Reib (II): Komplikationen beim Aufstehen

Es ist das immergleiche Machtspiel am Morgen, das Wecker und Radio heute für sich entscheiden können. Während Ersterer in immer ungemütlicheren Abständen immer hastiger fiept, läuft auf Byte.fm gerade ein Song, der Reib irritiert zur Fernbedienung greifen lässt: „Waking Up Drunk“. Da soll mal einer schlafen. Erstmal lauter.
Gedankenverlorener Blick an die Decke. Dann ein übles Gefühl, als er anschließend auf das Ziffernblatt an der Wand blinzelt: 12:40 Uhr. Reib schreckt hoch. Und knallt mit dem Kopf unter das Regalbrett, das vor langer Zeit zum Zwecke eines möglichst austarierten Raumklanges mal in einer Nacht-und-Nebel-Aktion zur Stütze für einen seiner Lautsprecher wurde.
„Verdammt.“ Ausgerechnet dort, wo die Haare (auch) weniger werden, hat es ihn erwischt. Ein schönes Hörnchen, das zeichnet sich schon nach wenigen Sekunden ab. Er hält sich den Kopf, nichts Kaltes in der Nähe. Von seinen schweißigen Füßen mal abgesehen. Doch nach derlei Verrenkungen steht ihm jetzt nicht der Sinn.
Um Punkt 13 Uhr sollte er fertig in der Tür stehen, dann kommt Jana. Reib hatte sie bereits am ersten Tag ihrer O-Phase im Herbst 2002 kennen- und „schätzen“ gelernt. Darüber hinaus ist sie zu einem seiner wichtigsten Gesprächspartner geworden. Ja, das geht.
Allerdings weiß er nur zu genau, wie sehr sie es hasst, auf ihn zu warten. Was bei näherer Betrachtung nun zu einem ernsthaften Problem werden könnte. Ärger wäre jetzt das Letzte.
Von einem üblen Kater geplagt, hechtet Reib unter die Dusche. Die kleine Kompaktanlage im Badezimmer ist immer noch Gold wert, denkt er, als diese „Beatles For Sale“ gerade automatisch zum zweiten Song springen lässt: „I am a loser, and I’m not what I appear to be.“
Reib singt unter der Dusche lauthals mit. Seine Art mit der bescheidenen Situation umzugehen. So kann er später wenigstens ehrlich behaupten, die Schelle nicht gehört zu haben.
Nach dem dritten(?) Klingeln öffnet er die Tür, die Boxershorts schnell übergezogen. Ein wenig Glück braucht man auch, denkt Reib, als er feststellt, glücklicherweise doch nicht die mit dem seltsam großen Eingriff erwischt zu haben. Die frisch aus dem Urlaub zurückgekehrte Jana kommt die Treppen pfeifend hoch. Die Natürlichkeit in Person. Gesunde Bräune, wo gibt es sowas noch, denkt Reib, Mann, das kann doch nicht nur der Alkohol sein. Immer, wenn er sie einige Zeit nicht gesehen hat, macht es ihn fast sprachlos. Warum muss man die Frauen bloß immer erst wegschicken?
Weiter kommt er jetzt nicht. Eine ehrliche Umarmung zur Begrüßung. Und keine Anzeichen von schlechter Laune. Gut so. „Jana, ähm, toll siehst Du aus, Du…“
„Würdest Du Dir vielleicht was anziehen, Reib? Das kann man von Dir übrigens nicht gerade behaupten, bist Du gerade erst aufgestanden? Und was ist das da an Deinem Haaransatz?“
„Naja, gestern mit Ansgar noch gemütlich hier gesessen und ein paar Bier getrunken. Irgendeines davon muss wohl schlecht gewesen sein.“
„Aber ihr wart danach nicht zufällig noch unterwegs?“
„Möchtest Du vielleicht einen Kaffee?“
„Aha.
Was ist eigentlich mit Deinem Auto?“
Unangenehmes Thema. „Du weißt doch, das ist seit Menschengedenken kaputt und lässt sich von den Tauben, die sich hier Jahr für Jahr vergnügt in der Eiche darüber eingenistet haben, vollscheißen. Angeblich Kolbenfresser. Natürlich, was sonst. Das sagen sie immer, irgendwo was ganz Schlaues aufgeschnappt. Kolbenfresser, wenn ich das schon höre.“
Das anschließende Frühstück: Sandwich-Toast, Kaffee und Lütauer. Jana erzählt von ihren Erlebnissen in Schweden und abenteuerlichen Typen aus Kanada, die gerade in sechs Wochen Europa erkunden. Keinesfalls ein Seitenhieb in Richtung Reibs reisetechnischer Antriebslosigkeit.
Jetzt mit forderndem, düsteren Blick: „Die haben schon mehr von Europa gesehen als Du.“
„Gut möglich“, entgegnet Reib beiläufig, während der Sportteil der aktuellen Tageszeitung deutlich mehr Aufmerksamkeit für sich verbuchen kann. „Ist dennoch schön hier. Hab‘ doch alles.“
Er blickt kurz auf: „Und überhaupt: Ist es nicht entscheidender, sich da wohl zu fühlen, wo man immer ist?“
„Ach, weißt Du …“ – Jana gibt es wieder mal auf. „Ist noch Kaffee in der Maschine?“
Ohne jegliche Hetze steigen sie wenig später die Treppen hinab. „Hast Du auch alles für unseren Vortrag, Reib?“
„Klar, wüsste nicht, was ich vergessen haben könnte.“ Er sucht kurz in seiner Einkaufs-Stofftasche. „Aber wundert mich, dass Du noch gar keinen Stress machst, müssten wir nicht längst los?“
„Nene, keine Sorge“, entgegnet Jana, schubst ihn freundschaftlich gegen das Geländer und nimmt augenzwinkernd seine Hand, „oder meinst Du, sonst hätte ich Dir tatsächlich 13 Uhr gesagt?“
„Waking Up Drunk“, im Original von den Spider Bags, kann im Rahmen einer Daytrotter-Session von Titus Andronicus kostenlos heruntergeladen werden.
Ein Slacker vor dem Herrn. Herzerwärmend!
Mein persönlicher Favorit:
Warum muss man die Frauen bloß immer erst wegschicken?
Trés chic.
Warum stoß ich da jetzt erst drauf? Das ist ja überragend! Irgendwo zwischen „Buddy Holly auf der Wilhelmshöhe“ von Wolfgang Welt und „Soloalbum“ von Stuckrad-Barre… Ich hätte das gern in Buchform… Nur doof, dass dann die Songs nicht einbauen könnte. Ich würde sie dann aber trotzdem so lange suchen, bis ich sie habe. Die beiden hier erwähnten Song sind der Wahnsinn und gehören auf jedes studentische Mixtape. Ganz stark!
Freut mich sehr, fu, vielen Dank. Auch wenn ich gestehen muss beide Bücher nicht gelesen zu haben – zumindest die Wilhelmshöhe ist aber in naher Zukunft mal angedacht. Beste
Grüße an das Campusradio in Mainz, was mich dann auch gleich daran erinnert, mich mal wieder bei dem in Dortmund blicken zu lassen.
Markus, Felix & Co: Nächste Woche Mittwoch oder Donnerstag, wie sieht es da aus?