Interviewcoctail twins

Manchmal hat Musikjournalismus ja doch etwas von Archäologie. Buddeln und Graben. Nur geschieht das eben nicht in fernen Gegenden der Welt, sondern manchmal schon im Untergrund der Nachbarsstädte. coctail twins aus Köln sind so ein Artefakt. Die Band gibt es zwar noch nicht so lange, aber ihr Sound klingt bereits sehr versiert und besticht durch vernebelte Shoegazegitarren, sowie den markanten Gesang von Frontfrau Box. Fast schon eine kleine Überraschung, als sie im Gespräch verrät, dass sie weder Erfahrung hat, noch ursprünglich für die Vocals eingeplant war. Damit aber keine Missverständnisse entstehen: Die Band (Box, Mike und Marc) hat ein klares Kalkül, überlässt herzlich wenig dem Zufall.
AUFTOUREN.DE: Dafür, dass ihr im Grunde erst jetzt eure erste Single rausgebracht habt, wirkt euer Soundbild im Grunde schon sehr geschlossen. Auch eure Darstellung auf der Homepage wirkt sehr konzipiert. Seid ihr da sehr streng?
Mike: Wir sind da schon ein wenig perfektionistisch. Wir haben recht lange geheim rumgewerkelt, die Idee der Bandgründung war aber eigentlich fast eine Schnapsidee. Ich wollte schon immer eine Band haben, aber dieses Mal ist der Funke übergesprungen. Das wurde nach den ersten Proben schon klar. Langsam wurde es ernst, wir waren alle sehr angetan. Das war sogar schon so Mitte 2011. 2 Jahre haben wir im Grunde gewartet, bis wir das jetzt rausgebracht haben. In dem Sinne sind wir schon individuelle Typen, wir haben oft Diskussionen, wohin manche Songs gehen sollen. Das braucht Zeit und wir wollten nichts Halbherziges rausbringen. Wir wollten einen gewissen Stock an Songs haben und auch ein rundes Konzept vorlegen.
Wenn ihr oft Diskussionen verfallt, wie wichtig ist denn dann Spontanität bei euren Songs? Wie lange variiert ihr Sachen, bis ihr sagen könnt: okay, das ist jetzt der finale Edit?
Box: Das mag vielleicht so aussehen, dass manches locker entstanden ist. Aber in Wirklichkeit sind wir vor allem beim Songwriting nie spontan. Das ist absolute Feinarbeit. Da schlafen wir erst einmal mehrere Nächte drüber. Ob der Song sitzt, können wir nie so schnell sagen. Die Konzeption ist eher ein Prozess, bei dem wir uns immer wieder fragen: Müssen wir nicht nochmal ran? Ein Song entsteht im Kern vielleicht spontan bei uns, aber bis er fertig ist, herrscht da immer noch ganz viel Arbeit.
Wo würdest ihr euch denn musikalisch ansiedeln? Für die Dreampop-Kategorie ist es ja ein wenig zu düster geraten. Überwiegt eurer Meinung nach der Shoegaze-Anteil?
Mike: Wir haben eigentlich kaum einen gemeinsamen Background, was unseren musikalischen Geschmack angeht. Na klar, wir haben da schon Parallelen, aber jeder hört Sachen, die die anderen nicht so verfolgen. Ich habe da persönlich überhaupt kein Problem mit, wenn die coctail twins als Shoegaze beschrieben werden. Aber die anderen möchten eigentlich nicht so in dieser Ecke gesehen werden (lacht). Man muss jeden Song dahinbringen, wo er hingehört. Damit alle damit zufrieden sind. Wenn alle so ticken würden wie ich, wären wir wahrscheinlich nur eine reine Shoegaze-Band. Davon gibt es ja eigentlich genug. Wir tauschen uns da immer aus, was Einflüsse angeht. Drei unterschiedliche Ecken. Dadurch heben wir uns ein wenig ab, glaube ich. Ohne jetzt zu sagen: Ein Muss ist die verhallte Gitarre, dann kommt die Drum-Machine mit 80er-Beats. Die Instrumentierung ist da variabel. Was die Songs zusammenhält, ist die Melancholie und die Stimme von Box.
Box: Ich würde das gar nicht so wie Mike formulieren. Ich glaube, dass es schon große Überschneidungen gibt. Mike hat mich schon beeinflusst, sowohl was neue und alte Musik angeht. Natürlich, wenn man mit jemandem zusammen ist, der seit vielen Jahren DJ ist (Mike und Box sind ein Paar), erweitert man automatisch sein Spektrum. Ich sehe das als Bereicherung. Auch die Reibung. Da entsteht ja oft was Besonderes durch (lacht).
Im Falle von coctail twins ein mitunter leicht morbides – auch wenn Bassist und Texter Mike bei dieser Bezeichnung leicht interveniert hat – Klanggerüst, das zwischen hellen, hoffnungsvollen Momenten und düster und gruftig inszenierten Gitarrenfetzen oszilliert. Hypnotisch wie die beatlastige Single „Rooms Made Of Dust“ mit ihrer (Bernard-Sumner-orientierten) reduktionistischen Bassgitarre oder das von Klavierklängen getragene „Pastel Days“, auf dem zumindest fragmentarisch mal eine Dur-Struktur durchschimmert. Auch textlich betrachtet, trotz sphärischer Unheimlichkeit, ein wahrer Lichtmoment: „Do you remember when the light shined on us/ All that really matters is that you are here and you are mine.“ Ein Kontrast etwa zu Daughter, deren „Youth“ zwar von einer harmonisch sehnsüchtigen Akkustikgitarre getragen war, sich lyrisch aber destruktiv und hoffnungslos präsentierte.
Mike, du hast ja eben von einem roten Faden der einzelnen Stücke gesprochen. Wie äußert sich das denn auf der Ebene der Texte? Für die bist du ja verantwortlich. Mir scheint, als wäre der Topos des Zeitanhaltens sehr zentral.
Mike: Also ich habe die meisten Texte geschrieben. Aber ein paar auch gemeinsam. Ich habe da einfach großen Spaß dran gefunden. „Pastel Days“ ist im Grunde ein schöner Text, aber er hat eben auch was Nostalgisches. Weil die schönen Dinge ja oft in der Vergangenheit liegen. Ja, genau, das trifft es im Grunde mit der Zeit anhalten. Was mich immer schon interessiert hat in der Musik, ist das Sich-Verlieren-Können. Eskapismus, das ist ein wichtiger Aspekt. Keine Songs über den Alltag, das hat mich nie angesprochen. So Songs, wenn morgens der Wecker klingelt und man Brötchen vom Bäcker holt, das reizt mich nicht. So ein Singersongwriter-Tum interessiert mich eher nicht. Ich komme eher von The Cure, das ist meine Lieblingsband. Das sind ja die Meister der eskapistischen Texte und Traumwelten.
Bist du dann oft beeinflusst von deinen Lieblingsbands? Eine Zeile – „The devil is in the details“ – fällt ja auch bei „I LIKE TRAINS“.
Mike: Dass meine Texte so in diese Richtung hin tendieren, liegt vielleicht daran, dass ich diese Art von Musik sehr mag. Es fällt mir einfach leichter, auf diese Art zu texten, als so etwas Konkretes zu machen. Aber das war jetzt mit dieser Strophe nicht geplant oder so. Eine ganz zufällige Parallele.
Wie ist das denn dann für dich, Box, die Texte von Mike zu singen? Und: hast du eigentlich schon eine Gesangsausbildung genossen und Vorerfahrung gehabt?
Box: Nein, ich habe da keine Ausbildung genossen und eigentlich kam es auch überraschend (lacht), denn ursprünglich sollte Mike singen. Ja, wie soll ich das jetzt formulieren (lacht). Wir haben uns den genommen, der am wenigsten schrecklich klang und das war dann ich. Ich habe jetzt aber auch versucht, nochmal besser zu werden. Dogmatisch getrennt ist das Songwriting bei uns jetzt aber auch nicht. Ich bin immer von Mikes Texten begeistert. Ich finde sie meistens grandios, er hat da echt ein Talent für. Klar, ich muss die Wörter fühlen, singen und auch die Melodie herauskitzeln. Manchmal variiere ich da leicht, dass es für mich Spaß macht. Inhaltlich wird da nichts geändert. Es sind also nur marginale Veränderungen, die da stattfinden. Wir haben jetzt gerade ein Liebeslied geschrieben, beziehungsweise Mike. Dieses Gegenüberstehen bei der Aufnahme, seine Wörter bei sowas, die ich dann singe. Das kann schon bewegend und sehr besonders sein.
Bei so einem Bandverhältnis sind die Weichen für die nächsten Projekte wohl bereits gestellt. Am 21.3. spielt die Band in Köln und feiert die Veröffentlichung ihrer ersten EP. Die ist natürlich greifbar durch Referenzen im Wave- als auch Shoegaze-Bereich. Doch coctail twins erzählen ihre ganz eigene Geschichte, auch wenn diese sich stilistisch zum Teil an pophistorischen Vorbildern orientiert. Wie auch das Video zu „Rooms Made Of Dust“ mehr als die Summer seiner Teile ist – in diesem Fall mehr als die Collage einzelner Film- und Serienexzerpte. Schon der Bandname ist ein kleiner Verweis: Nach Mike ist er nämlich vor allem als Hommage an die schottische Band „Cocteau Twins“ gedacht. Zudem gefiel Mike der Gedanke, dass durch diesen Namen die „eigentliche Ernsthaftigkeit und Schwere“ der Musik ein wenig runterbrechen würde. Eine andere Band ähnlichen Namens, „Cocktail Twins“, wurde von dem Trio erst später entdeckt. coctail twins zeigen, nicht nur im Gespräch (man bemerke, wie oft der Autor hier von „(lacht)“ Gebrauch gemacht hat), wie schön Melancholie eigentlich sein kann. Und wieviel Spaß sie sogar machen kann.