Zur Einordnung: Einige der Tage, an die ich am liebsten zurückdenke, spielten sich nachts ab. Auf Schattenbrücken entkomme ich der Sonne. Im Sommer sehne ich den Herbst herbei, den Herbst verschlafe ich.

Der Name Snow Ghosts verspricht nicht zu viel: Hannah Cartwright und Produzent Throwing Snow (Ross Tones) spuken im Schnee, sie mit ihrer Stimme, morbide Geschichten in dunkler Verzweiflung und inniger emotionaler Kälte darbietend, er mit stumpfen Beats aus der Tiefe und barschen Sounds aus der Dunkelkammer. Das klingt entsprechend nach Portishead, Former Ghosts und Thom Yorke, für dessen Projekt Atoms For Peace Tones bereits Vorband war.

In „The Hunted“ murmelt Hanna Cartwright langsam und leise bis zum im Crescendo aus Krach eingebetteten Mantra „The hunter becomes the hunted“. Schwebende Streichersamples führen „Mutder Cries“ in einen schemenhaft und hibbelig pluckernden Beat – so seufzen Dirty Projectors im Winter. „Convenant“ ist Industrial für Schwermütige oder Techno in Zeitlupe. Die Spannung in „Gallows Strung“ entsteht aus der einfachen Folk-Melodie und der hallenden Sehnsucht in Cartwrights Stimme, zu der sich dramatische Synthiemelodien und ein dezent eingesetzter Rhythmus gesellen. So viele Sounds passen in Folk, so viel Melodie in so weiten Sounds. „Untangle Me“ hat den richtigen Beat, „Ropery“ eher einen anstrengenden. Mit „And The World Was Gone“ endet das Album im majestätischen Murmeln der Vergänglichkeit, aus einem Unwetter sich erhebend, stolz und erhobenen Hauptes schreitend und danach langsam ausklingend. Die Soundcollage „In The Deep“ funktioniert als Coda.

Nicht jedes Gemüt wird allzu häufig dazu in der Lage sein, so viel Schwermut auszuhalten und so schwarz ist auch mein Herz nicht, dass „A Small Murmuration“ mir nicht manchmal zu viel des Dunklen ist. Aber das Album ist rund, die Beats sind famos und die Stimmungen deep. Wem der Sommer zu lang wird, der holt sich mit den Snow Ghosts die Kälte ins Haus. Schneemänner umarmen, bis sie schmelzen: süße Trauer!

Ein Kommentar zu “Snow Ghosts – A Small Murmuration”

  1. Pascal Weiß sagt:

    „Im Sommer sehne ich den Herbst herbei, den Herbst verschlafe ich.“

    Hehe, herrlicher Satz wieder, Sebbel. Und ich werde immer böse angeschaut von den Kollegen, wenn ich im Sommer endlich den Herbst herbei sehne…

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