Ein erster Frühlingsgeist oder ein später Herbstfaun scheint sich für die ersten Töne von „Marrow Of The Spirit“ mit seinem Cello an einem munter plätschernden Gebirgsbach niedergelassen zu haben um eine wohlfeile Melodie zum Besten zu geben. Ein Idyll, ein Klang voller Harmonie, ein Quell voller sinnlicher, unbeschwerter Stimmung.

Es bedarf nun allerdings keiner prophetischen Weitsicht, um voraussehen zu können, dass sich die amerikanischen Black- und Doom-Metaller schnell wieder ihr Hoheitsgebiet zurückerorbern. Auf „Marrow Of The Spirit“ grassiert die pure Wucht, gepaart mit Verzweiflung, brutaler Kälte und ohnmachtartiger Wut.

Progressiv darf es sein, intensiv und kraftvoll. Was nach der friedvollen Einleitung noch schier unmöglich scheint, erreicht „Into The Painted Grey“ schon nach den ersten 5 Sekunden. Drums wie Holzhammerschläge peitschen die Stimmung auf, die einem heiseren Waldschrat nahe kommende Stimme John Haughms kratzt und beißt sich in den Nervenbahnen fest und alles was sonst noch an Klängen und Rhythmen erzeugt wird, wandert von Bewusstseinsebene zu Bewusstseinsebene, nur um sich spätestens beim 17minütigen „Black Lake Nidstång“ in das Knochenmark zu ergießen. Droneklänge mischen sich hier mit schwarzem Metall, verzweifelter Post-Rock schielt um die Ecke und wenn nach dem ersten Drittel des Stücks der wahnsinnige Gesang einsetzt, mag man sich gar nicht mehr loslösen wollen, sondern fühlt sich im eigenen Inneren gefangen.

Den Stab in den Boden rammen, einen Pferdekopf darauf stecken um einen besonderen Feind zu verfluchen (so lässt sich „Nidstång“ am ehesten übersetzen); es sind vor allem volkstümliche, wenn auch pagane Themen, denen sich Agalloch auf „Marrow Of The Spirit“ widmen. „Ghost Of The Midwinter Fires“ macht hier keine Ausnahme. Ein fast schon beschwingter Auftakt scheint die traditionell an diesem Festtag den Berg herab fahrenden Feuerräder in ihrem Vorhaben zu unterstützen, die angesprochenen Geister auszutreiben, doch schon bald erhält das dunkle Volk den Vorzug. Kein anfeuerndes Johlen, kein keckes Lachen, eine bleischwere Dämmerung setzt sich über den optimistischen Tönen fest, keift und spuckt Gift und Galle und wildert konsequent in unsteten Prog-Rock-Gefilden.
Mit „To Drown“ beschließen Agalloch ihr bislang zornigstes Album. Angefüllt mit Groll und Grauen stürzt sich Haughms stimmlich noch einmal in tiefste Tiefen und ertrinkt in einem tobenden Wirbel voll von aufgeladener Energie.

“Marrow Of The Spirit” ist mit Sicherheit kein zweites “The Mantle”. Die dort durchbrechenden Folkstrukturen finden sich hier vor allem beim abschließenden “To Drown” und beim bärbeißigen „The Watcher’s Monolith“. Stattdessen bestimmen Tristesse und Hoffnungslosigkeit das Bild, jedoch von solch infamer Strahlkraft, dass einem schier das Herz zerspringen mag. Die diabolische Spielfreude (was für eine merkwürdige Vokabel in diesem Zusammenhang) in weiten Teilen bei „Ghost Of The Midwinter Fires“, der Berge versetzende Bombast in den letzten Minuten von „To Drown“ und die raue, fast schon bestialische Gewalttätigkeit im imposanten „Black Lake Nidstång“ finden jedoch alle Teile wieder, setzen sie zusammen und lassen „Marrow Of The Spirit“ als organischen Monolithen in der eiskalten Winternacht zurück.

80

Label: Viva Hate

Referenzen: Alcest, Ulver, Primordial, Goodspeed You! Black Emperor, Darkthrone

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VÖ: 26.11.2010

Ein Kommentar zu “Rezension: Agalloch – Marrow Of The Spirit”

  1. […] Herbstfaun (erfunden für das letzte Agalloch-Album „Marrow Of The Spirit“) ist zurück. Nur kommt er dieses Jahr […]

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