Andy Stott: Techno aus der Anderswelt

Es gibt David Guetta und es gibt andere. Der eine ist mit sieben Singles in den Top100-Charts, die anderen in den wirklich guten Klubs. Andy Stott ist einer von ihnen. Seit Jahren schon tobt er durch den englischen Untergrund, bevorzugt in seiner Heimatstadt Manchester. Vor Jahren noch war er mit aggressiven Dubstep-Beats unterwegs, neuerdings entdeckt er die Düsternis für sich.

Im Mai veröffentlichte er sein Minialbum „Passed Me By“, das zu Recht von der Kritik gefeiert wurde. Verbindet er darauf doch düstere House- und Techno-Abstraktionen mit grollenden Atmosphären und spannenden Untiefen. Entschlackt und trotz allen Minimalismus‘ so unglaublich wirkmächtig, was nicht zuletzt an den superben Vorlagen liegt, die er schwarz anstreicht und kompromisslos beklemmend seinem Würgegriff zuführt. Der Puls von „Dark Details“ mit den stiebenden Klicks zeugt von Lebendigkeit, aber das ist nur ein Nachhall. Spätestens der verrauschte Nachfolgetitel mit seinen gespenstischen Vocals, die eine Qualität des Grausamen erreichen, macht klar: Hier handelt es sich mitnichten um Musik des Diesseits. Es ist dämonischer Techno, steril und zugleich unendlich dreckig.

Die Motiventwicklung bleibt dabei das ganze Album über vage. Ein kurzes Vorbeihorchen wird Andy Stott nicht gerecht, denn er lässt den Klängen ebenso viel Freiraum wie dem Zuhörer: Nur wenige Stücke sind programmatisch. Jeder darf interpretieren, erkennen, verwerfen. Andy Stott schwingt sich auf, der Konsenskünstler des Jahres für Kopfhörertechno zu werden.

Seine neue EP „We Stay Together“ erscheint in Deutschland Anfang November, ist aber inzwischen vollständig auf Soundcloud abspielbar. Konsequent wird die Entwicklung vorangetrieben, noch mehr Ambient, noch mehr Drone, noch weniger Samples und Melodien. Unwirklich und entrückt, endlos entfernt und doch so nah. Es mutet paradox an, wie das Zusammenspiel von flächigen Ambienten und stupide metronomisierten Vier-Viertel-Takten Stimmungen erzeugen kann, die grundsätzlich so weit weg vom konventionellen Pop-Output erscheinen, wie nur irgend möglich. Intimes Gleiten und sphärischer Absturz sind die Parameter, die Andy Stott zu faszinieren scheinen. Die dabei gleichermaßen repetitiv und unbarmherzig sind.

Diesen Klagelied-Modus befanden die Kollegen von Pitchfork schon zur letzten EP als Fortführung von „Death Disco“, weil diese technoiden Entwürfe immer ein wenig weltfremder waren als die der Kollegen. Für seine neue EP filtert er das Menschliche, das Schöne, das Eingängige und Wundersame noch ein wenig mehr heraus. Der Opener „Submission“ betört auf irreführende Weise, ist seltsam entfremdet und zerfällt zunehmend. Ein Track wie Trockeneis: Humorlos, beklemmend, aber auf eine gewisse Art auch wunderschön.

Der Rest erinnert an harte Arbeit. Industrielle Beats und andere Dunkelklänge, oftmals in Kontexten, die nur zusammenhanglos arrangiert werden, im inneren chaotische Zustände offenbaren, jedoch von dem steten Beat zusammengehalten werden. „Posers“ ist ein knallharter Technobrecher. Staubtrocken. Mit einem Grollen ausgestattet, das den Gegenden entstammt, in denen die tödlichen Gefühle geboren werden.

Von da an ist klar: „We Stay Together“ will nicht versöhnlich sein, will keine Brücken bauen. Der Titel mag letztlich sarkastisch klingen, der Inhalt ist es nicht. Hier werden Beats durch alte Industrieanlagen gejagt, vom inneren und äußeren Zerfall genährt, bis zur physischen und psychischen Erschöpfung gepeitscht. Orientierungslos lässt diese EP den Hörer (oder die Hörerin) zurück, dabei kickt „Bad Wires“ noch fast optimistisch, auch wenn dort bereits der nervöse Grundton spürbar ist, der alle Tracks wie ein roter Faden durchzieht. Gerade „Cherry Eye“ mit seinen dumpfen U-Boot-Geräuschen und einer unheilvollen Ästhetik nährt dann den Umstand, dass sich hier der Techno den düstersten Gefilden anvertraut, die je ein Mensch betreten hat.

„We Stay Together“ erscheint am 04. November via Modern Love; die noch bessere EP „Passed Me By“ ist bereits erschienen.

2 Kommentare zu “Andy Stott: Techno aus der Anderswelt”

  1. Neuer Song. Ebenfalls fantastisch. http://pitchfork.com/reviews/tracks/14306-numb/

    Und überraschenderweise noch dieses Jahr ein neues Album – da freue ich mich drauf!

  2. […] der immensen Körperlichkeit dumpfer Beats und ätherischer Schwerelosigkeit auftun. Während die letzte EP noch deutlich knochiger und brettharter war, versucht er auf seinem aktuellen Werk, dem […]

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