InterviewModerat

„Lass dir vom Rausch nur die Sinne betörn´/ Und vom Kater danach dann das Leben erklärn“, singt Spaceman Spiff auf seinem neuen Album, das er am 30. Januar in Köln live präsentiert. Rausch und die Melancholie danach bilden aber keine Widersprüche mehr beim Sound von Moderat, die quasi um die Ecke am gleichen Abend spielen. Sphärische Sounds und stramme Bässe gibt es in der ausverkauften Kölner Live Music Hall, in der Sascha Ring (Apparat) und das Modeselektor-Duo aus Gernot Bronsert und Sebastian Szary auftreten – ein Gespann, bei dem der Name tatsächlich Programm ist: Die Schwermut von Apparat trifft auf den eigenwillig technoiden Unterbau aus dem Hause Modeselektor. Das lange erwartete zweite Album „II“ führte im Sommer 2013 (auf Pole-Position in vielen Jahresbestenlisten) den Weg des Debüts weiter fort, auch wenn der Apparat´sche Schwerpunkt in einzelnen Kompositionen ein wenig Überhand zu gewinnen schien. Sebastian Szary im Gespräch mit AUFTOUREN.DE-Redakteur Philipp Kressmann über Livesets, produktiven Streit im Studio und Kinder der postrevolutionären Wende, die nach dem Technomachen ihre n Nachwuchs vom Kindergarten abholen müssen.
AUFTOUREN.DE: Unser Interview wurde ja auch etwas verschoben, weil ihr euch auch noch einmal mit der Bühne vertraut machen wolltet. Kannst du etwas zum Livekonzept sagen? Lichteffekte und die Projektionen scheinen euch ja sehr wichtig zu sein.
Szary: Ja, das ist die Pfadfinderei, mit denen arbeiten wir im Grunde schon relativ lange zusammen. Design inklusive Licht, wobei beim Licht haben auch noch andere mitgewirkt, stammen von denen. Für alle, die die noch nicht kennen: Die sind ein visuelles Kollektiv aus Berlin, das sich schon seit Modeselektor-Zeiten, als wir quasi noch ganz am Anfang in Kinderschuhen standen, über die Corporate Identity Gedanken gemacht haben. Sind insgesamt sieben, wobei nur einer auf Tour bei uns mitkommt, ein VJ sozusagen. Und der hat auch die Art-Direction für die Live-Shows übernommen. Light-Designer, Bühnen-Designer und so weiter. Und es war echt ein langer Weg dahin, das nimmt einen in Anspruch. Wir haben uns da schon auch ein Konstrukt ausgedacht. Höher, schneller, weiter. Und heller. LED-Krieg sozusagen. Aber da haben wir bewusst drauf verzichtet, wir arbeiten da lieber mit Projektionen. Die haben übrigens auch das Konzept für das „Bad Kingdom“-Video geschrieben. Inhaltlich sind wir letzten Endes aber locker, man gibt da auch etwas ab. Wir haben die Musik gemacht, wir arbeiten kurz mit dem Grafikkollektiv und an das geben wir dann ab. Drei Wochen später schauen wir uns dann das Ideenmaterial an und so ergibt sich das dann. Es ist uns nicht egal oder so, aber wir lassen uns gerne überraschen. Es ist immer eine Sache der Interpretation.
Der Inhalt ist bei Moderat aber auch nicht so auf ein Oberthema festgeschrieben, oder? Ist das eine klare Rollenverteilung, dass Sascha sich um die Lyrics kümmert, bei denen ihr im Sinne auch gar nicht interveniert?
Es ist die Arbeitseinteilung bei uns. Letzten Endes sind wir alle drei Produzenten, nur Sascha beherrscht halt eine Sache mehr. Mittlerweile mutiert Sascha auch einfach zum Vocal-Künstler. Das war in den letzten Jahren einfach ganz klar. Aber das überlassen wir ihm gerne. Er hat da eine ganz besondere Aufgabe und Verantwortung. Wir reden ihm da gar nicht rein, außer in der Ausdrucksform vielleicht. Manchmal haben wir ihn zurück in die Gesangskabine geschickt. Oder er sich auch selbst nochmal. Manchmal ist es so gehaucht gewesen, vor allem die älteren Versionen, so „typisch Indie“ (lacht). Da werden mir bestimmt ein paar Leute böse sein, wenn ich hier Indie-Gesang so typisiere. Naja, aber wir wollten einfach etwas mehr „pressure“ haben. Wie gesagt, die Rollen sind einfach klar verteilt. Aber wir wollten auch einfach schnell arbeiten bei der Platte. Wir hatten nur sechs Monate Zeit. Eigentlich war die Zeit sehr beschränkt und dadurch haben wir automatisch sehr schnell manche Fragen entschieden.
Auf der Bühne wirkt das Trio jedoch gelöst, entspannt und befreit vom Pragmatismus der Studioarbeit. Das euphorische Kölner Publikum wird am Ende selbst Objekt und von der ebenfalls endorphingeschwängerten „Band“ fotografiert. Die Gesichter, die man dank der kurzen hellen Lichtblitze identifizieren kann, sehen glücklich aus, in Trance versetzt. Einige Versionen scheinen von der Band leicht modifiziert zu werden, ein paar Loops sind minimal versetzt. Nur Sascha Rings Stimme klingt exakt wie auf Platte. Das Liveset tendiert mehr in Richtung Setlist, man meint dann fast eine kleine Antwort auf die Frage geben zu können, ob Moderat nun mehr Tracks oder Songs machen. Jede Komposition steht für sich selbst; auch von minimalen Übergängen keine Spur. Untypisch für Modeselektor, die nach dem Konzert noch die Kölner Techno-Brutstätte des Gewölbes mit ihrem DJ-Set auseinander nehmen werden. Statement für die „Kategorie“ Song mit Höhen und Tiefen, Spannungsaufbau und klimatischem Höhepunkt?
Wie ist es, nach der langen Pause wieder in dieser Konstellation auf der Bühne zu stehen und wieder mit euren Stücken konfrontiert zu sein, deren Entstehen im Produktionsprozess ja nach einigen Aussagen von euch ein leichter Kampf waren?
Man muss sehen, dass wir momentan aufgrund der Zwangspause, 10 Shows haben wir ja bereits gespielt im letzten Jahr, sagen müssen: Die Leute müssen sich im Grunde noch eine Entwicklungsphase von uns reinziehen (lacht). Wir sind aber mit jeder Show glücklicher. Es ist nun fast eine neue Phase des Tourens. Und es ergeben sich immer wieder Sachen, die wir ausprobieren. Aber neu modifiziert wird da im Grunde noch nicht so viel. Aber so langsam entsteht doch wieder ein wenig Raum, der live auch mehr ermöglicht. Variationen und so. Neue Elemente, die es vor allem live noch interessanter machen. Jede Show klingt wieder ein wenig anders. Wir stellen auch immer wieder die Songs um und so. Es ist eine Wissenschaft, man lernt nie aus (lacht). Zum Beispiel heute, noch steht da die Reihenfolge nicht exakt fest.
Ich habe die Tage schon mal in neue Sachen von Brandt Brauer Frick reingehört. Das sind natürlich schon noch eindeutig Tracks, aber auch sehr verspielt, sehr offen. Und dann dachte ich doch wieder an euch, wo ich mich einfach nicht so schnell entscheiden kann, wo man das Stück jetzt subsumieren kann. Sicherlich ist das auch ein Aspekt, der Moderat sehr attraktiv macht. Aber denkt ihr eigentlich selbst in diesen Rastern und Schablonen?
Wir drei denken da im Grunde alle sehr unterschiedlich. Gernot hat von Anfang den Liveaspekt im Hinterkopf. Das führt zu, ich sage mal, trackigeren Gedanken. Logisch, in Bezug auf unseren Background: Modeselektor kommt auch einfach aus dem DJ-Kontext. Und Sascha eigentlich auch, aber mit Apparat hat er sich natürlich sehr in Richtung Songwriting entwickelt. Und so kam es dazu, dass vieles miteinander verbunden wurde. Ganz on top kam da die Anfangsidee, bevor wir überhaupt mit dem zweiten Album begonnen haben. Wir wollten tatsächlich ein rein instrumentales Album machen. Komplett ohne Vocals! Man mag es kaum glauben, aber so war es. Diese Idee hat aber echt nur drei Wochen gehalten. Dann saß Sascha doch wieder in der Gesangskabine (lacht). Da ist er dann doch wieder verschwunden. Er hat halt einfach Songs auf Lager. Auf einmal springt der Funke über. Er schreibt auch die ganze Zeit. Auf einmal sind die Lyrics vom Papier in dem eigentlich instrumental gedachten Song. Am Ende kam es dann einfach mehr zu Songs, die eher so eine klassische Struktur verfolgen. Aber eben auch nicht ganz.
Keine Frage: Wer wie Ring Tolstois „Krieg Und Frieden“ sinfonisch vertont, braucht ein wenig, um ins Elektro-Paradigma wieder heimzukehren. Die Weichen für die Spannung und den oft erwähnten Nervenkitzel bei der Produktion liegen aber nicht nur hier, sie ist am Ende doch auch im positiven Sinne ein Austausch. Deswegen hat „II“ unter anderem ein kleines Epos mit Breakbeats parat, sogar klitzekleine HipHop-Exkurse (auch „Monkeytown“, das letzte Modeselektor-Album, präsentierte sich als sehr vielschichtig), aber natürlich auch die eindeutig songbasierte Schwermut aus dem Apparat-Lager. Doch nach der Geschichtsphilosophie von Moderat gehören „Krieg Und Frieden“ in gesundem Maße anscheinend einfach dazu.
Würdest du die Arbeitsweisen von euch und Sascha denn wirklich als sehr unterschiedlich einstufen?
Also erstmal, Gernot und ich haben auch verschiedene Herangehensweisen. Deswegen, es kann auch bei Modeselektor mal so aussehen. Wir hatten auch bei dem Moderat-Album jetzt unterschiedliche Präferenzen, was einzelne Songs betrifft. Aber: Man mag es kaum glauben, Gernot und ich haben ja auch ein Familienleben. Die Tagesstruktur ist dadurch auch ganz anders angelegt. Sascha ist das Nachtkind, was die Produktion anbelangt. Gernot und ich sind da anders, wir sind dann eher so: früh morgens anfangen, die Aufwach-Energie nutzen, ganz geordnet und dann am Nachmittag die Kinder abholen. Danach vielleicht nochmal ins Studio und dann ist gut. Alleine solche Sachen muss man bewerkstelligen, synchron schaffen.
Würdest du denn auch sagen, dass es oft mal zu Diskussionen kam? Das ist ja wie ein gemeinsames Baby mit drei Elternteilen. Und falls ja: Würdest du im Nachhinein sagen, dass ein wenig Streit dem Endprodukt gut getan hat?
Grundsätzlich kann ich das bejahen. Ich bewundere Musiker, die ganz alleine Musik machen. Und die genau wissen, was sie wollen. Aber ich glaube denen auch nicht ganz. Die sitzen auch in der Zwickmühle. Die haben auch einen Produzenten, der um Rat gefragt wird. Alleinstreiter haben auch ihre Grenzen. Kompromissbereitschaft ist eine wichtige Sache. Die sollte man an den Tag legen. Aber ich finde es gut. So ist es im Grunde auch bei Modeselektor. Auch wenn wir ein Duo sind. Es gibt ein Ja, oder es gibt ein Nein. Wer setzt sich durch am Ende? Das ist manchmal die Frage. So einfach ist es. Es gibt Veto-Rechte und alle solche Dinge. Und das ist dann doch wie in der Politik im Grunde. Und die Zwei-Drittel-Mehrheit gibt es dann eben bei Moderat.
In eurem Film, beziehungsweise eurer Banddoku „We Are Modeselektor“, wird das aber auch deutlich, dass ihr ja sowieso relativ progressiv orientiert seid. Da ist ja an Input sehr viel unterschiedliches Zeug dabei. Den Film fand ich übrigens gelungen und sehr sympathisch, weil ja auch subtil ganz viele gesellschaftliche Faktoren von der damaligen Zeit thematisiert worden sind.
Im Grunde könnte man den Film auch umtaufen. Vom Prinzip her jedenfalls. Das Thema knüpft hier ganz gut an, er könnte auch „We Are Moderat“ heißen! Wir funktionieren gut. Zu zweit und eben auch zu dritt. Wir haben den gleichen, ähnlichen Background. Wir sind Kinder der Wende. Wir waren im perfekten Alter. Mit perfektem Musikgeschmack (lacht). Mitte, Ende der 70er wurden wir geboren und da sind so viele Sachen passiert. Wir waren zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Obwohl Sascha nicht wie wir in Berlin groß geworden ist. Er ist ja im Harz aufgewachsen. Aber bundesweit spielte sich das Gleiche ab. Im Grunde ja sogar europaweit! Nur im Osten war es vielleicht anarchischer und auch revolutionärer … sagen wir: post-revolutionärer. Der Kontakt mit der Musik, das hat uns sehr geprägt. Eigentlich wusste keiner, wo es lang geht. Alle, was gezählt hat, war eben die Party. Die Kasse, die Blechschatulle am Einlass, die Nebelmaschine. Diese Sachen halt. Deswegen ist es so, wie es ist.