Field MusicPlumb

Wir fantasieren: Eine Lichtung mitten im Wald irgendwo im britischen Niemandsland. Von weltlichem Treiben keine Spur. Es ist tiefe Nacht und wir sitzen am Lagerfeuer. Puh, ist das kalt! Da kommen selbst die verzehrenden Flammen nicht gegen an, wir müssen entweder so nah ans Feuer gehen, dass unsere Haare versengt werden oder wir müssen frieren. Das Blattgebälk rauscht so merkwürdig und mysteriös, denn der Wind weht kalt und rau. Oder kommen die Geräusche gar nicht vom Wind? In dieser Gegend des Waldes sollen doch auch seltsame Kreaturen ihr Unwesen treiben, Raubtiere oder gar, noch gruseliger, Waldgeister, gegen die nur dunkle Magie oder fauler Zauber helfen.

Auf jeden Fall: Die Geschöpfe der Nacht treiben ihr Unwesen und auch das Feuer wird bald erlöschen. Wir sitzen beieinander und schauen und hören lieber nicht genauer hin. Wir hören nur diesem komischen Kauz zu, den wir am Waldesrand aufgegabelt haben, dessen Mund nach starkem Schnaps stinkt und der anscheinend viel – zu viel – erlebt hat. Ein Märchenonkel und seine kauzigen Geschichten von einer Welt, die seltsam und verschwommen mehr ängstigt als umarmt. (Natürlich: Musik ist mehr als Kuscheln und wer umarmt werden will, der suche sich Arme.)

Field Music aus Sunderland, im Kern bestehend aus den Brüdern Peter und David Brewis, sind der schräge Geschichtenerzähler und „Plumb“ ist sein viertes Werk. Die Geschichte beginnt (geigen-) verhangen und zart klopfend, ehe das Riff von „Start The Day Right“ einsetzt und die wilde Reise in die Zwischenpausen von Songs, Effekten, Emotionen beginnt. Der Erzählton ist getragen von Piano und Schwermut, die Stimmen der Brewis-Brüder hallen aus luftigen Höhen herunter, wo ein Meer aus Streichern und schallende Bläser lauern („Sorry Again, Mate“). Nicht immer ist dem Pathos und der angestrengten Andersartigkeit des alten Manns zu trauen, zu viel Gehabe ist in seiner Aufführung: Trinkhalmblubbereien? Falsett-Funk? Soll das ernst gemeint sein („A New Town“)? Wie raubeinig der alte Mann und seine Gitarre auftreten … ist es plötzlich 1970 geworden („Choosing Sides“)? Wenn die Spannung seiner Erzählung sich verdichtet, die Mollakkorde dunkel schimmern, dann hören wir ihm gebannt zu und werden von Gänsehaut heimgesucht, wenn auch nur kurz („A Prelude To Pilgrim Street“).

Er erzählt von Zeiten, in denen das Eisen der Guillotine noch sägte, was für Zeiten … Ist der Typ alt! Oder doch nur weise („Guillotine“)? So getragen und mit dunkler Mimik finstert er die Tragik zu erschütternder Dramatik zusammen, so feierlich („So Long Then“). Sogar Beach Boys-A-Capella-Einlagen werden vollführt („How Many More Times?“)! Wir müssen seinen seltsamen Ausführungen aufmerksam zuhören, wollen wir keine Wendung und keinen delikaten Balanceakt verpassen, so versiert und ambitioniert ist das Gesamtkunstwerk ‚Komischer, Geschichten erzählender Waldkauz‘ … (Stichwort: Art-Rock). Und so wird es auch schnell anstrengend und der leichte Geist weiß vor lauter narrativen Tricks und ausgefeilten Effekten oftmals nicht, wie ihm der Sinn steht. Da ist die Gefahr, sich auf andere verführerische Dinge wie das Rauschen der Blätter zu konzentrieren, auch sehr groß. Ist man aber einmal „in the mood“ und in der Handlung drin, finden sich tausend Schönheiten und viel Sinniges. Aber: Wer will schon jede Nacht auf einer verwunschenen Lichtung im dunkelsten Wald einem geil entertainenden Landstreicher zuhören und sich gruseln?

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Label: Memphis Industries

Referenzen: XTC, The Left Banke, The Kinks, Syd Barrett, The Futureheads

Links: Homepage | FacebookLabel

VÖ: 17.02.2012

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