Alleine mit dem Krug am TresenOder: Romantik mal anders

„It’s back to the battle today /But I wouldn’t have it any other way /Cuz tonight we’ll be crazy as kooks /I’m dancing /Grooving.“
„Am Sonntag muss ich arbeiten“, sagt die sympathische Kollegin als ich ihr, in Gedanken schon im Halbdunkel irgendwelcher Spelunken in der Dortmunder Nordstadt versunken, frohen Mutes ein schönes Wochenende wünsche. Sie wirkt dabei gar nicht mal groß zerknirscht. „Aber Montag und Dienstag habe ich frei. Trinke morgen einen für mich mit.“ Klar, daran soll es nicht scheitern, denke ich mir und kratze mich unsicher am Kopf. Und füge an: „Gern. Wenn Du dann am Sonntag und Montag für mich einspringst.“ „Der Haken“, erwidert sie, „an diesen Tagen gibt es wenige bis gar keine, die mitziehen. Da wäre ich allein an der Bar.“
„A handful of strangers, all friends of mine. I don’t need a Christmas card you don’t even write“
Allein an der Bar? Just in diesem Moment kommt der männliche Romantiker zum Zuge. Doch dieses Bild der Romantik hat nichts mit einem nur mit reichlich Wohlwollen zu erkennenden Herzen aus 284 mühsam gesammelten Muscheln am Strand oder einem bei ebay überteuert ersteigerten Planeten zu tun, der ab jetzt den Namen der Freundin trägt, frei nach dem Prinzip „Kann ich mich nicht irgendwie freikaufen?“. Nein, das Bild des Mannes in diesem Moment ist ein gänzlich anderes. Denn, jetzt mal ganz ehrlich, was in dieser Welt wäre romantischer als ein tagsüber das Leben einfach so hinnehmendes Mädel, das abends mit gesenktem Kopf und sicherem Griff am Krug den Barkeeper vollphilosophiert?
„Seven years of holidays/ Cafes, bars, and sunny days/ We ran around/ Banged our heads/ Never felt no pain/ I hope we’ll find our peace.“
Passiert hier in der Dortmunder Nordstadt natürlich zuhauf. Da gibt es Läden, das kann ich euch sagen: 70 oder 80 Cent, das 0,3er Brinkhoffs. Auf den Straßen kann man sich nur sicher fühlen, wenn man das große Talent hat, mit schludrigen, ziemlich tiefhängenden Cordhosen, der obligatorischen Bierflasche in der Hand und trotzdem irgendwie selbstbewussten und – spätestens jetzt wird es eng – halbwegs geraden Gang über die Straße zu schlurfen. Zur Not füllt man sich halt Wasser in die Bierflasche. Kein Witz, alles schon vorgekommen. Aber das hört sich viel schlimmer an als es ist.
„Now it’s all over, it’s all over. Anyhow. You took your sweet time.“
Der Abend verläuft in geregelten Bahnen. Die übliche Klagerunde. Das Licht im Subrosa ist angenehm gedimmt, man fühlt sich im Schutze der Schatten recht sicher. Ein guter Freund fängt an zu erzählen, die ersten Liter haben die Zunge merklich gelockert: „Meine Liebste hat das Weite gesucht“. Die als Dienstreise getarnte Geburtstagsfeier seiner Ex ist aufgeflogen, die Reichweite von Facebooks Foto-Link-Prinzip wurden schlichtweg unterschätzt. „Aber was will ich machen? Sie hätte mich eh nie gehen lassen. Und dabei wollte ich doch nur auf diesen verdammten Geburtstag meiner Ehemaligen. Ganz ohne Hintergedanken, glaub’s mir ruhig. Und hey, sogar ihren jetzigen Mann mag ich. Ehrlich gesagt verstehe ich gar nicht, wie die an so einen Typen rangekommen ist“. Er schmunzelt. Und fügt an: „Sabines Grund letztes Wochenende war wohl nur vorgeschoben. Sie hatte schon seit einem knappen halben Jahr einen anderen“. Das Glas ist schon wieder so gut wie leer.
„And I’m flying/ I’m back on my own/ Don’t worry about me/ I threw all my old things away/ I got your letter/ And thanks for the offer/ I really don’t need a thing.“
„Harry, machste noch mal so’n 0,5er Siegel Pils?“; er wirkt in diesen Momenten so stark, wie man es von einem Mann – wer zur Hölle hat das jemals so festgelegt?‘ – erwartet. Aber der unsichere Blick auf den leeren Barhocker neben ihm, der trostlose Rest in seinem Krug; die heimtückische Einsamkeit wartet nur auf solche Momente. Er dreht sich wieder zu mir, ein paar Falten fallen mir auf, ansonsten ist der Blick sanft wie immer: „Wahrscheinlich bin ich selbst schuld. Habe zu sehr mein Ding durchgezogen, dieses ganze Romantik-Allerlei ist mir aber auch fremd. Ab und zu will ich einfach nur hier sitzen. Hätte früher oder später wohl eh nicht mehr geklappt, das sehe ich ein. Und trotzdem vermisse ich sie. War ne Gute. Aber keine Sorge, ich komm‘ schon klar“.
„I’ll be drunk before too long/ And I’ll keep up in case I can talk/ This really don’t say it all/ There’s too much to enclose.“
Ein wenig hält er noch durch. Der Grund, auch wenn er es vehement abstreiten würde: Ein nettes Mädel, Birgit ihr Name, fragt, ob sie sich zu uns setzen darf. Ihr geht es anscheinend ähnlich. Sie ist öfter hier, ihr Blick ist mir schon mehrfach aufgefallen. Hat was Eigenartiges. Unantastbar und warm zugleich. Seltene Mischung, das gefällt mir. Aber die Gedanken dünnen aus, werden schwammig. Ich versuche mich zu konzentrieren: „Willkommen in unserer kleinen Runde. Ist ein wenig trostlos hier, aber herzlich. Hier, nimm ruhig diesen Barhocker, ich muss eh mal wieder ne Weile stehen. Was willst Du trinken?“
„My head is all full of dreams/ It’s nothing new/ But maybe dreaming is all /A man can do.“
Der Abend geht zu Ende, der letzte Schluck ist süffig und schal. Aber das kennt man ja. Der Barkeeper kassiert. Das Mädel auf dem Barhocker ist gerade gegangen. War ja klar. Nun sitze ich da, halte mein Glas noch einmal fest in den Händen. Und frage mich, wie viel von dem wirklich wahr ist. Der Barkeeper indes konzentriert sich auf seine Stärken und macht das, wozu er ausgebildet wurde: Zuhören. Selbst als wir am Ende nur noch zu zweit in dem Laden sind und die Zeitung ziemlich ruppig durch den aufklappenden Türschlitz geflattert kommt. Ich frage ihn, ob er das Mädel von gerade kenne, sie hätte sowas Romantisches. „Männer-Romantik, ja sowas gibt’s, Harry. Ich glaube sie mag mich auch. Was meinst Du?“ Er dreht sich um, mit einer Geste, die ich nicht recht zu deuten weiß. Aus der Jukebox kommt „If Only It Were True“ von The Walkmen. Ich frage nicht weiter nach. „Kleiner Scherzkeks“, sage ich beim Kassieren. Aber auch: „Stimmt so.“
„You are the mroning/ I am the night /I was the only one / Left at the right time.“
Auf dem Weg nach Hause kreist man tatsächlich noch ein wenig um den Block, mit all den dunklen Seitengassen, von innen abgeschlossenen Eckkneipen und 24-Stunden-Trinkhallen, die andernorts einfach Kioske heißen. Bei einem hält man kurz an. Gar zweimal geht es noch am eigenen Haus vorbei. Sieben Jahre jetzt in dieser Stadt. Ein wohliges Gefühl. Wie Heimat. Das Leben, gerade ganz gut. „Die leere Flasche an den Straßenrand“, das hat man mir hier so beigebracht. Zumindest eine gute Tat an jedem Tag. Morgen wird gut.
„Tomorrow the sun will be brighter.„
—
Alle Songzitate stammen aus dem Album „You & Me“ von The Walkmen, ihr ebenfalls superbes Album „Lisbon“ ist im Herbst erschienen.