Ein semikompetenter Bekannter (zwar geschmackssicher und gewandt, aber auch launisch, gefühlsduselig und gewöhnlich) beklagte sich einmal nach dem ersten Kontakt mit den Goldenen Zitronen über die fehlenden positiven Schwingungen der Musik. Nein, es war nicht Mike Love.

Aber ja, doch, die direkten Statements, die umarmenden Aussagen, die positiven Botschaften hatten die Goldies nie nötig. Wenn, dann nur in ironisch gebrochener Form als Spaßpunk in ihrer Frühphase. Spätestens aber seit dem Evergreen „Das Bißchen Totschlag“ fand das Kollektiv um Schorsch Kamerun und Ted Gaier of inzwischen Theater-Fame eine eigene Sprache, musikalisch wie textlich, in der Störpotential genossen wird und die kreative Kraft der Negation zur Entfaltung kommt. Das ist in etwa Punk als kritisch-diskursive Kunst: Ein, zwei Goldies-Zitate pro Song würden zum Beispiel die Relevanz von Gefühlsrapper Casper verzigfachen.

Auf „Who’s Bad“ geht es um den Raum und den Menschen in diesem: wie er der Werbe- und Kulturindustrie nicht entkommen kann, weil alles grell und laut ist und es keinen Fluchtpunkt für ihn gibt. Nur die Verneinungen als Zeugnis der eigenen Willensmächtigkeit bleiben und der bange Wunsch „Ich will auch nicht meine Ruhe haben/ Ich will in Ruhe gelassen werden“, denn nur wer in Ruhe gelassen wird, kann gelassen werden („Scheinwerfer Und Lautsprecher“). Der elektronische Selbstbehauptungsstampfer „Ma Place“ fordert in vehementem Sprechgesang mit Schreielementen das Recht auf Raum ein („Wem steht der Platz zu?“), ob in Afrika oder in Hamburg. Dort stehen die Essohäuser, für deren Erhalt im Agitprop-Groove „Echohäuser“ erstaunlich eingängig aufgerufen wird. Im Konkreten bejahen, im Allgemeinen verneinen, „man schielt nach Geld/ gebrandet, bargecodet“. In der krautrockigen Freude am prägnanten Rhythmus finden die Goldies ein paar Ohrwürmer, auch „Kaufleute 2.0.1“ fällt in diese Kategorie: „Gebt den Menschen mehr Zeit/ und gebt ihnen viel mehr Raum!“. Wie überraschend direkt!

Und wenn der Raum knapp ist, wird es gefährlich und die Katastrophe kommt um die Ecke, verstörend, schroff, anstrengend („Duisburg“). „Unter der Fuchtel des Unterbewussten“ stehen die Menschen auch so oder so, nervös auf dem Klavier klimpernd und hastig rezitierend: „Ein Kartenhaus aus Defiziten/ Eine Lehmhütte aus Menschheitsmythen/ Ein Vogelkäfig voller guter Absicht/ Eine Tiefgarage verinnerlichter Pflichten“. So klingt die Poesie der Goldenen Zitronen und nichts ist eine lyrisch spannendere Triebfeder als der Zweifel an der eigenen Vollständigkeit und Ganzheit. Sie dissen Rockisten und deren Wertsetzung der eigenen Authentizität, die so verlogen erscheint, dass auch Abwärts zitiert werden können, auch wenn Schorsch Kameruns Worte etwas zu theatralisch und antithetisch aufgebläht sind: „Enge Hosen“ und „ritterliche Posen“ („Rittergefühle“). Und Europa verbindet vor allem die Eintönigkeit urbaner Fußgängerzonen („Europa“).

Der Raum der Goldenen Zitronen ist der Anti-Raum und es zeichnet sie aus, dass sie vehement bestreiten würden, eine kritische Institution deutschsprachiger Musikkultur zu sein. Wer ist böse? Der vertrackte Spott und die verkopfte Negativität der Zitronen oder der, von dem verlogene und/oder abgeschmackte positive Schwingungen ausgehen, also der Rocker/Kaufmann/Medienmogul vom Typus „Campino“? Böse sind die Zitronen nicht, nur (manchmal allzu) vernünftig, aber mit Rhythmus, Experimenten und Überraschungen. Und tausenden Denkanstößen.

Einen Kommentar hinterlassen

Platten kaufen Links Impressum