Der Liedschatten (126)Liebe im Frühling

Bata Illic: “Michaela“, Juli 1972
Oh, die Ratlosigkeit! Manche Lieder sind so aufreizend harmlos, man möchte ihnen vorsätzlich Ungerechtigkeit widerfahren lassen. Nehmen wir nur einmal dieses hier, „Michaela“ von Bata Illic.
Dauerhaftes Klatschen macht auch dann einen Schlager nicht besser, wenn junge Menschen klatschen.
Doch ach!, es wäre viel zu leicht und leider nicht ungerecht. Dieser Schlager ist trivial? Selbstverständlich ist er das, als der Schlager, der er ist. Darauf allein kann keine Schimpferei gründen. Obendrein ist „Michaela“ zwar schmalzig, aber in der Wahl seiner sprachlichen Mittel vergleichsweise dezent. Zwar würde ich es unter allen Umständen zu vermeiden wissen, meinen Gefühlen auf diese Art und Weise Ausdruck zu verleihen, doch neigt zumindest jugendliche Verliebtheit (und um die Jugend schien es zu gehen, siehe das Publikum im Video oben) hin und wieder zum dümmlichen „Verschossensein“. Zur Veranschaulichung mag das Bild eines ungeschnittenen Apfelbaums dienen, der in Richtung Sonne aufschießt und Äste treibt, die niemals Frucht tragen können und deshalb beizeiten gekappt werden. So ungefähr könnte es gewesen sein, damals, in der Adoleszenz.
Aber war es auch so?
„(…) Da sah ich Dich dort am Ufer stehn
und Du gingst mit mir, es war so schön,“
das ist doch etwas zu einfach, und
„(…) seit Du kamst, da hat mein Leben Sinn“
scheint mir ein wenig viel von einem Menschen und der Liebe an sich verlangt. Die Plötzlichkeit der Liebe, die sich hier unversehens und für immer einstellt, ist natürlich ein Klischee, ebenso, dass damit aller Unbill beseitigt und die Sinnsuche in Sachen Dasein beendet ist. Dennoch mag ich mich heute nicht so recht ereifern, sondern belasse es bei einem: „Verdammen wir nicht diese eine Schnulze, weil sie Merkmale einer Schnulze aufweist! Schnulzen sind eh allesamt verdammt, außer „How Deep Is Your Love“ von den Bee Gees.“ Was ist da nur los?
Es ist keinesfalls so, dass ich dieses Video nur einbinde, weil es sich geradezu aufdrängt. Nein, vielmehr weiß auch ich nicht, ob es „so etwas“ gibt.
Heute Nacht war Zeitumstellung! Hat das etwas mit „Michaela“ zu tun? Nein. Aber es scheint ein wenig mehr Sonne zu geben, und bereits gestern spazierte ich im kleinen Garten hinter dem großen Backsteinbau, in dem ich wohne, im T-Shirt auf und ab. In der Sonne! Da bin ich dann wohl unverhofft fröhlich geworden, „Michaela“ konnte daran nichts ändern. Und noch immer bin ich guter Dinge.
Ich brauche also nicht in der Biografie Bata Illics nach Erbaulichem suchen und bin froh darüber. Schließlich müsste ich aufgrund der Abwesenheit von Verfehlungen und Skandalen jenseits der an sich schon skandalösen Erwerbstätigkeit als Schlagersänger auf sein Erscheinen in der Fernsehsendung „Dschungelcamp“ hinweisen und mir sogar ein wenig davon ansehen. Doch das möchte ich nicht, es ist so eine arge, dumme Sendung, die nicht obwohl, sondern weil sie peinlich ist, gesehen wird. Ich habe nie verstehen können, wie man sehr wohl wissen kann, was der Reiz an einer solchen Sendung ist und sich ihm trotzdem hingibt. Ein „Das ist aber interessant!“ reicht mir da nicht, alles vermag interessant zu sein, erst recht Leid, Arroganz, Elend, Dummheit, Bloßstellung, Scham und Boshaftigkeit im Wettbewerb. Wendet jemand:„Wenn’s aber doch gut gemacht ist?“ ein? Nun, wenn etwas gut ausgeführt wird, sagt das nichts über die Güte der Sache selbst, weder hier, noch in irgendeinem anderen Zusammenhang. Angesichts der Endlichkeit unserer Leben leuchtet mir die Wunsch, sich in der wenigen Zeit, die uns die jetzige Gesellschaftsform zur freien Verfügung lässt, solche Sendungen anzusehen, nicht ein. Und das beruhigt mich.
Vor die Wahl gestellt, nach Ausschnitten dieser Sendung zu suchen oder zu schauen, was Illic neben der Musik trieb, verzichtete ich auf beides und hörte mir stattdessen noch ein paar seiner Schlager an. Immerhin trat er nach eigener Aussage 62 Mal in der ZDF-Hitparade auf, wovon Einiges online zu finden ist. Wer Lust verspürt, sich die weiteren mehr oder minder großen Hits des trotz seines Metiers recht sympathisch scheinenden Bata Illic wie „Komm Auf Das Schiff Meiner Träume, „Ich Hab Noch Sand In Den Schuhen Aus Hawaii“, „Ich Möcht‘ Der Knopf An Deiner Bluse Sein“ oder auch „Mit Meiner Balalaika War Ich Der König Auf Jamaika“ anzusehen, nur zu. Sie sind allesamt als Schlager zwischen Kitsch, Nonsens und Zote in geradezu beispielhafter Manier ausgeführt, weshalb ich davon abrate.
Uneingeschränkt empfehlen kann ich hingegen:
1. Diesen sehr, sehr frühen Mitschnitt eines Kraftwerk-Konzerts aus dem Jahr 1970 mit lauter putzigen, ratlosen Menschen. Und Musik auch, klar! Toll.
Das Bemerkenswerte an sogenannter „Avantgarde-Musik“ ist ja: Die waren gar nicht ihrer Zeit voraus! Sehr, sehr große Teile des Publikums würden über 40 Jahre später noch so verdutzt, ja grimmig dreinschauen.
2. Die Welt da draußen. In der Sonne hat sie kräftige Farben, also rasch! Warum nicht mal wieder unbefugt Rasen betreten, mit dem Rad über Fugen zum Bach rasen oder Fugen blasend (zum Beispiel mit mehreren Blockflöten und von Bach) um die Häuser ziehen, bis sich die Wangen wieder fein winterfern rot färben?
Eben.
In der nächsten Folge: T.Rex mit „Metal Guru“.
Wird der Lidschatten eigentlich noch fortgesetzt?
Jepp, der macht gerade nur eine verlängerte Sommerpause.
Ach wie schön :)
Oh, es wird danach gefragt, das ist nicht minder schön! Und genau, im Herbst, so ab Oktober, denke ich, geht es dann weiter.
So, nächsten Sonntag gibt’s eine neue Folge.