Die Krautzungen der Bessere Zeiten


Das Phantastische nichtsnutziger, mit Schicksalen und unerhörten Begebenheiten unterhaltender Erzählungen ist so weit fernab des Gebräuchlichen, dass dieses um so selbstverständlicher erscheint. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um einen widerlich brutalen Thriller oder den Liebesroman aus der Bahnhofsbuchhandlung handelt, das Unwahrscheinliche als das Gefährliche oder unerreichbare Schönheit auftritt. Dieser Eskapismus söhnt sich in beiden Fällen mit der vermeintlichen Richtigkeit der gegebenen Verhältnisse aus.

Der Sprachgebrauch ist dabei meist wuchtig, aber einfallslos. Wichtig ist, was erzählt wird, deshalb muss verständlich und nicht fordernd geschrieben werden. Dafür bietet sich aufgehübschte Alltagssprache an: Ein in dieser vorgetragener neuartiger Einfall versetzt das Phantastische dorthin, wo sich die Leser zu befinden glauben. Es wird in ihre Richtung geschrieben, immer ihre Wirklichkeit im Blick.

Wenn hingegen Sprache in unüblicher Weise benutzt wird, braucht es keine aufwühlende Story oder Katastrophen. Der Realität wird nichts Unwirkliches gegenübergestellt, sie selbst wird relativiert. Das Absonderliche ist nicht be-, sondern steht geschrieben und was es mit uns anstellt, uns bereitet, lässt sich mit den Worten „Unterhaltung“, „Amüsement“ oder „Spannung“ nicht mehr fassen.

Kellerräume, bunte Lichter, Brillen: Was fehlt, sind Untertitel. Doch genaues Hinhören lohnt.

bessies_sanktDann zählt nicht die Idee, sondern der Stil. Bei „Sanktionen Im Schutz“, dem zweiten Album der Bessere Zeiten, finden sich keine Geschichten, nichts, was uns im Sinne einer Erzählung anrühren könnte. Zeilen wie „Ein gleißender Feuerball / auf Höhe Fulda ist kein Angebot“ (aus dem Stück „Sanktionen Im Schutt“) entrauben ein geläufiges Wort wie „Angebot“ seiner üblichen Bedeutung und bewirken so die Frage, was es denn nun sei, wenn es eben kein „gleißender Feuerball auf Höhe Fulda“ ist. Wie auch „noch etwas Liebe abzuleisten / noch etwas Freundschaft delegieren („Krautzungen“) verursacht solch eine ungebräuchliche Wortgruppe eine Verwirrung, die sich, anders als eine Geschichte, nicht abnicken lässt. Wir werden mit ihr allein gelassen, eine Interpretation „Ja, so ist es leider, Liebe und Freundschaft sind oft nicht mehr als zweckgebundene Tauschhandlungen“ ist zwar möglich, wird aber nicht als Aussage, die bejaht oder abgelehnt werden kann, dargeboten.

So wird es schwer, sich aus dem Bauch heraus auf die Lieder einzulassen. Ohne eigene Beteiligung bieten sie keine Botschaft, keine nachvollziehbare Befindlichkeit an. „Hier ein Schamane der Weltintelligenz / dort ein Miststück der Kunstexzellenz / Das letzte Nest „Verweigerung im Ausstand“ / und die unbezahlbaren Erfahrungen im Ausland“ („Wir Haben All Das Für Dich Zerstört“), wirkt zwar polemisch, nachvollziehendes Mitfühlen ermöglicht es aber nicht. Andere Stellen wie „Wenn du niemanden willst / der keine Löcher für dich reißt / wir sind sein Geist“ („Wir Sind Der Geist“) bieten ein „du“, „wir“ und sogar „niemand“, aber keinen zur Identifikation dienlichen Anhaltspunkt.

Auch „Was ohne Stütze in sich zusammenfällt / ist dann die andere Art Freizeit als ungeklärtes Verhältnis / erlebnisarme Nächte im Biwak, / das schnöde Bildmaterial / und die freiflottierende Folgemadonna“ (wieder „Wir Haben All Das Für Dich Zerstört“) lässt sich nicht erklären. Wir werden daran und daraus nicht schlau werden, wir haben es mit „Krautzungen“ aus dem gleichnamigen Stück zu tun, denn „Überflüssige Gebiete wie Krautzungen / bieten alles an / decken alles ab“.

Das Fehlen eines Inhaltes mit offenbarem Sinngehalt oder einer vorgeschlagenen, womöglich auch nur angedeuteten Erläuterung ist nicht ansprechend. Was wir hören, vermag auch ohne uns zu existieren und bedarf keiner Bestätigung. Wir werden daran erinnert, dass die Welt hinter den Grenzen unserer Wahrnehmung nicht endet. Die Sprache wird im Delirium gehalten, der Eskapismus einer Identifikation mit einem oder mehreren Protagonisten unmöglich gemacht. Was von dieser Mischung aus Expressionismus, Cut-Up und Grusel hängen bleibt reicht nicht aus, um sich daraus eine Meinung zu bilden. Mit der Verständlichkeit verschwindet hier auch das Selbstverständliche.

Damit laufen Bessere Zeiten Gefahr, den „Was soll das? So etwas kann ich auch!“ sagenden Menschen einen Anlass zur Frage „Soll das Kunst sein?“ zu bieten – wobei solchen Kunst als etwas gilt, das eigentlich ja gar nicht notwendig sei und deshalb nicht recht ernst genommen werden könne. Sie werden die Gebrauchsanweisung vermissen und ihre Irritation angesichts des „gottgrotesker Faltenmann“ („Neubaugasse Schauprozess“) als störenden Reiz empfinden, glauben, nur weil sich Bessere Zeiten nicht festlegen lassen, läge ihnen nichts am Herzen.

Das wäre ein großer Irrtum. Sie vermeiden die Beliebigkeit des universellen „Du fehlst mir“, „Wir lieben uns“ oder „Wir lieben uns nicht mehr“, die Funktionalität mitteilbarer Erlebnisse nicht aus dem Selbstzweck der Ablehnung, sie haben anderes zu sagen. Ihre Texte mögen nur selten nachvollziehbar sein, beliebig sind sie keinesfalls, dafür ist die Atmosphäre des Albums zu stimmig. Es selbst ist mehr eine Handlung als die Behandlung bestimmter Themen, befasst sich über das Mittel der Sprache mit dem Möglichen, nicht Gegebenen und bietet damit weitaus mehr als das übliche Kunsthandwerk, auf das deutschsprachige Popmusik meist leider beschränkt wird.

„Sanktionen Im Schutt“ ist via All Rock’n’Roll Speeds Up Records / ZickZack erschienen.

Ein Kommentar zu “Die Krautzungen der Bessere Zeiten”

  1. […] Was aber bekommen wir? Die Bessere Zeiten, mit großem „B“ und ohne „n“. Schmollen wir deshalb? Mitnichten. Bessere Zeiten sind nämlich eine Band, über deren bereits am 01. 06. 2012 erschienenes Album „Sanktionen im Schutt“ ihr euch an verschiedenstes Stellen informieren könnt und solltet. Zum Beispiel hier. […]

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