Scott WalkerBish Bosch
Auf der pittoresken Baustelle des Berliner Flughafens wird „Bish Bosch“ gegeben, um 21:21 soll es losgehen. Die Baukräne führen – blutrot beleuchtet – zur Begrüßung der Gäste die Choreographie „Die Leiden des nicht-mehr-ganz-jungen SW“ auf.
Das Publikum wartet in der unfertigen Abflughalle bei Sekt und Schnittchen. Die Herren tragen – klassisch – Anzug oder Smoking, die Damen lange Abendkleider, vereinzelt haben sich ein paar langhaarige Okkultisten und Lack- und Lederfetischisten unter das Publikum gemischt. Dazwischen bewegen sich emsig in Pinguinkostüme gekleidete Gehilfen, damit es den Anwesenden an nichts mangeln möge. In einer Ecke werden schamanische Ritualformeln rezitiert, behexende Zeichen in die Luft geschrieben und Zettelchen mit Beschwörungsformeln und geheimen Wünschen verbrannt. Die Spannung und Vorfreude auf das, was da kommen möge ist förmlich von den Wänden zu kratzen.
Um 21:01 ist Einlass. Rasch, aber fast geräuschlos füllt sich der Saal, anschließend herrscht andächtige Stille. Der Saal wird verdunkelt und als sich der improvisierte Vorhang öffnet, gibt er den Blick frei auf ein Symphonieorchester und eine Black-Metal-Band, sowie einen Elektroniker am Laptop. Die Beleuchtung ist spärlich, zumeist Kerzen und Schwarzlicht, das Bühnenbild wird beherrscht von Hieronymus-Bosch-artigen Chimären und anderen Albtraumwesen aus der Zwischenwelt.
Der Elektroniker – gekleidet in eine Mönchskutte, sein Gesicht verborgen hinter einer venezianischen Pestmaske – hebt die Hand zum Himmel und drückt nach einer rasanten Abwärtsbewegung die „Play“-Taste seines MIDI-Controllers: Ein repetitiver Maschinenbeat zerreißt die Stille. Ein metallisches Kratzen. Dann wie aus dem Nichts erklingt SEINE Stimme. Das Publikum raunt leise. ER ist nicht auf der Bühne zu sehen, aber seine Stimme ist überall – körperlos. Der leibhaftige Scott Walker schwebt, einem Mentoren aus Harry Potter gleich, durch den Saal zur Bühne. Mantrahaft deklamiert er „dem Schwanengesang die Federn lesen zu wollen“- Zeilen seiner ersten Offenbarung und Ouvertüre „See You Don’t Bump His Head“. Er hat eine E-Gitarre umgeschnallt und sein wallender, schwarzer Umhang streift und verschleiert die Köpfe der Anwesenden, die augenblicklich in einen tranceartigen Zustand verfallen. Sein Kopf ist bedeckt von einer fluoreszierenden Mitra.
Ein Teil der im Saal Anwesenden sackt unter Tränen in seinen Sesseln zusammen, einige der Damen und Herren krempeln ihre Ärmel hoch und beginnen mit verzücktem Grinsen ihre Arme zu ritzen. Andere hält es nicht mehr auf der Bestuhlung und sie reißen die Arme in die Luft und beginnen ekstatisch zu zucken. Aber wozu eigentlich? Zielgerichtete Rhythmuspassagen sind nur sporadisch zu vernehmen, aber der Singsang des Hohepriesters – „Pain Is Not Allowed“ – wabert durch die Köpfe und die Musik chargierend zwischen Doom, „Neuer Musik“, Kunstlied, Oper und Karneval tut ein Übriges. Die Aura des Erhabenen, der Wille und das Wollen zur großen Kunst, frittiert die Hirne und lässt sie platzend zurück wie rohe Eier in einer Mikrowelle. Jene, die jetzt schon aus den Ohren blutend am Boden liegen, sind nur Kollateralschäden.
Der Meister setzt seinen apokalyptischen Sermon mit alttestamentarischer Wucht fort und raunt den Seinen zu: „If you are listening to this, you must have survived“.
Label: 4AD
Referenzen: Mittelalterlicher Minnegesang mit Industrial-Untermalung, Swans, Raime, Wagner
VÖ: 30.11.2012