ItalHive Mind

Was ist so attraktiv an Musik, die in einer Außenseiterrolle positioniert wird? Ist es cooler Elitismus, wenn man sich mit The Weeknd vom kommerziellen R’n’B der „Masse“ abgrenzt? Ist es für Unerfahrene weniger einschüchternd, sich einem Genre mit jahrzehntelanger Tradition zu nähern, wenn ein Ansatz gerade den Bruch mit solchen Konventionen verspricht?

Auch an die ersten Veröffentlichungen von Ital konnte man, wie auch an die anderen Veröffentlichungen auf dem 100% Silk-Label, solche Fragen stellen. Gerne wurden diese als eine Traditionalisten entgegengestellte Außenseiter-Interpretation von House-Musik dargestellt, die von ehemals im Noise-Experimentalbereich Operierenden einen eigenen Unschärfestempel aufgedrückt bekam. Punks, die den Schritt in die Disco wagen, frischer Wind ins verstaubte Haus, das ist eine attraktive (und für manch eingefleischte Genrefans provokative) Erzählung – doch darf man sich anhand des Schaffens von Daniel Martin-McCormick alias Ital fragen, ob diese vermeintliche Lagertrennung nicht bloß als zwei Seiten einer einzigen Münze gesehen werden kann.

Gerade in Martin-McCormicks ehemaliger Heimat Washington D.C. sind und waren Symmetrien von Art-Punk und House keine Seltenheit, wenn z.B. Konzerte seiner Band Black Eyes in House-Partys übergingen, oder das Duo Protect-U den Wechsel vom Post-Hardcore seiner vorherigen Band A Day In Black And White zur retroaffinen Elektronik des Future Times-Labels vollzog. Analog zu ihnen beschrieb auch Ital jüngst in einem Interview den kreativen Schaffensprozess im rein Elektronischen mit „it’s only a couple of subtle tweaks of process and focus, and use a different set of tools, and it transfers over pretty easily. A lot of the same ideas are still at play.“ Umgekehrt illustrierte letztes Jahr die Detroiter Garage-Institution The Dirtbombs punk-elektronische Verwandschaft und geschichtliche Verbundenheit mit „Party Store“, auf dem sie Heimatklassiker wie „Sharevari“ im Maschinen emulierenden Beat coverte.

Wenn Punk gerade durch seine rohen, dilettantischen DIY-Qualitäten eine Sonderform der Rockmusik ist, so ist das hier Dilettanten-Dance, geprägt von simpler Soft- und Hardware: Martin-McCormick nutzt unter anderem das wenig professionelle Gratis-Tool Audacity, mit dem er zu Beginn sogar seine eigenen Zungenschnalzer als Beat-Element sampelte, während sich der Facebook-Stream seiner jüngsten Live-Auftritte nicht zum ersten Mal liest, als wäre sein Equipment mit Kaugummi und Klebeband zusammengehalten – und zur Not dann auch mit geliehenen Instrumenten ersetzbar.

Mit diesem Hintergrund wirkt Itals Debütalbums „Hive Mind“ weniger wie ein Außenseiter denn ein Verwandter, wenn es die dubbigen Tiefenexplorationen Mi Amis in meditative Körpermusik überführt. Rezitierte Martin-McCormick auf „Steal Your Face“ noch Whitney Houston mit seiner eigenen Stimme, zitiert er nun via Sample direkt ihren Gesang und baut über eine endlosgeloopte Lady Gaga das Eröffnungsstück „Doesn’t Matter (If You Love Him)“. Die Körperlichkeit des Grooves hat sich auf housige Maschinenbeats und -bassläufe verlegt, statt von scharfen Gitarreneinschnitten wird er – ähnlich wie in Mi Amis elektronischen B-Seiten und Remixen – von psychedelisch verhangenen Synths und gelegentlichen verstrahlten Samples durchzogen.

Ähnlich wie zuvor, nur eben mit anderen Mitteln sucht Ital ekstatische Risse in der repetitiven Tiefe. So driftet im Bauch des finalen „Floridian Void“ eine spacig-eingängige Melodie ein und aus, während darüber eine Flippersoundbank aus grellbunten Sternschnuppen abgefeuert wird. Glaubt man sich im glitchig-verschleppten Droner „Privacy Settings“ (der einzige Unter-Sieben-Minüter) in Abwesenheit eines Beats kurz auf ein Type-Album verirrt zu haben, pumpt das Holzpercussion-unterfütterte „First Wave“ anschließend – dank der im Gegensatz zu manch vermatschter 100%-Silk-Veröffentlichung satt ausgeformten Produktion – nahezu clubtauglich. Wäre da nicht seine Leitmelodie, die in fluktuierender Qualität plötzlich verschliert, als wäre bei einem Audiostream mittendrin die Bitrate runtergestellt worden. Es ist dieses Hin- und Herakzentuieren zwischen Körper- und Kopfmusik, das „Hive Mind“ seine betörende Unstimmigkeit verleiht. Egal, von wo man sich ihm annähert.

72

Label: Planet Mu

Referenzen: Omar-S, Mi Ami, Maria Minerva, Hieroglyphic Being, Cluster, Protect-U

Links: Facebook | Albumsampler

VÖ: 17.02.2012

Ital – Floridian Void

Einen Kommentar hinterlassen

Platten kaufen Links Impressum