Reib (17) - Samstags Uni und die Drogen

Schwer wiegt der Morgen allemal, vor allem einer wie dieser. Die ersten Minuten eines jeden Tages sind doch echt für’n Arsch, wer erfindet sowas? Reib schwankt benommen aus dem Bett und fällt über das umgekippte Wasserglas – Reste der Magnesiumtablette zeichnen sich noch ab. Na, wenigstens das.

Ansonsten Kopf, so weit der Schmerz reicht. Der Wecker klingelt schon seit Stunden nicht mehr. „So’n Mist“, erschrickt Reib, der längst in der Uni sein müsste. Zwischenstand der Diss und Klausuraufsicht stehen an, so ziemlich die einzig festen Termine, die er derzeit als angehender Doktor auf dem Zettel hat. Einfach nicht zu bewältigen. Und überhaupt, „angehend“, wie das klingt, angehend kann noch fortwähren.

Schnell ein Handtuch schnappen, einmal durchs Gesicht, Zähne putzen. Für die Haare ist keine Zeit mehr, was nicht schlimm ist, wenn man erstmal bedenkt, dass es ja gerade die Zeit ist, die den Haaren am meisten zusetzt.

Noch zwei Aspirin, einen Milchkaffee aus dem Kühlschrank und ab zum Bahnhof. Zwischendurch kurz sammeln, welche Ausreden noch frei sind. Die Sonne sticht in den Augen, ein kurzes Aufblitzen neben verblassten Schimmern des Abends zuvor. Warum es nur wieder so weit kommen musste.

Allein schon die Idee, mit Bauke ins Techtelmechtel zu ziehen, um da – viel schlimmer kann es wahrlich nicht um einen stehen – nach der Frau fürs Leben zu suchen, ist reinster Irrsinn. „Da kann ich gleich mit der Schrotflinte in die Wolken ballern und hoffen, dass ein Vogel gegen die Kugel flattert.“

Dies sind die letzten Worte, bevor Reib unsanft aus seinen Gedanken gerissen wird. Gerade mal vier Meter nachdem er es in die Eingangshalle des Dortmunder Hauptbahnhofs geschafft hat.

„Junger Mann, wo wollen wir denn so schnell hin?“ Ein bestimmender Tonfall, der dazugehörige Arm hält Reib entschlossen fest.

„Was, ich? Ihr habt den Falschen.“

„Das werden wir sehen. Ich gehe davon aus, dass Sie uns recht schnell vom Gegenteil überzeugen werden“, erwidert der Polizist mit arroganter Miene, die obligatorische blonde Begleitung nur Zentimeter von ihm entfernt, als müsse sie ihn beschützen: „Also, wann haben wir denn das letzte Mal konsumiert?“

„Was?“

„Das hatten wir schon.“

„Wie wäre es, wenn Sie erstmal fragen, ob ich überhaupt konsumiere?“ entgegnet Reib.

„Ich bitte Dich“, die blonde Polizistin geht einen Schritt vor und versucht es auf die Art, die eigentlich nur übermotivierte Lehrer beherrschen, „ersparen wir uns doch lange Diskussionen und kommen direkt zum Punkt.“

„Ach, sind wir jetzt schon beim ‚Du‘?“

„Wie Sie wollen: Ihren Ausweis bitte.“

„Außerdem muss ich dringend los, in drei Minuten fährt meine Bahn.“

„Das hängt ganz von Ihnen ab.“

Reib kramt hektisch in seinem Rucksack, irgendwo muss das Ding doch sein. Das Prozedere dauert etwa 30 Sekunden, begleitet von den Klängen der Kronkorken, die in Heerscharen in den Untiefen des Rucksacks hausen.

Der Bulle studiert den Ausweis misstrauisch, auf dem Passfoto ist Reib, naja, ungünstig getroffen. „Also noch mal, wann haben Sie das letzte Mal konsumiert?“

„Ähm, lassen Sie mich überlegen. Mit 17 muss das gewesen sein. Da habe ich auf dem Dachboden einer Freundin gekifft.“

„Wann war das?“

Jetzt ist Reib derjenige mit der arroganten Miene. Er deutet mit dem Zeigefinger auf den Ausweis: „Das steht da drauf.“

„Freundchen, etwas mehr Respekt, sonst nehmen wir Dich direkt mit. Sie.“

„Würde mich ja wundern, wenn Sie mich dafür noch belangen könnten. Außerdem: Wie gesagt“, Reib dreht den Kopf zu den Treppenstufen an Gleis 7, wo jeden Moment die S1 abfahren soll, „muss ich schleunigst dorthin, die Bahn wartet nicht auf mich.“

„Mal ganz langsam, junger Freund. Wo kommen Sie eigentlich her?“

Reib wiederholt die Geste mit dem Zeigefinger und kann sich das Grinsen so gerade noch verkneifen: „Das steht auch da drauf.“

„Jetzt reicht’s.“ Da kommt die Blonde mal wieder zu Wort, denkt Reib, warum muss die sich ausgerechnet jetzt profilieren. Dabei dreht sie den Ausweis dreimal, viermal, als gäbe es mit jedem Male andere Sachen darauf zu entdecken.

„Soso, aus Dortmund sind Sie also. Bei der Polizei eine feste Größe, nehme ich an.“

„Nein. Da ich beim Kiffen mit 17 nicht von Ihnen erwischt wurde und ich mir seitdem nichts zu Schulden kommen lassen habe, bin ich nicht bei Ihnen vorgemerkt. Da staunen Sie, was?“

Der Polizist übernimmt wieder das Kommando: „Wo soll es denn hingehen jetzt? So eilig wie Sie es haben…“

„Zur Uni“, antwortet Reib ohne drüber nachzudenken.

„Zur Uni – an einem Samstag? Habe ich Sie da richtig verstanden?“

„Ja, zur Uni. An einem Samstag.“

„Ist das nicht seltsam?“

„Finden Sie? Ich habe einen Termin mit meinem Prof, es geht um meine Doktorarbeit. Zudem gleich Klausuraufsicht.“

Der Polizist blick abfällig in Richtung seiner allzeit bereiten Begleitung: „Soso, Doktor will er werden.“ Dann wieder zu Reib: „Also wenn Sie jetzt, in dem Zustand, einen Termin bei Ihrem Prof haben, dann können Sie froh sein, wenn wir Sie noch eine Weile aufhalten, das will ich Ihnen mal sagen. Ganz davon ab, dass ich Ihnen die Geschichte sowieso nicht abnehme.“

„Tja, ich würde dann aber trotzdem gerne los jetzt.“

Noch immer sehen die beiden Gesetzeshüter in Reibs Hektik Nervosität. Die Blonde gibt den Ausweis widerwillig mit der freien linken Hand zurück, während beide Beamten den Rucksack kontrollieren und sich durch die Kronkorken wühlen.

„An denen ist ja wohl nichts illegal, oder?“

Jetzt wieder die Polizistin: „Du nimmst Dir ganz schön was raus.“ Dann die Denkerpose, bevor sie anfügt: „Na gut, wir lassen Dich dieses Mal ziehen. Aber glaube ja nicht, dass wir Dich nicht auf dem Zettel hätten. Es ist nur eine Frage der Zeit.“

„Zum Abschluss haben wir es dann also zum Kumpel-Du geschafft? Wie heißt Du eigentlich?“ Reib fängt sich einen weiteren bösen Blick, will sich aber nicht noch mehr Ärger einheimsen: „Ok, so soll es sein. Bis dann. Einen schönen Tag noch.“

Er hechtet die Treppen rauf, immer drei Stufen auf einmal. Oben angekommen dann das dicke Ende. Samstags andere Fahrzeiten als unter der Woche, daran hatte er in der Hetze gar nicht gedacht.

Na super, also runter zur U-Bahn – die fährt in zwei Minuten ab. Er hastet die Treppen wieder runter, als zwei alte Bekannte sein Gesicht erblicken und eine Lösung für den ganzen Schlamassel außer Sichtweite gerät. Reib versucht sich an einer unschuldigen Geste und grast dabei innerlich in Sekundenbruchteilen den Knigge ab, sichtlich um anständiges Verhalten bemüht: „Was jetzt? Grüßt man da?“

„Screamadelica“ von Primal Scream ist im September 1991 via Creation erschienen.

Ein Kommentar zu “Reib (17) – Samstags Uni und die Drogen”

  1. Thorben sagt:

    Sehr schöne Story…kommt einem vor, als wäre man dabei gewesen…

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