WaltonBeyond
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Label:
Hyperdub
VÖ:
12.07.2013
Referenzen:
El-B, 4 Hero, 2 Bad Mice, Disclosure, Zomby
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Autor: |
Mark-Oliver Schröder |
Was ist das größte Problem elektronischer Tanzmusiken? Dass in ihrer Zersplitterung in Mikro- und/oder Lokalgenres oder -trends (zum Beispiel Footwork) diese im Untergrund ihre internationale Fangemeinde in eingefleischten Aficionadokreisen finden oder, wenn sie von Teilen des Mainstream wahrgenommen und in Windeseile von diesem gegen die Wand gefahren werden, ihre Kredibilität einbüßen (siehe: Dubstep).
Was bleibt nun Protagonisten und Liebhabern dieser Musikstile anderes übrig, als weiter ihr Ding durchzuziehen, ohne dabei in einen Noch-Krasser-Noch-Fetter-Wettbewerb zu verfallen und einem vermeintlichen Zeitgeist hinterher zu hecheln? Genau, sich auf die eigene Geschichte zu berufen, mindestens drei Schritte zurückzugehen, um einen vorwärts zu kommen. Das war schon bei Disclosure mit bestechender Wirkung zu besichtigen.
Auch der Manchesteraner Sam Walton, der seit 2011 drei EPs auf Hyperdub veröffentlicht hat, geht diesen Weg. Allerdings nicht in Richtung Pop, der 22-jährige Produzent wandert quasi „back to the roots“ der britisch geprägten Bassmusik bis zum britischen Hardcore-Kontinuum, welches seinen Ursprung irgendwo um 1990 auf den illegalen Raves in irgendwelchen abgewirtschafteten Lagerhallen oder auf Wiesen in der Pampa hatte. Dort war es tatsächlich noch möglich, elektronische Tanzmusik im kollektiven E-Taumel als Ganzheit wahrzunehmen, bevor die verschiedenen Tribes und Spezialisten (die es natürlich immer gab) endgültig die Deutungshoheit übernahmen. So finden sich auf Waltons Debütalbum „Beyond“ denn auch Erinnerungen an „Mr. Kirk’s Nightmare“ von 4 Hero („Help Me Out“), an Hardcore („Memories“), eine Verzahnung zu 2-Step, Deep House, Detroit und natürlich sein Hausgenre Dubstep – allerdings in jener Form vor der Okkupation durch Rock’n’Roll-Trolle, die dieser Musik jede Form von Sexyness und Deepness zugunsten von breitbeinig-virilem Stadiongemoshe ausgetrieben haben.
Seine Aktualität und seine Verwurzelung im Hier und Jetzt offenbart Waltons Musik dabei vor allem anhand seiner Drums, deren Programmierung derart anno 92 schwer möglich gewesen wäre. Um dies nachzuverfolgen, muss man nur die Evolution der Beats bei 4 Hero vom oben genannten „Mr Kirk’s Nightmare“ (1990) bis zum „Creating Patterns“-Album (2001) auf dem Label Talkin‘ Loud nachhören. Denn die Art wie diese Musik klingt, wie die Beats geschnitten und die Bässe moduliert sind, hängt auch mit der Evolution der Maschinen zusammen mit denen sie produziert wird (zum Beispiel Atari ST und Akai S1000 vs. Intel Pentium, etliche Sampler-Generationen später). Überhaupt, die Beats: Es klappert und rappelt massiv im Karton und zwar derart, wie man es schon länger nicht mehr um die Ohren gehauen bekommen hat. Das kommt gerade jetzt, wo andere wie Disclosure oder Mount Kimbie auf Vereinfachung setzen und 4-to-the-floor mehr Aufmerksamkeit schenken, ausnehmend frisch daher, Gleiches gilt für den Verzicht auf songorientierten Gesang zugunsten einer Rückbesinnung auf kurze Samples oder Statements.
„Beyond“ versöhnt die Liebhaber mit den Traditionalisten, die Feierwütigen mit dem Couch-Potatos und impft dem vermeintlich „siechen“ Genre eine Wundertüte voller Lebenselixier ein, welches mächtig nach Untergrund, Euphorie, Schweiß und durchfeierten Nächten klingt. Oder wie Walton es schon am Anfang so schön formuliert: „A sound for yesterday, today, tomorrow and beyond“.
[…] schon öfters erwähnt, ist es in der elektronischen Musik oft der Blick in den Rückspiegel, der den Weg nach vorne oder […]