
Wow, das da oben dürfte meine erste Clickbait-Überschrift gewesen sein. Was dazu noch fehlt, sind Phrasen wie „7 Gründe, warum wir uns auf Episode VII freuen“ (es geht um Star Wars), „10 Gründe, sich auf den September zu freuen“ oder auch der Hinweis auf eine Liste „Die 50 schlimmsten Alben-Cover aller Zeiten“, „Die besten Serien aller Zeiten“, vielleicht ein Quiz („Wie gut kennt ihr die Rocksongs der Neunziger?“) oder ein Hinweis auf Stars: „Megan Fox und Will Arnett besuchen Berlin zur ‚Teenage Mutant Ninja Turtles‘-Premiere“. Dann nämlich wäre diese Seite hier so professionell wie die Webpräsenz eines Printmagazins.
Kommen wir aber erst einmal zurück zur Überschrift: Selbstverständlich ist es leicht, Popmusik zu mögen, oder zumindest nicht schwerer, als keinen Gefallen an ihr zu finden. Erweitert man die Popmusik jedoch zum Pop an sich und legt die Umstände des Mögens zeitlich fest, ergibt der immer noch platte Satz etwas mehr Sinn: „Es ist nicht leicht, heutzutage Pop zu mögen“. Nun gehört zu Pop allerhand. Da sind Interpreten und deren Auftreten, unsere Vorstellung von ihnen und vor allem die Medien, ohne die keine Information zu Künstlern und ihrer Musik verbreitet werden.
Obwohl ich nicht alt zu sein glaube (glaube, denn Alter ist relativ, diesen Trost benötige ich immerhin schon), erinnere ich mich an Zeiten, in denen ich Musikzeitschriften dankbar für ihre Arbeit war. Regelmäßige Lektüre mehrerer Magazine bot mir eine Art Grundlage in „klassischer Pop-Bildung“, die zwar bis heute lückenhaft blieb, aber meine Liebe zur Musik immer tiefer werden ließ. Es gab keine Trennung zwischen dem Hören von Musik und dem Zusammentragen von Informationen über sie, es war die Voraussetzung dafür. Das ist noch immer der Fall, nur fühle ich mich verlassen. Ich weiß nicht, wann ich zuletzt eine Ausgabe meines damaligen Lieblingsmagazins Musikexpress oder den Rolling Stone, dessen eher konservativere Ausrichtung für mich eine sinnvolle Ergänzung war, in den Händen hielt.
Der Grund dafür ist das Internet. Bämm, schon wieder so ein reißerischer Satz, doch nein, es ist nicht, wie man denken könnte. Es liegt nicht an Spotify, der generellen Verfügbarkeit von Musik, Wikipedia, allmusic oder Blogs, denn guter Journalismus lässt sich durch sie nicht ersetzen. Es liegt an den Websiten der genannten Magazine.
Auf keinen Fall möchte ich die Heftausgabe von Magazinen wie dem Musikexpress oder Rolling Stone mit ihren Webauftritten gleichsetzen. Nicht, weil sie offensichtlich verschiedene Plattformen sind, sondern weil ihre Homepages und Social-Media-Profile dröge sind. Sie teilen uns mit, welche Songs Arcade Fire bei ihren Konzerte gecovert haben (mindestens 15 Newsmeldungen auf musikexpress.de), welchen Murks U2 verzapfen (viel zu viele Meldungen), dass der selbst ausgelobte „ME-Style-Award“ (Musikexpress) an irgendwen verliehen wird (was niemanden außerhalb der Marketingabteilungen von Modeherstellern und der Flure des Axel Springer Verlags interessieren dürfte) und man irgendwelche Sneakers kaufen kann, lauter Dinge als, die gar nichts mit dem zu tun haben, was Musik so wichtig macht. Auch, welche Headliner bei irgendwelchen übergroßen Rockfestivals auftreten könnten und das auch tun, die Toten Hosen in etwa, ist belanglos, das gilt gleichermaßen für transkribierte Simpsons-Dialoge („Lange wurde es angekündigt, nun lief endlich das Crossover zwischen den Simpsons und Family Guy im US-Fernsehen. Wir haben die besten Dialoge zusammengestellt.“, rollingstone.de). Reizvolle Musik wird nicht bei „Rock am Ring“ und auch nicht in Fernsehserien gespielt, und ja doch, „Cersei Lannister: Riesiger Rummel um Nackt-Szene in der fünften Staffel von ‚Game of Thrones’“ (rollingstone.de) kann eine Meldung sein. Deren Berechtigung hat dann aber nichts mit dem Reizwort „nackt“ zu tun, sondern dem Rummel, den strenggläubige Menschen darum veranstalten, worauf die Überschrift nicht hinwies; eine nackte Schauspielerin, das ist scheinbar genug.
Wie gesagt, womöglich fühle ich mich manchmal nur etwas verlassen und möchte nicht hinnehmen, dass meinen einst großen Propheten des Pop, die mich dazu brachten, Musik über viele andere Dinge in meinem Leben zu stellen, Tagesgeschäft und Marketing wichtiger als Interesse und Leidenschaft geworden sind, oder mir war es damals einfach noch nicht klar, schließlich war alles neu und unbekannt.
Überhaupt: Um mein Interesse zu wecken, braucht es keine Clickbait-Überschriften wie die eingangs zitierten, auf musikexpress.de gefundenen. Ein wenig Musik, bestenfalls unbekannte, wäre genug, relevante News zu reizvollen, aber bereits bekannten Künstlern bekomme ich schon woanders. Caribou veröffentlicht ein neues Video, Deerhoof präsentieren einen neuen Song? Das erfahre ich, nur eben nicht auf den Seiten der erklärten Musikmagazine Musikexpress und Rolling Stone, obwohl diese einen neuen Song von TV On The Radio sicher auch zu schätzen wissen, aber keinen Wert darauf legen, ihre Freude in relativer Echtzeit, so wie man das eben online macht, zu teilen. Es gibt ein neues tUnE-yArDs-Video, einen neuen Song von …And You Will Know Us By The Trail Of Dead oder Planningtorock, einen Kurzfilm mit Musik von Flying Lotus? Jepp, und das finden Menschen in ihrer Freizeit heraus und teilen es, siehe auftouren.de/news, nicht aber professionelle Musikmagazine (Stand: 08. 10. 2014).
Was wie aus Behäbigkeit und Geldnot erwachsene Unachtsamkeit, ja Desinteresse wirkt, ist am Ende vielleicht aber nur lieb gemeint. Man respektiert die Leidenschaft unprofessioneller Blogger und lässt ihnen das nerdige Wissen, weil man, anders als sie, schon etwas erwachsener und deshalb nachsichtiger ist, wenn sie noch nicht verstehen, was wirklich in Sachen Musik zählt, zum Beispiel: „Fanliebe. Lars Ulrich: ‚Oasis ist mein Soundtrack für die vergangenen 20 Jahre’“, „Die 10 besten Musikerporträts aus Kassettenband“ oder „Drake: Göttlicher Beistand durch Emoji-Tattoo“ (alles musikexpress.de). Und dafür bin ich ihnen so dankbar, dass ich morgen zum Kiosk eile und ihre Hefte erwerbe, deren Inhalt diese Art von Onlinepräsenz dann hoffentlich rechtfertigt.
Danke Lennart, Du sprichst mir aus der Seele. Mit dem ME bin ich in den 90ern und frühen 00ern musikalisch erwachsen geworden (von den Heften in dreistelliger Zahl konnte ich mich noch nicht trennen. Hat da jemand Verwendung für?). Aber irgendwann wollte ich sie nicht mehr laufen, Zeitpunkt ca. Ärzte-Cover und „Mode“-Rubrik. Aber das ist eine andere Geschichte. Jedenfalls sind die Dinge, die da über die sozialen Medien gemacht werden, furchtbar.
Du nimmst entweder die, die das Lesen und Schreiben mit Ach und Krach gelernt haben, wichtiger noch die, die geistig schon lange nach Arschlochistan ausgewandert sind, und natürlich auch die, die als fleißige Bienchen samt und sonders ohne Skrupel tun, was von ihnen verlangt wird. Und wenn du von jeder Sorte einige beieinander hast, dann kannst du den Focus auf Online-Journalismus richten. Im Musikbereich scheint es weiters wichtig, Musiker als den eigentlichen Feind anzusehen. Man schreibt schließlich nicht über Musik, man urteilt darüber. Gerne auch mit einer Gnadenlosigkeit, die selbst ausgemachten Terrorfürsten ins Gemüt hagelt. Und man SCHREIT, weil reden könnte ja jeder. Und man bauscht auch wirklich alles auf, weil man eben über die journalistische Potenz verfügt, 30 Artikel pro Tag hinzurotzen.
Aber die Masse bekommt ja auch, was sie verdient. Und darum sollte man auch weiterhin über jeden unheiligen Furz eines Grafen informiert werden.
Wo du gerade schon dabei bist, den Webportalen etablierter Musikmedienhäuser die Musikblogger entgegen zu stellen: Ich finde die sollen sich mal selbst und ihre Rolle in dem ganzen ekeligen Spiel hinterfragen. Ist dir mal aufgefallen wie oft die genannten Magazine so Gewäsch aus irgendwelchen Promo-Waschzetteln copypasten, in denen Künstlern jewels Credibility zugeschoben wird, indem man sie als „Liebling der Musikblogger“ oder so ähnlich deklariert? Die graue Masse der Musikblogs ist schon längst zum willenlosen Gehilfen der besagten Promobuden und ihren Marketingkampagnen geworden und wird von denen mit allen Mitteln umworben, um als niederschewlliges Sprungbrett in Richtung Massenmedien zu dienen, mit eingebautem Cool-Faktor. Die weitgehende Inhaltsgleichheit vieler dieser Blogs zeigt dann auch, dass die Rechnung aufzugehen scheint, weil ein Großteil der Blogger nur noch an der Titte der Promobuden nuckelt und dankbar jeden letzten Scheiß aufsaugt und repostet. Es erspart halt ’nen haufen Arbeit, wenn man nicht mehr selbst nach neuer Musik wühlen muss.
An professionelle Autoren kann und sollte man einen höheren Anspruch als an Blogger stellen.
Und
http://www.jahrgangsgeraeusche.de/
http://www.lieinthesound.de/
http://www.nicorola.de/
http://zolinsagt.de/
http://coast-is-clear.blogspot.de/
z.B. sind persönliche Blogs, eigen und auch gut geschrieben, mit interessanteren Artikeln als ME oder RS online, und sie wühlen sehr wohl selbst.
Und ja, es gibt Blogger, die recht unreflektiert oder lieb & treudoof schreiben, aber das finde ich verständlich. Jemand wird bemustert, freut sich geschmeichelt und ist stolz, hat vielleicht mehr Liebe als Können und schreibt dann weniger professionell als andere. Das ist in Ordnung, daraus mache ich ihnen keinen Vorwurf, denn ein Blog ist eine private Sache, und die Motivation ist ebenfalls eine persönliche Angelegenheit.
Ebenso die Musikauswahl. Wenn ich Grindcore hören, gibt es kaum eine Industrie, bei anderer, poppiger Musik durchaus, und dann muss man womöglich weniger suchen und hört Musik, die andere auch hören.
Ich wollte jetzt auch nicht die Musikblogs im allgemeinen runtermachen. Die von dir aufgelisteten Blogs sind zwar nicht immer meine Tasse Tee, aber das sind alles ernstzunehmende, aus Leidenschaft gemachte und eigenständige Beiträge zur Musiklandschaft und auf keinen Fall Teil der von mir angesprochenen „grauen Masse“.
Dem gegenüber steht dann aber halt auch ein Haufen redundanter Pressemeldungs-Wiederkäuer. Am schlimmsten wird das, wann mal wieder eine der größeren Indiebands die Promomaschine anschmeißt. Das fiel mir zum ersten mal vor so anderthalb Jahren negativ auf, als z.b. The National ihr letztes Album ankündigten. Dann schaute man in seinen Feedreader und das sah in etwa so aus:
The National gehen ins Studio.
The National kündigen Album an.
The National haben bei XY ein exklusives Interview gegeben.
The National streamen Snippet vom erster Single.
The National haben ein Video Veröffentlicht.
The National auf Deutschland-Tour (natürlich präsentiert von uns; was auch immer das bedeuten soll…)
Das ließe sich so ewig fortführen und einige teilweise durchaus bekannte Blogs haben damit ihre Woche fast schon voll gekriegt. Da frage ich mich halt, was die ganze Angelegenheit noch groß von besagten Medienhäusern unterscheidet. Neue, interessante Musik kann man da natürlich mit der Lupe suchen. Aber der Blick über den Tellerrand ist doch eigentlich das, was man positiv mit Blogs und anderen nicht profitorientierten Pubklikationen verbindet. Wenn ich gekonnte Wortakrobatik und tiefe Erkenntnisse erwarte, kann ich ja – wie du schon sagtest – zu dem greifen, was von der Print-Musikpresse noch übrig geblieben ist.
Übrigens mag ich The National. Ich kann nur ums verrecken keine Berichterstattung mehr dazu gebrauchen. Der Bedarf ist so etwa seit 2001 gedeckt.
„Da frage ich mich halt, was die ganze Angelegenheit noch groß von besagten Medienhäusern unterscheidet.“
Da sehe auch ich das Problem. Einem Blog nehme ich es nicht krumm, wenn er so etwas bringt, da ist jemand Fans oder weiß es einfach nicht besser. Dass sich große Medien so verhalten, ist unnötig, sie sollten es besser wissen.
Ein neuer Tiefpunkt:
Die Überschrift „Lorde macht sich über Diplos vermeintlich kleinem Penis lustig“.
http://www.rollingstone.de/news/meldungen/article660042/lorde-macht-sich-ueber-diplos-vermeintlich-kleinem-penis-lustig.html
Uff, Fehler schon in der Überschrift, das belohn ich gar nicht erst mit nem Klick für den Rest dieser ‚Meldung‘. Klingt dadurch so, als würde Lorde spöttisch auf einer Wolke über Diplos Dödel schweben?
Das ging in der Einleitung zum Artikel weiter:
„„Should we do something about you tiny penis“ – Lorde nimmt Taylor Swift vor Diplos Witzattacke in Schutz“, da fehlt entweder ein „r“ oder ein Komma. Aber weiter habe ich dann auch nicht gelesen.