Eigentlich hätte A$AP Rockys Albumdebüt längst die Bestenlisten für 2012 aufwirbeln und das Jahr so umso deutlicher als eines des HipHops etikettieren können. Sechs Monate nach ursprünglich geplantem VÖ-Termin ebnet der Harlemer Goldjunge nun die letzten Unregelmäßigkeiten auf seinem Weg zum Ruhm: „LONG.LIVE.A$AP“ ist tongewordene Kohärenz mit einem Interpreten, der unverhohlen das unter den Strich schreibt, was nur ein solch lebendes Klischee zu vermitteln vermag: lässige Selbstverständlichkeit.

RCA hat sich nicht lumpen lassen. Drei Millionen stecken nun ohnehin schon im Hoffnungsschimmer mit dem prätentiösen Dollarzeichen im Namen. Und circa tausend Kollaborateure beweisen: Zu viel ist nie genug. Die Stimmen von Kendrick Lamar, Schoolboy Q und Santigold bewahren „LONG.LIVE.A$AP“ vor Längen, mehr als ein Dutzend Produzenten, darunter his „nigga Skrillex“, kreieren schier unendlichen Facettenreichtum, der so ziemlich alle derzeit gängigen HipHop- und artverwandte Trends zusammenfasst. Was scheinbar A$APs Unsicherheit ob seines eigenen Talentes enttarnt, ist in Wahrheit sein klügster Schachzug: Auf „LONG.LIVE.A$AP“ schlüpft er im Vordergrund in die Rolle des Kurators und entwirft damit ein visionäres Bild vom Künstler der Zukunft, der auch außerhalb des „featuring“-geprägten Genres des HipHop funktionieren könnte. Big Boi hatte Ende letzten Jahres Ähnliches versucht, doch während unterschiedliche Akteure (A$AP trat selbst dort als Gast auf) dessen „Vicious Lies And Dangerous Rumors“ in Stilstücke zerbröckeln ließen, führt A$AP Rocky harmonisch zusammen, was auf dem Papier schwer vorstellbar bleibt: In „Wild For The Night“ dressiert er Skrillex’ sirenenartige Synthies, rappt leichtfüßig über den Offbeat. Verhalten rückt er seine Vocals neben Santigolds Refrain auf „Hell“ in den hallenden Hintergrund, während sich Clams Casinos tranciger Soundteppich den dumpfen Beats unterordnet. Besser ließen sich Schwächen kaum kaschieren.

Die musikalisch immer etwas düstere Herrlichkeit verleitet viel zu sehr dazu, über die Arroganz der Texte hinwegzusehen. Im Refrain des sphärischen Titeltracks verabschiedet sich A$AP auf weichen Gitarren singend ins unsterbliche Heldentum („Who said you can’t live forever, of course, I’m living forever“), das catchige „Fuckin’ Problems“ (mit Drake, Kendrick Lamar und 2 Chainz) avancierte zurecht in den USA bereits zur Hitsingle. Letztlich hält A$AP Rocky mit seiner fast schon unverschämt entspannten Rap-Haltung die Fäden des Albums zusammen; sie klingt nach in ihrer feinen Art, die immer noch edgy genug ist, um ihn als das zu präsentieren, was er ist und sein will: ein frecher, unantastbarer Bad Boy, der über den Dingen schwebt.

Leicht nachvollziehbar wird diese Attitüde mit Blick auf seine Klischee-Biografie. Denn auch wenn in Zeiten, in denen in den USA die Mittelschicht langsam auszusterben droht, die Geschichte vom Amerikanischen Traum immer ferner rückt: A$AP Rockys Auftritt auf der Bildfläche bietet eine eingängige Erinnerung. Als Rakim Mayer wird er in Harlem geboren und nach einem New Yorker MC benannt. Als er zwölf ist, muss sein Vater wegen Drogenhandels in den Knast, als er 13 ist, wird sein Bruder vor der Haustür erschossen; er beginnt, das Rappen ernster zu nehmen. Dann folgen sein Mixtape und der Millionendeal mit RCA. 2012 schließlich der offizielle „Aufstieg“ zum Kriminellen, er darf nicht beim Pitchfork Music Festival auftreten, weil er am Abend zuvor im Gefängnis landet: Körperverletzung, vielleicht unter Einfluss illegaler Drogen.

Homophobie scheint ihm zwar inzwischen aberzogen, aber selbst das klingt in vielen Aussagen eher weniger, als käme es aus einer tiefen inneren Überzeugung heraus: „HipHop braucht jetzt keine schwulen Rapper oder so was, aber sie müssen aufhören, so verschlossen zu sein, denn das zwingt das Genre einfach nur zum Scheitern. Schau dir Pop an, Pop diskriminiert auch keine Leute.“ All das, was ihn so ganz offensichtlich zum Unsympath macht, lächelt Rakim Mayer verschmitzt mit seinen grillz-golden glitzernden Zähnen weg. Als sei er sich sicher, dass seine so stimmig gewölbten Beats unter jede noch so weiße Haut dringen werden. Und diesbezüglich irrt er wohl nicht.

3 Kommentare zu “A$AP Rocky – LONG.LIVE.A$AP”

  1. Bastian sagt:

    Eine sehr schöne Rezension zu einem Klasse-Album, wobei ich dieses „Künstler als Kurator“-Ding hier nicht unbedingt visionär finde. Da gibt es genügend andere Beispiele in so ziemlich allen Bereichen der Popmusik. Was man A$AP Rocky allerdings zugestehen muss, ist ein außergewöhnliches Gespür für die richtigen Leute. Allein die Gästeliste von 1Train! Mal sehen, ob diese Serie anhält.

  2. Pascal Weiß sagt:

    Verstehe irgendwie nicht, was alle an diesem Goldzahn und seinen Tracks finden. Lächerlicher Typ auch.

    Die Rezi hingegen ist wirklich schön geschrieben.

  3. Die Produktion ist halt fantastisch und alle Gäste hängen sich voll rein. Das Ganze ist dann wie eine Party, zu der man erst nicht hin will weil der Gastgeber ein langweiliges Arschloch ist, die dann aber von allen Anwesenden zu einem denkwürdigen Abend gemacht wird.

    Ich seh das Album zwar nicht ganz so hoch, weil mir sein uninteressanter Protagonist auch als Nebendarsteller auf seinem eigenen Album noch zu stark präsent ist, aber es ist schon sehr gut.

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