Nathan (VIII): Miau! Mio!

Nathan (VIII): Miau! Mio!


„… und dann hast Du triumphierend einen Schuh in die Höhe gehalten.“
„Triumphierend?“
„Ja. Mit visionärem Blick.“
„Einen Schuh?“
„Ja. Einen Wildlederschuh.“
„Pfff … ich trage gar keine Wildlederschuhe!“
„Ja, habe ich denn gesagt, Du hättest Deinen Schuh in die Höhe gehalten?“
„Verdammt.“

Lisa kicherte. „Hihihi … ach, komm. Du bist aber auch leichtgläubig.“
Als ob Nathan das jemals geglaubt hätte. Der tanzenden Menge einen Schuh präsentieren, im überfüllten Pudel! Geht ja gar nicht. Obwohl …
Nein, das hätte er gewusst. Auch heute noch.

„Grmpf. ‚Leichtgläubig‘ … immer noch besser als ‚leicht gläubig‘, nicht?“
„Ah, und nur bedingt witzig. Ist aber in Ordnung. Und heute? Was wirst Du machen?“
„Erst einmal wieder klar kommen. Also am besten nichts.“
„Gute Idee. Hast Du nötig, ich bin stolz auf Dich. Lass Dich nicht davon abhalten. Bis dann! Mach’s gut!“
„Ja, alles Gute. Wiedersehen, bis dann. Tschüss.“

Was genau haben die Menschen eigentlich gegen einen Kater? Darunter zu leiden gehört doch zum guten Ton, zumindest ist es nicht unwahrscheinlich, an einem Samstag Menschen in Bars anzutreffen, die davon erzählen, wie schlecht ihnen doch die Trinkerei am vorherigen Wochenende, Donnerstag, Freitag usw. bekommen sei. Niedergeschlagen sehen sie dabei nicht aus, oft wird sogar gelacht. Handelt es sich dabei um eine ebenso perfide wie kokett-stolze Form der Opferbereitschaft? Ein „Ich bin dabei gewesen, ich koste alles aus, bin mir für nichts zu schade, stehe alles durch. Und ich bin immer noch da.“? Den Beweis, dabei, am Ende gar überhaupt existent gewesen zu sein? So wie bei einem Foto, nur eben in einer verleiblichten Form … ansonsten bleibt ja nichts mehr von der Vergangenheit als die Erinnerung. Im Kater aber wird sie körperlich, als gar nicht abstrakte Erfahrung spürbar.
Genau wie beim Sport. Da ist’s der Muskelkater, beim Trinken dann der Katarrh. Lustiges Wort, eigentlich, aber ungebräuchlich, unbrauchbar … ach, wie schön doch die Gedanken purzeln, wenn sie nicht daran gehindert werden können. Es muss ja nicht immer alles folgerichtig sein.

Ein freier Tag und die Symptome einer Krankheit ohne Krankheit, und es ist gewiss: sie gehen vorüber. Eine Brühe, viel Tee, Wasser, Chips und Cola vielleicht, an sich doch nicht schlimm. Krank spielen und trotzdem in die Wanne dürfen, dazu Musik durch die gesamte Wohnung schallen lassen. Schön.

http://www.youtube.com/watch?v=Dh6KiuCMmzE

Ein Tag außer der Reihe, ein ganzer Tag. Dummerweise auch der letzte freie, danach muss wieder gearbeitet werden. Kein unwürdiger Abschluss für den Urlaub, das heute, aber dennoch … es ist schon schlimm, dieses Gefühl des Verblassens, der drohende Mangel an Möglichkeiten, mit denen sich von existenziellen Krisen, wie sie nun einmal unweigerlich kommen, wenn man einen Scheißjob hat, ablenken lässt … das sind doch am Ende die beiden Pole, zwischen denen gependelt wird. Auf der einen Seite die absolut beschämende Nichtigkeit der ganzen Chose, des Daseins, auf der anderen all das, was uns genau das vergessen macht, kurzzeitig. Langfristiges Vergessen lockt auch, klar, aber das ist dann nur Dummfug, halbgarer. Religion, Liebe, irgendeine Sendung, beruflicher Irrsinn, Karriere, Ehe, Kinder. Wahnwitz. Viel zu anstrengend, um sich daraus eine Grundlage zu zimmern, eine Grundlage für das Leben, das einzige. Und dann immer auf sie achten, während dieses einzigen Lebens. Schadhafte Stellen ausbessern, vorsichtig bedacht sein, nichts zu zerkratzen … ein zimperliches Parkett, diese Basis, ja, dann passt auch das Bild von der Bühne … „You know someone said that the world’s a stage, and each must play a part … Now the stage is bare and I’m standing there / With emptiness all around“, pfff … ach, heul‘ nicht, Elvis, schon schön, der Song. „Are You Lonesome Tonight?“ Sicherlich. „The circus boy is feeling melancholy“, in der Wanne, mit der besten Limo der Welt. Und hört dabei gute Musik. Wie versöhnlich es sich dabei doch trauern lässt, ohne Anlass, ohne Gegenstand.

Süßes Melancholieempfinden und davon enthoben sein, irgendetwas tun zu können … wie schön. Allein dafür lohnt es sich, hin und wieder zu trinken. ‚Nur schade‘, dachte Nathan, ‚dass ich mich am Ende heute nur für den Blödsinn auf Arbeit erhole. Dann könnte ich das auch sein lassen, letztendlich doch egal, in welchem Zustand ich dort aufkreuze. Ärgerlich nur, dass ich viel zu müde bin, um bis morgen wirklich müde zu bleiben … Mist.‘

Wie weit ist es denn gekommen, wenn der eigene Körper als Ziel für imaginäre Sabotageakte dient? Noch nicht weit genug. Mit Nathan musste es, früher oder später, endlich mal „so weit kommen“, wie es eben kommt, wenn schließlich gefragt wird: „Wie konnte es nur so weit kommen?“.

“Out of Season” von Beth Gibbons & Rustin Man erschien 2003 via Polydor.

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