Erst leichte Beunruhigung. Dann Angst. Lust. Aggression. Depression. Auf einmal Freude. Verzweiflung. Panik. Enthusiasmus. Beklemmung. Selten wirbelt eine Platte dermaßen verstörend in allen nur erdenklichen Gefühlszuständen, gräbt sich ein und holt mit seinen fiesen Krallen längst vergrabene Sehnsüchte hervor wie „Sacred Palms“.

Ziemlich hilflos taumelt man in Sekundenschnelle von einer Stimmungslage in die nächste, ein Zustand hoffnungsloser Unterlegenheit, dem ein oder anderen vielleicht noch aus den orientierungslosen Tagen der Jugend bekannt. Josh Bertram und Chaz Knapp, die beiden Jungspunde und Hauptcharaktere in Our Brother The Native, brechen sich – und das macht die Faszination dieser Platte aus – nicht die Knochen beim riskanten Spreizschritt zwischen musikalischer Verspieltheit und der authentischen Verkörperung von Trauer und Verzweiflung. Ihre musikalisch gewagte Verknüpfung gelingt, können die verquerten, experimentellen Versatzstücke ihres klanglichen Bühnenbildes den aufwühlenden Gefühlsausbrüchen doch zu keiner Zeit den Zahn ziehen. Sie versuchen aber auch gar nicht, sich unnötig in den Vordergrund zu drängeln, sondern berechtigen ihr Dasein vielmehr als bereichernde Koexistenz.

In aller Gemütsruhe macht sich der Opener „Well Breed“ zur Positionsbestimmung auf, führt den Hörer mit anfangs beruhigender Atmosphäre auf die falsche Fährte, bis schlussendlich nach stetig zunehmender Geräuschkulisse mit einem verzweifelten Schrei ein jähes Ende gefunden wird. Im weiteren Verlauf schlagen sich die Percussions mithilfe wild gewordener Noise-Samples an vorderster Front durch das Dickicht, um den Banjos, Saxophonen und Pianos dieser Welt den Weg zu weisen. Zwischenzeitlich schließt sich auch noch Kevin McKay an der Violine der Truppe an („Someday“, „Trust“); das tropische Klangbild ist  komplettiert. Sicherlich sind Our Brother The Native keine Einzelkämpfer an der Weird Folk-Front, die Verweise zu CocoRosie, High Places, Akron/Family oder auch den etwas weiter gelegenen Frightened Rabbit sind erlaubt. Dabei ist es aber eine Art affektive Ambivalenz, die dieses Werk von den anderen Stammesbewohnern abgrenzt. So fungieren die antreibenden  Rhythmen  als  Unterlegscheibe  für ein antriebsloses zweistimmiges Gespann. Und die zahlreichen, sorgfältig zurechtgelegten Samples ziehen im Hintergrund die Fäden, verpassen dem Ganzen einen eigenwilligen spirituellen Charakter, der fremd und unbehaglich wirkt. Seinen Höhepunkt erreicht „Sacred Palms“ – das, nebenbei bemerkt, über die volle Distanz nicht einen einzigen Hit abwirft – kurze Zeit nach der Punk-Aggression eines „Child Banter“ im intensiven „Sores“, das in gruseliger Kulisse Endzeitstimmung aufkommen lässt: „It is dark again and I’m behind the wheel / Take me away from everything that I know and love / Oh how easy it would be to just drive off the edge and into the hills / There I lay, picking at the scabs / The sirens light flood over me, I’m so easily broken.“ Wenige Minuten später erklingt der Closer „Endless Winter“, dessen wundersamer, abschließender Piano-Lauf die Erschöpfung des Duos symbolisiert und gleichzeitig an dem Versuch scheitert, die bösen Geister zu vertreiben. Dabei erlangten wir doch längst höchst selbst in „Awaken“ die Erkenntnis, als Voraussetzung zur erfolgreichen Bekämpfung deren Existenz akzeptieren zu müssen: „Please help me deal with this pain, it’s not going away.“

7.7 / 10

Label: Fat Cat (RoughTrade)

Referenzen: Akron/Family, High Places, CocoRosie, Animal Collective, Dirty Projectors, Frightened Rabbit, Grizzly Bear, Ten Kens, Sigur Rós

Links: MySpace, Fat Cat

VÖ: 29.05.2009

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