Zwischen Urangst und Wehmut: Kreng

(Vorweg gesagt: Der Autor dieses Textes liest gerade „Das Königreich Der Lüfte“ von Stephen Hunt, eine aberwitzige, fesselnde, jedoch auch arg brutale Steampunk-Saga, die sicherlich nicht unwesentlich auf die Höreindrücke zu „Grimoire“ abgefärbt hat.)

Der Belgier Pepijn Caudron alias Kreng wird gerne als Klang- oder Soundalchemist bezeichnet, seit er auf seinem Debut „L’Autopsie Phénoménale De Dieu“ ein Gebräu aus Tonkunst und Klanginstallationen zusammengemischt hat. Musik wie aus Raum und Zeit gefallen, mit lautmalerischer Raffinesse verwoben, dem Kampf zwischen Zorn und Zaudern bedingungslos ausgeliefert. War jedoch „L’Autopsie Phénoménale De Dieu“ mehr ein Flickenteppich, ja vielmehr ein abstraktes Suchspiel ohne Endpunkt, ist sein neues Werk „Grimoire“ ein zwar wirres, aber dennoch in sich geschlossenes Konstrukt.

Eine Phantasie, ein Kopfkino, ein bizarres Trugbild. Auf der Schneise zwischen moderner Klassik und Dark Ambient passiert bei „Grimoire“ einiges. Nicht, dass allein die titelgebende Sammlung von Zaubersprüchen und Beschwörungsformeln im Kopf herumspukt, das Album zieht sich vielmehr durch Adern und Nervenbahnen und windet sich, den Relais, Zahnrädern und Spulen einer viktorianischen Höllenmaschine gleich. Pulse, die mal einen Herzton lang aussetzen und sich migräneartig durch die Kopfhaut schälen.

Die Mittel, die Caudron dazu einsetzt, sind konsequenterweise gar nicht so weit hergeholt. Mit aufgetürmten Streicherkaskaden fängt er Klassik und Moderne ein und verschmilzt sie zu einem matt schimmernden Amalgam. Klaviereinsätze, wie sie Cage oder Ives nicht entschlossener einsetzen könnten. Eingefangene Klänge, Worte und Stimmen weben sich dazu, ohne jemals im Mittelpunkt zu erscheinen, ein paar harsche Sprachfetzen hier und da dringen kaum bis zum Ohr des Hörers durch.

Bis in den hintersten Winkel des Bewusstseins jagt Caudron dabei seine an surreale Filmkompositionen der 20er Jahre erinnernden Momentaufnahmen. Klaustrophobisch von organischer Enge gezeichnet. Gefangen wie mit einem unwiderstehlichen Bann gefesselt. Schon „Karcist“ zu Beginn kündet davon, entzieht sämtliche Realitätsbezüge und hechelt und flüstert mit Schlangenzunge ins Ohr. „Le Bateleur“ ist dann wiederum gar nicht komisch, der Narr, dem dieses maschinelle Herzklopfen keine Beklemmungen verursacht, kann sich in eine Reihe mit dem Joker und Pennywise stellen.

Ein ständiges Lauern und Belauern beherrscht „Griomoire“, das seine Höhepunkte sparsam, aber dann machtvoll einsetzt: die Sopranistin bei „Opkropper“, die einem schier das Mark aussaugt oder den metallenen Glanz, der dem Streichersolo in „Ballet Van De Bloodhoren“ voranschreitet. Überragt nur durch den neunminütigen Stillstand, der sich in „Wrak“ nahezu sinnbildlich festbeißt und wispernd und wimmernd das Herz vom Kopf trennt.

„Grimoire“ ist ein perfekter Begleiter für einen Film, den man nur mit geschlossenen Augen sehen will. Maschinell und künstlich und doch von solch organischer Wucht. Caudron ist der Alchemist, der ohne Tiegel und Phiolen ein Gebräu anrührt, das nachhaltig bis ins Rückenmark wirkt und das Bewusstsein verändern kann. Eine Tour de Force zwischen Urangst und Wehmut.

„Grimoire“ ist bereits auf Miasmah erschienen.

Links: Albumstream | Facebook

Ein Kommentar zu “Zwischen Urangst und Wehmut: Kreng”

  1. Plusculus sagt:

    Danke… gelungener Post… gelungene Musik!

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