Reib (IX): Mensa-Frühstück & Wehklagen

Ein Blick auf das Handy, 14:10 Uhr. Die letzten Stufen bis zum Mensagebäude. Jana tritt schon hektisch auf der Stelle, kein allzu gutes Zeichen. Seitdem er als Doktorand nicht mehr direkt an der Uni wohnt, kommt er mit den Zeiten ganz durcheinander, das sorgt für Unruhe.
„Mann, Reib, ich warte jetzt schon seit zehn Minuten. Die Mensa macht jeden Moment zu.“
„Ich dachte …“
„Eben.
Komm, zügig jetzt.“
“Ja, ich mach so schnell ich kann.”
Reib läuft reichlich unrund, seltsamer Gang. Bei der hastigen Umarmung ein schmerzverzerrtes Gesicht.
„Was ist los? Nachwehen von gestern?“ fragt Jana, nicht mal im Ansatz bemüht, die latente Aggressivität in ihrer Stimme zu kaschieren, während sie schnellen Schrittes auf den Eingang zu läuft und die Tür öffnet: „Oder hast Du endlich mal ordentlich eine kassiert?“
„Schön wär’s.“ Reib schaut zur Seite, das Ganze ist ihm sichtlich peinlich, vor allem unter den ganzen Jungspunden hier, die „Komm, Fabi, schnell noch was auf die Gabel“ ebenfalls das Tempo anziehen. Und dieser Lärm. Schon halb aus der Puste schlurft er hinterher und deutet Jana kurz vor der Treppe an, das Tempo zu verringern. Dann fast flüsternd: „Nee, darfste echt keinem erzählen. Hab’ mir wohl im Schlaf die Schulter ausgekugelt.“
Janas Reaktion ist schlimmer als befürchtet. Schallendes Gelächter, von Mitleid nicht die geringste Spur: „Komisch, jedem anderen hätte ich das nicht abgenommen“, und jetzt wird es richtig unangenehm, als sie spöttisch mit dem Finger auf Reib zeigt, „aber Dir …“
Selten so nach dem Eingang der Mensa gesehnt, denkt Reib und schnappt sich schnell ein Tablett, um überhaupt was in der Hand zu haben, sich abzustützen. Die Schulter brennt immer noch. Hoffentlich kein bekanntes Gesicht in der Nähe. Jetzt bloß nicht noch was fallen lassen.
Doch irgendwas stimmt nicht. Janas Lachen geht bei genauem Betrachten in die Binsen, wirkt gezwungen, ganz so, als versuche sie es noch für einen kurzen Moment einzufrieren: „Na, wie heißt sie denn, Kleiner, he?“, dazu diese fordernd hochgeschobene linke Augenbraue – wie soll man denn da antworten jetzt? Und überhaupt. Reib gerät ins Schlingern, doch Schweigen macht meist noch wütender, um diese Erfahrung wurde er erst kürzlich ziemlich eindrucksvoll bereichert.
Dann im richtigen Moment das Comeback, wobei er sich provozierend die linke Schulter hält: „Sehr witzig, Jana“, nur noch ein möglichst ernstes Gesicht, „und darüber hinaus würde es mich schon arg wundern, wenn Du mir zutrauen würdest, dass ich mir auch noch ihren Namen merke.“
„Keine Ahnung, der ist mir ehrlich gesagt auch völlig egal, Reib. Mach doch was Du willst. Sind ja nicht in einer Beziehung oder sowas. Nee, nicht mal ansatzweise, scheint mir.“
„Irgendwie willst Du mich partout nicht verstehen, was? Das ist wie … Ah, jetzt weiß ich’s: Du hast Deine Tage, nicht wahr? Ich meine, das würde dann ja so einiges erklären.“ Er versucht die Nummer mit der Augenbraue. Klappt nicht.
„Sehr witzig, Reib. Nein, mir geht es nur darum …
Ja, schön, habe ich, aber damit hat das erstens rein gar nichts zu tun. Und zweitens ist das absolut kein Grund, sich derart drüber lustig zu machen.“
„Ach was. Bei meiner Schulter, da darf man sich amüsieren.“ Reibs Gesichtsfarbe kehrt endgültig zurück, erst recht, als der Campussender eldoradio* das grandiose „Over The Neptune / Mesh Gear Fox“ von Guided By Voices spielt: „Aber bei der Piratenwoche nicht, oder was?“
„Ganz ehrlich: Ich wünsche es Dir von Herzen nicht, aber manchmal wäre es echt schön, ihr Typen hättet dieses Frauenproblem zumindest einmal selbst. Nur um mitreden zu können. Damit ihr mal wisst, wie das ist.“
Reib trommelt mit dem rechten Zeigefinger auf dem Tablett mit, schon Monate nicht mehr gehört den Song. Noch zwei, drei Sekunden verstreichen lassen: „Glaub mir, Kleine, das wünschte ich auch.
Damit ihr mal wisst, wie das ist.“
„Propeller“ von Guided By Voices ist 1992 via Rockathon Records erschienen.
Gutes Ende ;-)
Hättest nur nebenbei noch erwähnen müssen, was für „Spezialgerichte“ man immer um 14.15 Uhr in der Mensa bekommen hat, nachdem man endlos auf dich gewartet hat…
Mein Lieber, das war doch ne ganz andere Geschichte. Wobei: Die Nummer mit der Augenbraue kannst Du bestimmt auch;)