Prinzhorn Dance School: Rhythmus als Illusion

In der menschlichen Wahrnehmung wirkt die meiste Musik als eine rhythmische Vorgabe, auf die wir reagieren können. Wir vertrauen darauf, dass sie einen Beat, einen Fluss hat, dem wir synchron folgen können. Doch was ist, wenn sich das alles nur als Illusion enpuppt?
„Happy In Bits“, das Eröffnungsstück von Prinzhorn Dance Schools exzellentem zweitem Album „Clay Class“, wirkt noch eingängig. Bass und Schlagzeug etablieren mit simultanen Anschlägen den Beat, spärlich und trocken wie für das englische Duo typisch, doch klar nachverfolgbar. Wer mit dem Kopf rhythmisch zu diesem 4/4-Takt mitnickt, wird mit dem jeweils ersten seiner vier Nicker den Beginn des knochigen Gitarrenlaufs ebenso treffen wie andere Momente, in denen der Song seine Beschaffenheit ändert. Einzig der leicht verzögerte Gesang fällt aus diesem Rahmen.
Problematischer wird das Nicken beim folgenden „Usurper“. Suzi Horn und Tobin Prinz beginnen eine halbe Zählzeit vor dem ersten Anschlag zu skandieren, sind dem Rhythmus so ein wenig voraus was dem Anfang eine scharfe Dynamik verleiht. Skelettartig lückenhaft wirkt Prinzhorn Dance Schools Post-Punk, in dem selten ein Instrument (oder Gesang) über alle vier Takte gleichmäßig verteilt ist, sondern zwischen Verdichtung und Vakuum wechselt. Wie zuvor klinkt sich die Gitarre alsbald in die Rhythmussektion ein, lang nachklingende Einzelanschläge machen klar, dass man sich mit dem Kopfnicken nach dem Beat zu richten hat. Bis zum Refrain. Dort fällt der Sechssaiter plötzlich aus dem Rahmen und schlägt sich auf die Seite des Gesangs. Auf einmal wird der Song umakzentuiert, nun kann man ebenso gut mitnicken zu dem, was zwischen Bass und Beat liegt.
Synkope nennt die Musiktheorie diese Umbetonung, die alles andere als kompliziert ist. Wer ein starkes Rhythmusgefühl hat, hat vermutlich selbst schon damit experimentiert: mit Fingertrommeln zwischen den Anschlägen für sich selbst die Betonung eines Songs verschoben, im Offbeat zu einem normalen Beat getanzt. Ob synkopiert oder nicht, unser erster Instinkt ist, dem zu folgen, was wir als den einen, akzentuierten Fluss des Stückes wahrnehmen – da ist der erste Anschlag, da der nächste, in regelmäßigen Abständen.
Das Duo untergräbt auf „Clay Class“ derartige Anhaltspunkte in „Usurper“ oder „Seed, Crop, Harvest“, indem es zwei Flüsse mit unterschiedlichen Startpunkten nebeneinander laufen lässt. Spätestens, wenn man einmal aus dem Takt kommt und einen Wiedereinstieg sucht, merkt man, dass man dafür zwei verschiedene Möglichkeiten hat. Hier wird klar, dass ein Rhythmus nur dann existieren kann, wenn man ihn auch als solchen wahrnimmt. Hier gibt es keinen einen, richtigen Beat, beim Mitzählen der Takte kann man die Eins ebenso effektiv beim Gesang wie beim Schlagzeug setzen. Und egal, wie und wo man mitnickt: Das Ergebnis wirkt wundersam gegen den Strich gebürstet.
„Clay Class“ ist auf Cooperative Music erschienen.
Prinzhorn Dance School auf Tour:
14.03.12 in Bern (Reitschule)
20.03.12 in Wien (Fluc Wanne)
22.03.12 in Dresden (Scheune)
23.03.12 in München (Atomic Cafe)
24.03.12 in Heidelberg (Karlstorbahnhof)
26.03.12 in Hamburg (Knust)
27.03.12 in Köln (Tsunami Club)