ChromaticsKill For Love

Hier hätte jetzt stehen können: „Kill For Love“ ist eine Platte voller Hits, Hits, Hits. Doch Chromatics haben sich dagegen entschieden. Nur eines der konsequenten Statements, mit dem das Quartett aus Portland auf seinem vierten Studioalbum seine künstlerische Überlegenheit demonstrieren will.

Selbstverständlich gibt es sie, die Momente markanter Melodien und großer Refrains. Der im Oktober veröffentlichte Titeltrack etwa, der sich seitdem hartnäckig in den Ohren der Szene festsetzt, erfüllt alle Anforderungen an einen gelungenen Synthie-Popsong. Midtempo, sauberer 4/4-Drum-Machine-Backbeat, die Fröhlichkeit von Dur, die mit der Gleichmütigkeit in Ruth Radelets Stimme und den hoffnungslosen Texten bricht. Vom frühen Klang der Band ist dabei kaum mehr etwas zu spüren. Nur Gitarrist Adam Smith hat die 2001er Ursprungsbesetzung überdauert, schon der Wechsel zum Label Italians Do It Better vor fünf Jahren markierte einen Wendepunkt in Chromatics Soundprofil und was damals bereits mit „Night Drive“ begann, setzt sich auf „Kill For Love“ folgerecht fort: An den Punk der Gründungsjahre erinnern nur noch einsame Gitarrenreste, sämige Keyboards und verhallte Beats geben dem neuen Werk ein verruchtes Flair.

Im gelungenen ersten Drittel versammeln Chromatics all ihre Singles, danach sind es nur gelegentliche Einzeltitel, die herausstechen: Der Synthie-Pop von „At Your Door“ beispielsweise, der klingt wie ein glattproduzierter Ariel-Pink-Entwurf mit klassischer Strophe-Refrain-Struktur. Oder „The Page“, wo es heißt „You’re like the pages of a book I’ll never get to write“: Es sind düstere E-Gitarren, die hier zuerst das Motiv einführen, der Gesang nur das schwache, hilflose Echo einer Schicksalsgläubigkeit, die dem Album seine inhaltliche Tiefe verleiht. In den zurückgenommenen Beats findet das Introvertierte seinen Ausdruck. „Kill For Love“ entbehrt jeder Form von extremer Dynamik: Betonung ergibt sich durch unbeirrbare Wiederholung. Sie wird auf eineinhalb Stunden Gesamtlänge als vielleicht wichtigstes Stilmittel zelebriert. Denn – und hier kommt das „Aber“ zu den Momenten toller Popentwürfe – zwischen den Hits stehen ausgedehnte Post-Punk-Würdigungen und instrumentale Interludes, die die Zahl der Titel auf insgesamt 17 erhöhen. Chromatics feiern das Repetitive als Methode, um den Hörer mit dem ästhetischen Genuss der Entfremdung zu konfrontieren.

Diese bleibt Chromatics‘ einziges und leider wenig überzeugendes Argument dafür, kein 30-minütiges Hit-Album abgeliefert zu haben (obwohl aus dem Rohmaterial ganz sicher ein solches hätte werden können). Cineastisch sollen sich warme Celli im Instrumentalstück „The Eleventh Hour“ in der Strukturlosigkeit vereinzelter Glockensynthies verlieren. Auch das 14-minütige Ambient-Finale hat große Ambitionen, das Profil des Albums zu schärfen. Aber der Versuch, die Musik zum Bild in einen Albumkontext einzufügen, zerstückelt das Gesamtwerk. Die Atmosphäre, die den Hörer auffordern will, eigene Assoziationen zu produzieren, verläuft zu oft im bedeutungslosen Nichts.

Was Chromatics vom Gros der Synthie-Pop-Künstler aus der Jetzt-Zeit differenziert, ist ihre Liebe zum manuellen Musikmachen ohne Presets und Konservensounds. Produzent und Bandmitglied Johnny Jewel vermeidet all zu vieles Loopen, ist „kein Fan von Pedalen“, wie er es formuliert. So klingt nichts jemals gleich, weil jede Taste immer wieder neu von Hand angeschlagen wird. Damit erfährt auch Horrorfilm-Mastermind John Carpenter seine Huldigung als Vorbild: Chromatics benutzen wie er Vocoder und Originalinstrumente der frühen 1980er. Die Drum Machines und Keyboards von damals erheben „Kill For Love“ zu mehr als einer Reproduktion: Das Vinyl-Knistern in „Birds of Paradise“ verstärkt zusätzlich den Effekt, eine Reminiszenz an den reizvollen Gedanken des zeitlichen Stillstands, der in dem Wunsch, das Damals zu konservieren, zu resultieren scheint.

Über die Angst, dass die Zeit sie doch überholt, trösten sich Chromatics unterdessen mit dem Glauben an die Unsterblichkeit des Rock’n’Rolls hinweg – eine Botschaft, die sich in der Wahl des Openers manifestiert. Am Anfang steht das Neil-Young-Cover „Into the Black“, das schon 2009 fertig produziert war und zum Schlüsseltrack des Albums wurde: „I’ve been sitting on it this whole time because we needed to find other songs that’d go with it“, sagt Jewel. Davon, dass sich die Jahre des Songschreibens gelohnt haben, zeugen die Hits. Aber „there’s more to the picture than meets the eye.“

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Label: Italians Do It Better

Referenzen: John Carpenter, Desire, Blouse, Glass Candy, Riz Ortolani

Links: Facebook | Label

VÖ: 28.03.2012

Ein Kommentar zu “Chromatics – Kill For Love”

  1. Mein Hauptproblem mit dem Album ist wirklich die Struktur: Dass auf der ersten Hälfte fast all die knackigen eingängigen Popsongs sind und die zweite voller instrumentaler, atmosphärischer, beatloser Stücke ist, die in der Summe doch arg langatmig werden.

    Ist zwar keineswegs perfekt so, aber wenn man als Trackliste ganz primitiv die Songs der 1. & 2. Hälfte abwechselt (also Track 1 -> 9 -> 2 -> 10 … geht natürlich schlecht mit Vinyl), fließt das Ganze schon ungemein besser.

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