Festivalbericht: Das dunk! in Zottegem (02./03.04.2010)

Schon in den letzten Jahren wusste das dunk! mit einer exquisiten Bandauswahl zu überzeugen, doch die diesjährige Ausgabe schlägt auf dem Papier mit der Verpflichtung der Constellation- Speerspitzen Hrsta und A Silver Mt. Zion alles zuvor Dagewesene. Weitere Genregrößen runden das Line-Up zu einem der besten der letzten Jahre ab – und das für gerade einmal 20 Euro. Das monatelange Warten ist schließlich vorbei, als es Karfreitag raus aus der bedrückenden Mittelmäßigkeit Nordrhein-Westfalens auf direktem Weg rein ins pittoreske Flandern geht.

Tag 1: Immanu El, Slaraffenland, Hrsta und andere
Schon mittags im Hotel in Sint-Lievens-Houtem, einer Gemeinde mit 10000 Einwohnern, die aber infrastrukturell fast jede deutsche 50000-Einwohner-Stadt schlägt, angekommen, bleibt noch Zeit, vor den ersten Auftritten nach Brüssel zu fahren und sich umzuschauen. Ein mehr als lohnenswerter Abstecher, doch über allem liegt natürlich die Vorfreude aufs dunk!, das in wenigen Stunden starten wird. Dann ist es endlich soweit: Die kleine Halle inmitten eines umso größeren Sport- und Naherholungskomplexes öffnet ihre Pforten. Wir sichern uns zwei Sitzplätze, besser geht es nicht, der Abend kann beginnen. Mit Amoy Fanray und Liesa Van der Aa machen zwei Lokalmatadoren den Anfang. Für beide gilt: Sie schlagen sich beachtlich, können aber die Spannung in ihren ohnehin kleinen Slots nicht bis zum Ende halten. Das ändert sich bei Immanu El. Die Schweden starten furios, steigern sich immer weiter und sind am Ende die ersten Gewinner des Festivals. Immanu El verwischen mit ihrer einfühlsamen Brachialität auch live Genregrenzen, die 50 Minuten zumeist düsteres Gewitter gehen viel zu schnell vorüber. Inzwischen ist die Halle gut gefüllt. All jene, die trotz des scheinbar schwächeren, weil „poppigeren“ Line-Ups des ersten Tages schon heute gekommen sind, dürften es nicht bereuen. Slaraffenland erweisen sich im Anschluss als so etwas wie das komplette Gegenteil. Kleine Pophymnen mit extra viel guter Laune sind die Paramater und auch wenn sie damit im Publikum teilweise auf taube Ohren stoßen, lassen sich erstaunlich viele mitziehen. Der Auftritt des lustigen Dänen hat vor allem im Mittelteil seine Längen, doch er ist vor dem schweren Stoff, der noch kommen sollte, eine gute letzte Gelegenheit zum Durchatmen. Während der nächsten Umbaupause dann der Moment, auf den viele gewartet haben: Er steht auf der Bühne. Er, der legendäre Mike Moya, Gründungsmitglied der nicht minder legendären Godspeed You! Black Emperor, heute mit Hrsta unterwegs. Beim Soundcheck kümmert sich Moya, der Perfektionist, um jedes Instrument, ist kaum zufrieden zu stellen und stellt damit die Nerven seiner Fangemeinde auf eine harte Geduldsprobe. Endlich, mit halbstündiger Verpätung, beginnt ein Auftritt, der sich nicht wie erhofft entwickelt. Der Sound funktioniert nun tadellos, Moyas eindringlicher Gesang könnte einen vom ersten Augenblick gefangen nehmen. Könnte – wären da nicht einige Idioten im Publikum, die das Ganze durch permanente, penetrante „Godspeed“- Rufe sabotieren würden. Hrsta lassen sich nichts anmerken, die Stimmung in Teilen des Publikums leidet aber natürlich erheblich. Zusammen mit einem konstanten Grundmurmeln aus dem hinteren Teil des Publikums sorgt dies dafür, dass gerade ruhige Songs wie „21-87“ nicht die Erhabenheit entfallen können, auf die sie eigentlich ausgerichtet sind. So werden Hrsta zur geistigen und körperlichen Schwerstarbeit; es gilt mehr denn ja, alles Störende auszublenden und sämtliche Kräfte auf die Bühne zu fokussieren. Manchmal gelingt es, meistens nicht. Plötzlich habe ich Angst vor dem Auftritt von A Silver Mt. Zion morgen. Nein, solche Fans haben Godspeed nicht verdient. Der Rest der Geschichte, der sich eine Woche später zuträgt, ist in diesem Licht blanke Ironie. Nachts um 2 wird dann klar, warum ein Hotel auf Festivals immer die bessere Alternative ist: Endlich Ruhe, kein Regen und eine vorzügliche Matratze.

Tag 2: pg.lost, Yndi Halda, A Silver Mt. Zion und andere
Der erste Tag ging dann doch insgesamt an die Substanz und so liegt es nahe, vorerst nicht zum Festivalgelände zurückzukehren, sondern mit dem Auto die Gegend und einige Städte zu erkunden. Bei aller architektonischer Herrlichkeit Flanderns fehlen – Internetcafés. Es wäre nämlich durchaus eine Option, sich an diesem Karsamstag in ein solches einzumieten und dort den extrem wichtigen Bundesligaspieltag zu verfolgen. Leider Fehlanzeige, letztendlich ist man mal wieder auf einfache und verspätete SMS aus der Heimat angewiesen. Unter all den aufstrebenden Newcomern, die am heutigen Nachmittag und Vorabend spielen, ragen Kokomo heraus. Die einzige deutsche Band auf dem Festival versteht es ausgezeichnet, traditionellen Post-Rock zu zitieren und weiter mit einigen Ideen anzureichern. Auch von technischen Problemen lässt sich die Band nicht abhalten und spielt nach einer Unterbrechung von fast 10 Minuten – für ein nur 40- minütiges Set normalerweise fast ein Todesurteil – den Auftritt druckvoll nach Hause. Schon jetzt ist die Halle mindestens genau so gut gefüllt wie gestern zum Schluss. Die Stimmung ist unabhängig von den Bands auf der Bühne friedlich bis euphorisch, genauso, wie man sie sich auf einem Festival wünscht. Den Reigen der „großen“ Band eröffnen pg.lost, die business as usual abliefern. Abgeklärt und mit 70er-Jahre-Heimvideoaufnahmen im Hintergrund fehlt der letzte Kick an Entschlossenheit, der die Band trotz technischer Brillanz vielleicht noch aus ihrer Lethargie hätte reißen können. Yndi Halda stellen sich da wesentlich geschickter an. Obwohl erst ein Album veröffentlicht, besitzen die fünf eine ähnlich mystische Aura und Bühnenpräsenz wie Mike Moya am Abend zuvor, freilich komplett anders inszeniert, immer wieder kumulierend in die eruptiven Geigenausbrüche Daniel Neals. Kein Wunder, dass Neal die Aufmerksamkeit mehr und mehr auf sich zieht. Seine Soli spielen sich jedoch nicht unangenehm klebrig in den Vordergrund – das Dilemma vieler Songideen mit Geigen – sondern treiben die Kollegen zu neuen Höchstleistungen an. Als die Band nach 40 Minuten verabschiedet, denken alle an einen Scherz, schließlich war laut Timetable eine ganze Stunde reserviert. Doch tatsächlich, nach drei Songs, darunter ein vielversprechender vom bald erscheinenden neuen Album, ist tatsächlich Schluss. Auf Festivals erlebt man selten zu kurze Auftritte. Dieser war so einer. Im Gegensatz zu Hrsta am Vortag starten A Silver Mt. Zion pünktlich. Die Verkleinerung des Kollektivs wirkt sich auch auf die Setlist aus, viele der alten Songs sind anscheinend ohne Tralala Band nicht mehr zu packen. So wird das Set hauptsächlich aus Songs des neuen Albums bestehen, ergänzt durch „BlindBlindBlind“ und „God Bless Our Dead Marines“. Die Stimmung ist angespannt, gleich zu Beginn legt sich Efrim Menuck mit einigen unbelehrbaren Kreaturen im Publikum an. Zeitweise hat man das Gefühl, er stünde kurz davor, hinzuschmeißen. Doch die Lage beruhigt sich glücklicherweise nach einigen Songs, A Silver Mt. Zion spielen ein wunderbares Konzert mit viel Herzblut, allerdings ohne die Spiritualität früherer Zeiten. Bezeichnend hierfür ist „God Bless Our Dead Marines“. Für alle die damals dabei waren, war es vermutlich der Augenblick der 2006er Tour, als sich die damals noch acht oder mehr Mannen im Kreis aufstellten und ein traurig bedrückendes Manifest vortrugen. Diesmal scheint jeder für sich alleine zu kämpfen, was nicht unbedingt schlechter ist. Nur etwas weniger ergreifend. Und fest steht auch: Zusammen mit Yndi Halda die besten zwei Stunden überhaupt, die ich je auf einem Festival erleben durfte. Daher ist an diesem Punkt auch Schluss, trotz der vorzüglichen Maybeshewill, die die undankbare Aufgabe haben, jetzt gleich noch auf die Bühne gehen zu müssen. Ab ins Auto also und zurück ins Ruhrgebiet.

Fazit: Die einzig traurige Erkentnis ist, dass  Idioten – wenn auch sehr wenige –  nicht nur auf großen, sondern auch auf kleinen und geschmackvollen Festivals ihr Unwesen treiben, aber das wissen wir spätestens seit dem Haldern Pop 2004. In vielen Belangen war das dunk! das perfekte Festival: Überragendes Line-Up, günstige Eintritts- und Getränkepreise, null Security- Personal, mehr als genug Parkplätze, ausgelegt auf eine Besucherzahl im mittleren dreistelligen Bereich. Bitte hier in der Nähe nachmachen.

(Danke an sjugge für die Fotos.)

2 Kommentare zu “Festivalbericht: Das dunk! in Zottegem (02./03.04.2010)”

  1. Pascal Weiß sagt:

    Ich kann mir den Felix hier bildlich vorstellen, schöne Eindrücke;)

  2. Wow, das klingt ja wie der siebte Postrock-Himmel.

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