Crystal Castles(III)

Es gibt Menschen, die behaupten, Witch House sei sehr 2010. Aber soll man Crystal Castles nun Anachronismus vorwerfen, wenn sie auf ihrem dritten selbstbetitelten Album doch bloß logisch an ihr Werk anknüpfen? Ihr düsteres Synthie-Universum klingt dramatischer, herrschaftlicher und tranciger als je zuvor – und traut sich offensichtlicher als bisher auf eine Meta-Ebene.

Crystal Castles hatten es nie nötig, sich allzu freizügig zu geben. Die meisten Songs verstecken sich auch auf „(III)“ unter dem trügerischen Mantel des Durchschnitts, bis sie spätestens mit Einsatz des Refrains Einblick in die mächtige Welt darunter gewähren. Unzählige Schichten zerrissener Synth-Fäden verbergen dort noch immer fantastisch glitzernde Melodien, Alice Glass’ Stimme windet sich unter dem Gewicht dieser erdrückenden Masse, schreit hallverzerrt ihre verstörenden Botschaften. In den besten Momenten dieser bahnbrechenden Pathetik wird sie selbst zu einer unmenschlichen Klangfarbe ihrer Keyboards und begibt sich damit auf den Weg der Transzendenz, die ihr im Opener „Plague“ wirklich zu gelingen scheint.

„(III)“ ist nicht nur deshalb das organischste Werk von Crystal Castles. Auch die Beats bouncen nun unter den Schleiern, die die Band ihrem Sound überwirft. Diese funktionieren als spinnwebenartiger Kleber, aus dem sich kein Song zu befreien vermag, nicht mal das großartige „Sad Eyes“, das Trance für 03:27 Minuten zum schönsten Genre der Welt macht. Bei so viel Variation (kein Keyboard von „II“ durfte bei „(III)“ mitspielen) fällt es fast schwer, zu glauben, dass kein Ton am Computer entstanden sein soll.

Die vom Sound vorgegebene Stimmung setzt sich konsequent in der Bildsprache fort. In „Plague“ werden Körper gesalbt, in „Affection“ mit bloßen Händen Motten zerquetscht, es geht um blasses Fleisch, Narben und blutige Dolche. Immer wieder tauchen Begriffe wie „Reinheit“ und „Jugend“ auf. Alice Glass tanzt auf den Trümmern aus Illusionen und Träumen, „If you sleep before I arrive / I’ll pray for you my girl / A flower on fire / And I will always let you down“ singt sie in „Violent Youth“. „Oppression is a theme, in general …“, heißt es in einer Erklärung zum Album, „a lot of bad things have happened to people close to me since II and it’s profoundly influenced my writing as I’ve realized there will never be justice for them.“ Mit den sprachlichen Mitteln des Okkultismus wollen Crystal Castles Einblick in die dunkle Realität gewähren, die sich böse Welt von heute nennt. „I didn’t think I could lose faith in humanity any more than I already had, but after witnessing some things, it feels like the world is a dystopia where victims don’t get justice and corruption prevails.“ In Songs wie „Violent Youth“ oder „Child I Will Hurt You“ schlüpft Alice Glass auf masochistische Art und Weise in die Rolle der Täterin.

Das Albumcover entspringt dem Gewinnerbild des World Press Photo Award des spanischen Fotografen Samuel Aranda – es zeigt eine muslimische Frau im Jemen, die ihren Sohn in ihren schützenden Armen hält, nachdem er während einer Demonstration von Tränengas getroffen wurde. Das Original wird mit Michelangelos „Pietà“ in Verbindung gebracht, was die Symbolik auf eine mystisch-religiöse Ebene hebt, in der der tote Jesus in den Armen seiner Mutter liegt. Crystal Castles beanspruchen diese Bildhaftigkeit auf eine prätentiöse Art für sich. Sie erfüllt vor allem auf einem sehr persönlichen Niveau ihren Zweck: Treffender hätte die Dramatik, die „(III)“ zu vermitteln sucht, nicht eingefangen werden können.

79

Label: Polydor

Referenzen: Salem, Grimes, Trust, Light Asylum, Health

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VÖ: 12.11.2012

2 Kommentare zu “Crystal Castles – (III)”

  1. Ist es ein ungültiger Vergleich, wenn ich das Album von The Hundred In The Hands aus dem Sommer soviel besser finde?

  2. Ich sähe TITH soundmäßig näher bei Stott (ganz deutlich bei „Keep It Low“ vs. das Titelstück von „Numb“), was sicher auch in deren Absicht lag. Crystal Castles geben halt nicht viel auf (Pop-)Songwriting, weswegen ich sie dafür auch nicht kritisieren würde – wobei ich die HITH auch eben deswegen interessanter fand als Stott, weil sie damit einen auf Pop machten.

    Mich nervt auf „(III)“ eher der klobige Side-Chaining-Effekt (wie z.B. in „Wrath Of God“ diese gleißend helle Synth-Linie immer dann abgewürgt wird, wenn der Bassanschlag kommt). Das kommt vielleicht daher, weil sie das ohne die übliche Software-Lösung gemacht haben sollen, wirkt aber auf mich eher unbeholfen als kunstvoll schlampig.

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