Schönheit und Opulenz – Eine Baroque-Pop-Versuchung

Es mag verwunderlich klingen, einem fast 40 Jahre alten Album, das niemand kennt anlässlich seiner Wiederveröffentlichung auch nur eine weitere Zeile zu widmen. Wenn man sich aber auf das wundersame Hauptwerk des seltsamen Nick Garrie und seine ebenso obskure Lebensgeschichte einlässt, ist es durchaus einen Beitrag wert. Bedenkt man dazu, dass der Musiker nach seinem Debüt von der Bildfläche verschwand, erst nach Jahren weitere Alben aufnahm, die allerdings dann auch nur in Spanien und Frankreich veröffentlicht wurden, mag das heutige Interesse noch seltsamer anmuten. Hierzu muss allerdings gesagt werden, dass „The Nightmare Of J.B. Stanislas“ nicht mehr und nicht weniger als ein absolutes Meisterwerk im ein wenig in die Jahre gekommenen Genre des Baroque Pop ist.

 

Früher war ja eh alles anders. Ein Blick in den musikalischen Katalog der 60er Jahre bietet eine geradezu unüberschaubare Fülle an Künstlern, die sich dieser meist durch Opulenz in der Instrumentierung gekennzeichneten Richtung verbunden fühlten. Reminiszenzen an klassische Musik, Bläser und Streicher im Überfluss, gerne auch mal tonnenweise Klavierkaskaden, darauf gründen nahezu alle musikalischen Auswüchse jener Stilrichtung. Texte aus Poesie und Natur, Liebe und Tod, gerne aber auch mal etwas Volkstümliches oder Sagenhaftes prägen die häufig zwei- oder auch mehrstimmig gesungenen Werke. Namen wie The Zombies, The Association oder auch The Left Banke sind in diesem Zusammenhang sicherlich die bekannteren Referenzen, „Odessey and Oracle“ besagter Zombies eines der bemerkenswertesten Alben, allerdings ist das höchstens die Spitze des Eisbergs.

Baroque Pop ist sowieso nicht gleich Baroque Pop. Besagter Nick Garrie zum Beispiel nutzt auf „The Nightmare Of J.B. Stanislas“ durchaus auch versponnene, psychedelische Momente (Psych Pop), The Free Design und The Zombies kontern mit sonnigem Harmoniegesang (Sunshine Pop) und Duncan Browne und Van Dyke Parks setzen vor allem auf ihren Erstlingswerken vermehrt auf breit ausgekleidete Folksongs (Baroque Folk). 

Aber zurück zu Garrie. Der bedient auf seinem Debüt von 1969 nahezu alle Sparten, vom gespenstischen Titelsong über das fröhlich verschmitzte „Ink Pot Eyes“ bis hin zur bangen Frage „Can I Stay With You?“. Immer sehr prachtvoll orchestriert, gerne vielfältig in Szene gesetzt und dazu mit einem Gespür für Melodien, die sich sofort im Ohr festsetzen. „Wheel Of Fortune“ setzt hier mit leichtem Echo und wundersamem Chor den vorläufigen Schlusspunkt, da der letzte offizielle Song des Albums auf einmal einen gänzlich anderen Charakter besitzt. „Evening“ in seiner Schlichtheit entspricht wohl Garries eigener Vorstellung von seinem Erstling am ehesten, ein kleiner Nick-Drake-Klon, der trotz seiner Andersartigkeit hervorragend zum Rest der Stücke passt, die schlichtweg vom Geschmack des Produzenten überrumpelt wurden. Garrie hat im Übrigen im vergangenen Jahr heimlich, still und leise ein weiteres, dieses Mal überall erhältliches Album mit Namen „49 Arlington Gardens“ veröffentlicht, welches weniger barock, sondern mehr klassisches Singer/Songwriter-Album ist, ein Weiterhören lohnt es aber in jedem Fall..

…und heute? Sicher, da fallen Namen wie Arcade Fire und The Divine Comedy, gerade in diesem Jahr auch noch Owen Pallett und John Grant, aber darf man dazu noch Baroque Pop sagen? Ein Vorschlag: wir beschriften eine weitere Schublade, nennen das ganze Post-Baroque und haben spätestens bis 2012 den nächsten größeren Hype. Und dazu wünsche ich mir dann, dass sich irgendwann eine Plattenfirma erbarmt, Phil Ochs’ „Pleasures Of The Harbour“ wiederzuveröffentlichen, das „The Nightmare Of J.B. Stanislas“ in nichts nachsteht.

„The Nightmare Of J.B. Stanislas“ ist als Deluxe-Neuauflage bei Elefant Records/Alive erschienen

Einen Kommentar hinterlassen

Platten kaufen Links Impressum