Der Begriff „Shoegazing“ wurde seinerzeit von der englischen Musikpresse geprägt, um Bands zu beschreiben, die auf der Bühne einen schüchternen bis introvertierten Eindruck machten und während des Spielens eher auf ihre Schuhe starrten anstatt ins Publikum (beispielsweise die leider fast vergessenen Moose). Der Einfluss dieser musikalischen Strömung und ihrer „Verfeinerung“ als Dreampop kann kaum überbewertet werden.

Egal ob im Gitarren-Indie der letzten Jahre (The Pains Of Being Pure At Heart, The Radio Dept.,Wild Nothing …), im elektronischen Sektor (Ulrich Schnauss, Jon Hopkins, Border Community) oder bei vielen (Post-)Black-Metal-Bands (Alcest, Deafheaven, Woods Of Desolation, Vaura …), zumindest eine strukturelle Ähnlichkeit oder ein affirmatives Verhältnis zu Shoegaze lassen sich nicht leugnen. Neige von Alcest gibt gegenüber Stereogum sogar offenherzig zu Protokoll, dass Slowdive seine absolute Lieblingsband seien und nicht etwa Burzum, welcher noch von Deafheaven als „die Blaupause“ bezeichnet wurde. Das führte letztendlich soweit, dass auf Alcests letztem Album „Shelter“ Neil Halstead von Slowdive den Gesang auf „Away“ mit übernahm. Von Alcest sind Nothing allerdings, zumindest vom musikalischen Werdegang her, um einiges entfernt.

Nothing aus Philadelphia weisen keine Sozialisation im Black Metal auf, sondern entstammen eher dem Aggressive-Hardcore-Umfeld, gerne auch mit der Neigung zur gepflegten Selbstzerstörung. Der Kopf und Hauptsongwriter von Nothing, Dominic Palermo, spielte zuvor bei Horror Show und saß eine Zeit lang im Knast. Einige seiner Freunde und Weggefährten sind zwischenzeitlich ums Leben gekommen oder weiter in die Kriminalität abgedriftet. Dies sind eigentlich biographische Zutaten, aus denen sich ein wahrhaft bösartig aggressives Monster von einem Album amalgamieren lassen würde – wo Nothings Labelheimat obendrein noch Relapse ist -, doch nichts dergleichen ist geschehen. „Guilty Of Everything“, das deuten schon der Titel und die weiße Fahne auf schwarzem Grund als Covermotiv an, kann man durchaus als Kapitulation lesen.

Aber was für eine: Palermos Texte, welche er mit einer weichen, emotionalen Gesangsstimme vorträgt, arbeiten sich an Verlust, Schuld und anderen menschlichen Tragödien ab. So verwundert es auch nicht, dass Melancholie und eine gewisse Trauer die Hauptstimmungen des Albums sind. Um dies zu unterstreichen, spielt sich die Band durch aufwühlende Gitarrenkaskaden und das Schlagzeug wird mit einer Härte traktiert, die man so eigentlich nicht zwangsläufig mit Shoegaze in Verbindung bringt, sondern eher mit dem, was später mal Alternative Rock genannt werden sollte (man muss sich nur mal das Klatschen der Snare anhören). Dennoch spielen Nothing im Grunde genommen stilistisch weitestgehend Shoegaze. Lautstärke und Verzerrung dienen ihnen eher nicht zur Kaschierung von etwaigen Unsicherheiten und spielerischen Unzulänglichkeiten, wie noch zum Teil bei den Genregründern, sondern einzig der Erzeugung von maximaler Überwältigung und der Freisetzung kathartischer Energien. Das sind sicherlich musikalische Qualitäten, die man derzeit auch bei anderen Neuinterpretationen von Shoegaze finden kann. Wegen ihres schieren musikalischen Drucks, und da ich mir Nothing auf der Bühne nur schwer als schüchterne Schuhstarrer vorstellen kann, möchte ich aber ein Werk wie dieses glatt als „Powergaze“ bezeichnen.

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