of these walls I have built around me“) und wird dabei nur immer trunkener oder hinterfragt das üppig loungende „Blush“: „Is there even a real me/ Or am I just a series of nights?“

Von softestem Pop über Funk und Disco bis zu Environ-technoidem Antrieb könnte „Mr Twin Sister“ Genremischmasch oder eine DIY-Playlist abliefern, doch die Stilmutationen sind über die Albumentwicklung hinweg so flüssig wie klischeefrei. Bestes Beispiel dafür ist „In The House Of Yes“, das seinen Disco-Funk zwar phasenweise mit Streichern behängt, aber dazwischen immer wieder im unsicheren Leerraum hängt und die Leadstimmen ähnlich im Pitch verschiebt wie später „Twelve Angels“. So sehr die Band auch von Unstetigkeit geprägt ist, ihr Album hält sie mit ungemein soliden Grooveinstinkten zusammen. Die Temperatur bleibt in einem lauwarmen Spektrum, Melancholie und Euphorie halten sich die Balance und auch das Spiel mit Licht und Schatten wird nie so simpel vollendet, dass die Trennwand von Mr Twin Sisters sinnlicher Traumwelt zur Realität wie eine Seifenblase platzt. Entrückt lebt es sich für manche eben besser.

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