Reib (III): Der Charme von Borbeck

„Wirklich einladend ist das hier ja nicht gerade.“ Jana ist mit dem Kopf dicht an der Frontscheibe, als sie ihren alternden Golf III startet und anschließend durch eine schmale Seitengasse lenkt. „In diesem schwarz-weißen Essen-Borbeck möchte ich echt nicht wohnen. Hast Du dieses Din-A4-Blatt da vorhin am Eingang gesehen? „All You Can Eat“ – für 4,99. Und die tote Fliege pappt diese werbewirksame Offerte an die Scheibe. Mann, muss das da schmecken. Generell alles ziemlich heruntergekommen hier.“

„Heruntergekommen? Naja.“ Reib blickt sich irritiert um, während er vergeblich nach dem Anschnallgurt greift. Linke Straßenseite, rechte Straßenseite, dann: „Also ich sehe weit und breit keine Nagelstudios.“

Als Antwort ein süffisantes Grinsen, wenn auch ein wenig verrutscht: „Das ist mal wieder typisch. Aber reden wir doch lieber über den Vortrag. Auch wenn Du versucht hast, das geschickt zu kaschieren: So wirklich vorbereitet warst Du vorhin eher nicht, oder?“

„Sag mal, ist das die neue Stephen Malkmus? Die hat er ja mit Beck aufgenommen. Der erlebt als Produzent derzeit echt sowas wie seinen zweiten Frühling.“ Der unangenehmen Frage mit einem fachkundigen Satz ausweichen, denkt er, das ist jetzt genau das Richtige.
„Reib?“
„OK, OK,“ schnell von der eigenen Genialität wieder eingeholt, „danke, dass Du mir vorhin so galant ausgeholfen hast, als ich GSM, UMTS und LTE unkontrolliert durcheinander geworfen haben muss. Aber dafür fehlte gestern Abend anscheinend einfach die Zeit.“
„Schon klar.“

Sie biegt links ab, die Straße mehr Baustelle: „Bahnhof Borbeck-Süd: Bevor es noch schlimmer wird, sag mir lieber, wie wir von hier jetzt zurückkommen.“ –
„Also, dieser Kiosk müsste direkt um die Ecke sein.“

Sie blickt ihn ungläubig an, gleichzeitig so verärgert, dass für einen winzigen Moment gar ein paar Falten auf ihrer Stirn zu sehen sind: „Das ist doch jetzt nicht Dein Ernst, oder?“
„Also ich mag es ja gern, wenn Du mal Dein wahres Alter zeigst.“
„Du weißt, wie die Busse fahren?“
Reib blickt nochmals skeptisch raus: „Das kannst Du nicht machen, echt nicht. Denn wenn ich ehrlich bin: Zwar keine Nagelstudios, aber die Dichte an Internetcafes ist mir wirklich nicht ganz geheuer. So, der Trinkgut hier geht auch. Hältste kurz an?“

Sie verdreht die Augen, als Reib ungelenk das verhedderte Kopfhörerkabel vom Gurt lösen will und vorerst gar nicht aus dem Sitz kommt.
„Kannst Du mir mal sagen, wofür Du jetzt Deinen verdammten MP3-Player brauchst?“ Doch Reib ist zu konzentriert auf die Sache an sich, als dass er antworten könnte. Und schon die Art der Frage, da hat man eh keine Chance.

Wenig später hellt sich der Blick merklich auf, als Reib mit ein paar Flaschen unter dem Arm zurück zum Auto schlendert.
„Erster alles!“ schallt es aus der Einfahrt gegenüber.
„Ich bin Messi“ ruft der anscheinend in der Hackordnung recht weit vorne platzierte Bengel.
„Ich Ronaldo“ schreit der leicht dümmlich drein blickende Junge daneben.
„Ne, ich bin Ronaldo. Du bist Maik Franz.“ Der Kleinste in der Gruppe ist arm dran. Da soll man echt mal über Namen diskutieren, denkt Reib, da kannst Du Dein Kind ruhig Luca, Leon oder sonst wie angesagt taufen, wenn Du ihm dann ein Franz-Trikot schenkst…

Noch in Gedanken versunken öffnet er die Tür mit der freien linken Hand und steigt ein, während er feststellt, aus Versehen etwas von dem nassen Rasen ins Auto zu tragen. Wenn es denn nur das wäre.
Ablenkend: „Öh, sag mal, Jana, hast Du letztens dieses charmante Interview mit Maik Franz gesehen?
Sie wippt zu „Senator“ im Takt: „Das mit dem 6-jährigen Kind?“
„Hach, ich wusste doch, dass ich auf Dich zählen kann.“ Reib ploppt das Flens.

„Irgendwie erstaunlich, oder? Dass die großen „Bösewichte“ immer so kurios einknicken. Ich meine, genau wie bei „Breaking Bad“, wenn der gefürchtete Heisenberg an der Fliege scheitert.“
„Ist das Dein Erstes?“
„Irgendwo bieten sie Dir eben alle ihre Fläche“ philosophiert er zufrieden vor sich hin, während Malkmus ihn an unbekümmerte Studienzeiten erinnert, „in diesem Sinne: Willste auch nen Schluck?“

Das provozierende Lächeln von Reib. Und der Versuch von Jana, böse zu gucken, sich das Grinsen selbst zu verbieten. Was natürlich zum Einen nicht gelingt, sie darüber hinaus selbst verärgert und dem merklich Freude an der Situation gewinnenden Reib zu allem Überfluss ein noch zufriedeneres Lächeln aufs Gesicht setzt.

„Ach, was soll’s. Gib mal Dein Feuerzeug.“
„Eben. Und morgen holen wir den Wagen wieder ab.“
„Wir?“
„Na gut. Aber wo es doch gerade so schön ist hier.“ „Senator“ läuft, als Reib die Flasche kurz auf Janas Oberschenkel absetzt, den Refrain mitsingt und einen lustvollen Blick andeutet: „Hab außerdem gehört, da gäbe es so einen Parkplatz. Bisschen abgelegen.“
„Klar, Reib, kann mir gerade nichts Schöneres vorstellen. Was ist denn nun mit dem Feuerzeug?“

„Das müsste doch irgendwo in meiner Hosentasche …“, doch da findet er nur Flyer von irgendwelchen Clubs, von denen er nichts weiß. Und eine Nummer von einer Janine, die er nicht kennt.

Das alles interessiert Jana, die ihre Nase rümpft, in diesem Moment überhaupt nicht: „Sag mal, kommt das von draußen?“

„Mirror Traffic“ von Stephen Malkmus & The Jicks ist vor wenigen Tagen via Domino erschienen.

4 Kommentare zu “Reib (III): Der Charme von Borbeck”

  1. Ole sagt:

    Und es wird immer besser…
    Feiner Verweis auf Vollpfosten Franz. Meiner Meinung nach eines der passensten Statements zu ihm: http://www.youtube.com/watch?v=IT_0lM68Dwg&NR=1

    Und ein köstlicher Schlußsatz!

    Danke.

    Frue mich auf Teil IV

  2. pinsel sagt:

    Er ist halt ein *rschl*ch

  3. Pascal Weiß sagt:

    Hehe, Bad Boy Franz. Schön übrigens, dass man nach der Frage des Kleinen sofort sieht, an was er denkt. Dass es ihm dann derart peinlich ist, naja, dafür gibt es dann sicherlich auch eine Reihe von triftigen Gründen.

  4. […] die in der Redaktion große Wertschätzung genießen. Dies wären zum Beispiel Panda Bear, Stephen Malkmus & The Jicks, Shabazz Palaces, Bill Callahan, Iceage, John Maus, Zola Jesus, Low, Okkervil River oder Zomby, um […]

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