Dass Hip Hop oft wertkonservativer als die katholische Kirche ist, ist keine ganz bahnbrechende Neuheit. Dass die Bestandteile eines guten Rap-Albums – Beats, Flow, Reime und Storytelling – schon seit ehedem die selben sind, ist allerdings ebenso wahr. Der jüdischstämmige MC ILL Bill ist so jemand, den man getrost eine New Yorker Underground-Legende nennen kann, mehr oder weniger unbekannt durch Formationen wie Non Phixion und La Coka Nostra sowie als CEO seines eigenen Labels Uncle Howie Records. Warum es innerhalb einer nun fast 20-jährigen Karriere nicht zu  größerer Popularität gelangt hat, wird beim Hören seines neuesten Solo-Werks schnell klar: ILL Bill macht und lebt Rap ohne Rücksicht auf Fame und Zeitgeist. „The Grimy Awards“ ist kein Album für Jedermann.

Schon die Feature- und Produzentenliste liest sich wie der feuchte Traum eines irgendwann Ende der 90er hängengebliebenen Hardcore-Rapfans. Von M.O.P. bis Jedi Mind Tricks, von Large Professor bis El-P gibt sich hier fast alles die Klinke in die Hand, was sich abseits des Mainstreams einmal einen Namen erarbeitet hat. Den krönenden Abschluss des Albums bildet die ultimative Primo-Huldigung „World Premier“, die von niemand geringerem als dem Meister selbst veredelt wurde. Ein (Gott sei Dank gitarrenfreies) Bad-Brains-Feature auf „Forty Deuce Hebrew“ sorgt mit seinen Crossover-Assoziationen dafür, das angenehm roughe 90er-Jahre-Ambiente zu komplettieren.

Lyrisch erweist sich „The Grimy Awards“ als eine Mischung aus typischem Tough-Guy-Gehabe und galliger Gesellschaftskritik, die sich leider nicht vollständig vom genreüblichen „Die da oben“-Verschwörungspathos freimachen kann. Immerhin gibt es mit „Carnarsie High“ und „Exploding Octopus“ – einer ziemlich nahegehenden Aufarbeitung der Geschichte des Una-Bombers Ted Kaczinsky – zwei Tracks, auf denen sich ILL Bill als großer Storyteller im Themenfeld gesellschaftlicher Entfremdung beweist. Die Welt, die er in seinen Texten zeichnet ist eine, in der wahlweise der dritte Weltkrieg, eine orwellsche „New World Order“ oder gleich die Apokalypse kurz bevor stehen. Mit geballter Wut im Bauch predigt er gegen Politik, Religion und eine verblendete Gesellschaft. Zivilisationskritik und Männlichkeitskult, richtige Fragen und falsche Antworten gehen auf Tracks wie „How To Survive The Apocalypse“ Hand in Hand. Was auf der einen Seite als angepisster Rundumschlag durchaus nicht seine Wirkung verfehlt, enthält andererseits natürlich auch all die Ambivalenzen, die Genres wie Rap und die aus Bills musikalischem Werdegang ebensowenig wegzudenkenden Metal und Hardcore seit jeher zu einem Problem für politisch korrekt denkende Menschen werden lassen.

Zu einem empfehlenswerten Album wird „The Grimy Awards“ jedoch nicht nur, weil ILL Bill schlichtweg ein technisch tadelloser, charismatischer und weitgehend unterschätzter Rapper und Beatpicker ist, sondern auch deswegen, weil er dem Album bei allem testosterongeladenen Unfug ein weiches und verletzliches Inneres bewahrt. Das äußert sich nicht nur in persönlichen Tracks wie „Acceptance Speech“ und „When I Die“, einer herzerweichenden Ode an Bills Großmutter, sondern auch dadurch, dass immer wieder anschmiegsame Soul-Samples den sonst so düsteren und knochenharten Hardcore-Sound durchkreuzen.

In all seiner Widersprüchlichkeit, seiner wütenden Verzweiflung funktioniert „The Grimy Awards“ nicht nur als ILL Bills persönliches Manifest und großes Spätwerk, sondern vor allem auch als Verbeugung vor Rapmusik an sich. Dafür gebührt ihm an dieser Stelle einmal allerhöchster Respekt.

2 Kommentare zu “ILL Bill – The Grimy Awards”

  1. Pascal Weiß sagt:

    Basti, bin ich so berechenbar?

  2. Haha. Naja, das war wirklich einfach. Freut mich aber, dass es dir gefällt.

Einen Kommentar hinterlassen

Platten kaufen Links Impressum