Interview: Avey Tare's Slasher Flicks

Keine Frage: Animal Collective spalten die Gemüter mit ihrem strukturiert unstrukturiertem Neo-Psychedelic. Vor allem „Centipede Hz“, der letzte selbstbewusste Beweis für subtil verwobene Ordnungsmuster, überstrapazierte die eine und begeisterte die andere Seite. Umso verwunderlicher, dass einer der Köpfe der Band, Avey Tare – bürgerlich Dave Porter – seine Musik als reich an Harmonien beschreibt. Naja, zugegeben, es geht in dem Fall um sein neues Bandprojekt Avey Tare´s Slasher Flicks, für das Tare sich neben dem Dan-Deacon-Trommler Jeremy Hyman auch Angel Deradoorian von Dirty Projectors ins Boot geholt hat. So oder so: Das alles ist Grund genug, mit Avey ins Gespräch zu kommen und mal in Los Angeles anzurufen.

AUFTOUREN.DE: Dave, nach den ersten Durchläufen Deines neuen Albums würde ich jetzt sagen, das klingt geschlossener und auch poppiger, als ich es erwartet hätte. Ich weiß nicht, was Du von dieser Bezeichnung hältst.

Avey Tare: Naja, ich glaube, ich sehe in „Enter The Slasher House“ schon ein wenig was vom letzten Animal-Collective-Album. Auch wenn es selbstverständlich große Unterschiede zu „Centipede Hz“ gibt. Das sind halt alles Arbeitsphasen meines Lebens. Natürlich fühlt sich das jetzt anders an. Bei der letzten Animal-Collective-Platte ging es uns ja auch wirklich darum, die Songs für uns selbst kompliziert zu gestalten und eher schwer zugänglich zu machen. Und jetzt wollte ich es bei einigen Songs wirklich von der Struktur her ein wenig einfacher halten. Auch in dem Sinne, dass heute so viel produktionsabhängig ist, wollte ich nun etwas primitiver bleiben.

Was meinst Du genau mit „primitiv“? Hat das etwas damit zu tun, dass die Songs auf „Enter The Slasher House“ eher auf relativ simplen Gitarrenstrukturen und Entwürfen basieren?

Definitiv! Aber auch im Sinne von Liveatmosphäre. Ich wollte bei diesen Songs einfach mehr an der Basis bleiben und in dem Sinne experimentieren, dass ich mich selbst ein wenig einschränke. Auch wenn ich an die Liveshows mit der Band denke. Das war ein wichtiger Fokus. Das letzte Album von mir war ja deutlich elektronischer. Als ich nun mit diesem neuen Projekt anfing, wollte ich das einfach für mich selbst ein wenig beschränken. Auch eine Form des Experimentierens.

Ging es durch diese Reduktion denn auch schneller voran? Wie hat sich das bei der Produktion bemerkbar gemacht? Ihr habt ja schließlich schon im letzten Jahr in der Formation ein paar Konzerte gespielt.

Von den Aufnahmen her ging es insgesamt schon schneller. Wir waren selbst überrascht, wie rasant es dann fertig war. Ich höre aber auch einfach sehr viel Jazz, vor allem in letzter Zeit. Das ist mein Haupteinfluss, das ist sehr präsent. Diese Spontanität. Wir haben uns sicher entwickelt, auch durch die wenigen Auftritte vor der Platte. Dann hat sich das aber reduziert mit den Shows. Obwohl es so schnell ging – ich meine es war immer noch ein Jahr –, der Druck war gar nicht so da, dass wir uns zeitlich ein Limit gesetzt hätten. Erst haben wir aber schnell Songs geschrieben, vor allem für die Livesachen. Und immer dann, wenn wir ins Studio gegangen sind, habe ich dieses Mal gemerkt: Es ist gar nicht so anders als auf der Bühne. Es ist schwer zu sagen, wie lange so ein Album braucht, wenn die Sachen zum Teil schon geschrieben sind. Man kann ganz generell nichts bestimmen und erzwingen, da gibt es kein allgemeines Erfolgsrezept.

Eventuell klingt „Enter The Slasher House“ gerade deswegen so unbeschwert. Auf der anderen Seite ist der Distinktionszwang der Kompositionen von Animal Collective ein wenig mehr Struktur gewichen. Beinahe kann man schon sowas wie Ordnung in den Stücken vorfinden. Die Vorabsingle „Little Fang“ ist infantil geraten und bewegt sich dabei in überschaubareren Kompositionskonturen als von vielen erwartet. Die Geister werden sich auch an Avey Tare’s Slasher Flicks scheiden, doch im Kontrast zu Animal Collective wird den einzelnen Songelementen mehr Raum geboten. So ist der Gruppe um Tare mit „Strange Colores“ ein beinahe geradliniger Popsong gelungen und im Vergleich zu der Weise, wie sein Animal-Collective-Kollege Panda Bear geraden diversen halluzinierenden Substanzen musikalisch huldigt, wirken Kompositionen wie „Modern Days E“ trotz viel Trommeleinsatz eben nicht mehr wie konsequenter Anti-Pop, sondern eher minimalistisch. Die abrupten Sprünge und Brüche halten sich eben in Grenzen. Woher der plötzliche Sinneswechsel?

Ich habe gelesen, dass es dir wichtig war, bei den Aufnahmen mal nur ein einziges Mikrophon zu benutzen. Wieso war das relevant?

Es klingt einfach so schön! Ich bin da Fan von. Das hat vor allem was damit zu tun, dass ich neben Jazz vor allem viel Sixties-Kram höre. Den guten alten Rock’n’Roll. Ich mag das. Buddy Holly und so, ich mag vor allem diese Aufnahmeart. Das wollte ich dieses Mal auffangen, das hat etwas mit der Idee des Raums zu tun. Wenig Mikros, das war das Motto. Es möglichst minimal zu halten, das war mir dieses Mal wichtig. Heute wird dieses Hörbarmachen des Raums meiner Meinung nach viel zu wenig verfolgt, da setzt man ja eher auf saubere Produktionsweisen. Und die Songbasis ist hier nun viel wichtiger als bei Animal Collective, auch wenn die Songstruktur natürlich weiterhin offen geblieben ist.

Sind das auch die Sachen, die Du momentan besonders gerne hörst?

In letzter Zeit vor allem viel Jazz. Aber klar, den klassischen Rock-And-Roll wie gesagt ebenso. Neben Buddy Holly zum Beispiel auch Bo Diddley. Im Grunde höre ich auch häufiger ältere Sachen als die ganzen neuen Veröffentlichungen. Für das aktuelle Werk sicher nicht unbedeutend, was die Struktur angeht. Es war natürlich kein Free-Form-Jazz bei den Aufnahmen, aber manchmal habe ich mir hier und da etwas abgeschaut und dies auch mit Jeremy und Angel besprochen und betont, dass mir dieses Grundgerüst wichtig ist, die Songs sich aber gleichzeitig trotzdem öffnen können und nicht zu abgeschlossen wirken.

Wie hast Du Jeremy und Angel eigentlich kennengelernt? Und wie würdest du euren Arbeitsprozess beschreiben?

Wir kennen uns schon länger und haben alle einen großen musikalischen Hintergrund. Jeremy hat Kunst in Baltimore studiert und hat schon sehr früh angefangen, Musik zu machen. Das gilt auch für Angel. Der Zugang bei den beiden zur Musik war einfach ein wenig akademischer geprägt, aber trotzdem haben wir viele Parallelen. Und auch Angel kommt aus einer Familie, die musikalisch sehr gebildet ist. Bei Animal Collective sind wir eher intuitiver beim musikalischen Prozess. Jeremy spielt natürlich bei Dan Deacon und auch zahlreichen anderen Projekten, er ist ein wahnsinnig guter und wilder Drummer. Genau das brauchte ich bei diesem Projekt.

Mit Jeremy setzt Du also auf wilde Trommeleinlagen, die ja vor allem bei Dan Deacon ganz zentral sind. Aber auf der anderen Seite gibt es auch Songs, die deutlich ruhiger ausfallen. Vielleicht auch wegen der Backing-Vocals von Angel.

Für mich sind das alles unterschiedliche Songs. Es ist nett, mit verschiedenen Songsorten zu experimentieren. Auch das Singen mit Angel hatte seinen Reiz. Mit einer weiblichen Stimme singe ich auch nicht gerade so oft zusammen. Wir wollten aber auch nicht dieses typische „girl and boy“-Muster. Dabei mochte ich schon immer Harmonien. Und manchmal hört man das ja auch bei Songs von Animal Collective raus.

Kannst du etwas zu eurem Artwork sagen? Hat das Holz-Image etwas zu tun mit dem Ziel, wieder mehr auf natürliche Instrumentierung zu setzen?

Mit dem kleinen Skalp und dem Holz wollte ich im Grunde ein organisches Psychedelic-Gefühl artikulieren. So eine Art von Textur ist immer wichtig für mich. Ich finde das inspirierend. Auch Visualisierungen spielen für mich eine große Rolle. Gemischt mit so Horror-Illustrationen, das hat mich irgendwie gereizt – Dämonen, Skelette, aber alles noch im lustigen Sinne. Billige Comichefte, unterhaltsamer Quatsch. Aber eben auch übernatürliche Phänomene im poppigen, nicht so sehr dunklem Kontext angesiedelt, das wollte ich irgendwie zum Ausdruck bringen. Es passt einfach gut zur Atmosphäre.

Ihr kennt euch bei Animal Collective ja nun bereits über ein Jahrzehnt. Wie realisiert ihr da denn euren musikalischen Anspruch, euch immer wieder neu zu erfinden und zu experimentieren? Wie wichtig sind Nebenprojekte denn generell für eine Band wie Animal Collective, die ja schon sehr aufeinander eingespielt ist.

Das ist eine entscheidende Sache für eine Band und für uns alle sehr positiv, absolut! Jeder macht seine eigenen Projekte, hat die Chance, seine eigenen Sachen zu verfolgen, macht ganz einfach Erfahrungen. Es ist auch nicht erstrebenswert, immer ausschließlich mit den gleichen Leuten zusammen zu sitzen und zu arbeiten. Das kann schnell zu bequem werden. Man ist dann so festgefahren in seinen Gewohnheiten. Wir haben aber immer schon unsere Pausen gemacht. Am Ende kommen wir dann immer wieder zusammen und tauschen uns aus.

Animal Collective stehen also keineswegs vor dem Aus. Ganz im Gegenteil. Die Band, die die Postmoderne wohl am besten musikalisch inszeniert hat (jedes Element ist von einer Eigengesetzlichkeit getrieben, kapselt sich ab vom großen Ganzen, das trotzdem irgendwie nebulös bestehen bleibt, obwohl kein Steuerzentrum entdeckt werden kann), wird nach Ansicht von Portner eher von den Solopfaden der Bandmitglieder profitieren. Wenn es einen Feind von Animal Collective gibt, dann heißt dieser bekanntlich Bequemlichkeit. So ist für ihn die Kunst ein endloses Projekt, verrät er. Umso schöner, dass es auf der endlosen Route durch Raum und Zeit auch mal Zwischenstationen gibt, die etwas zugänglicher sind. Melodien, denen mehr Raum zugestanden wird, die nicht direkt von der nächsten Idee überrumpelt und dekonstruiert werden. Doch die Fans des heiligen Chaos‘ dürfen beruhigt sein: Auch „Enter The Slasher House“ stellt konventionellen Hörgewohnheiten immer noch genügend Beinchen. Bei allem Respekt vor der künstlerischen Autonomie: Das war doch irgendwie klar, oder?

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