Nathan (III): Parklife

Nathan (III): Parklife

„Nathan … ist das ein Spitzname?“

Ah, da war sie wieder, diese Frage. „Ähem, nein, kein Spitzname, ich heiße wirklich so. Der Name bedeutet in etwa so viel wie „Geschenk Gottes“ und als das sahen mich wohl meine Eltern an … und es klingt schön, fanden sie.“

„Oh, ja, er klingt schön, man muss bloß gleich an ‚Nathan‘ denken, an ‚Nathan den Weisen‘, von Schiller, das hatten wir in der Schule damals.“

Erst die Frage, dann die unvermeidliche Assoziation und dann auch noch der falsche Autor. Es wäre aber unklug, sich nun übermäßig zu erbosen. Schließlich lernte Nathan alle bis auf Lisa, die ihn hierher geschleppt hatte, gerade erst kennen. Da mag man sich nicht gerne als Besserwisser aufspielen, nicht in einer Runde, die nur aus jungen Frauen bestand – wie war sie überhaupt darauf gekommen, ihn mitzunehmen? Ihm behagte der Gedanke nicht, es sei am Ende Mitleid gewesen. Schon komisch, die ganze Situation. Was soll’s, auf jeden Fall machte all das hier es unerlässlich, sich Sekt nachzuschenken und einen weiteren Schluck zu nehmen. Schiller … Kein Wunder, wenn man da schnell und viel trank.

„Äh … ja, ‚Nathan der Weise‘, Ringparabel und so etwas, hatten wir auch, ist ganz gut, was Lessing, also, das war Lessing, nicht? Jedenfalls schon nicht verkehrt, was er sich da ausgedacht hatte, wobei er ja einfach davon ausging, man könne nur religiös sein … Aber der Name geht schon klar, meine Eltern haben’s nicht böse gemeint.“
Sein Gegenüber nahm diese Äußerung zum Anlass, es sich auf einem Allgemeinplatz bezüglich des Glaubens bequem zu machen. Jeder sei doch irgendwie religiös, meinte sie, und man müsse ja nun nicht an einen Gott glauben, aber eine höhere Kraft und so weiter… Aua. Ist ja ganz gut, wenn sie es bequem hat, aber das wäre dann die zweite genutzte Gelegenheit, sich in ein unvorteilhaftes Licht zu setzen. Bloß schnell weg, also thematisch. All das war aber noch kein Grund, schlecht von einem gut aussehenden Menschen zu denken, nicht?

„Ja, mag sein, so ein diffuses Gefühl haben sicher viele. Ähem, und Dein Name, also, wie heißt Du?“
„Annabelle, der ist ein wenig gewöhnlicher.“
„Oh, sehr schön, nicht ohne Grund, ist ja sehr klangvoll, melodisch. Gefällt mir.“
„Naja, ich werde am liebsten einfach ‚Anna‘ genannt. ‚Annabelle‘ klingt ein wenig zu sehr nach Prinzessin.“
„Wärst Du nicht gerne Prinzessin, oder zumindest mal gewesen?“
„Oh, nein, eher nicht, Kleider mit langen Schleppen tragen, furchtbar.“

„Och, ich wäre gerne eine Prinzessin …“ Lachte sie? Nein. Schade. Dabei wäre es nun doch ganz gut gewesen, mal zu lachen … so gemeinsam … Doch halt, warum eigentlich? Was soll das? Augenscheinlich handelte es sich bei ihr um eine zwar sehr hübsche, aber doch eher weniger, nun ja, weniger … also, Schiller mit Lessing verwechseln … kann das jedem mal passieren? Klar … Ach, Konversation betreiben, das war doch hart. Ein Schluck Sekt … So, war immer noch hart. Worüber denn reden? Mochte er denn mit ihr reden? Er wollte auf keinen Fall nicht mit ihr sprechen, warum aber sollte das denn bedeuten, ein Unterhaltung wäre wünschenswert … Nicht so viel nachdenken. Ein Schluck Sekt, die Sonne genießen, den Park mögen, einen ausgedienten Friedhof nicht unweit der Schanze, voller schöner Menschen, bis zur Dürftigkeit belanglos zwar, aber schöne Menschen …

„Was hörst Du so für Musik?“

Hatte er richtig gehört? Diese Frage … das war doch so eine „Zum Kennenlernen frage ich nach Hobbys, die alle Menschen teilen“-Frage, verdammt, aber Musik war doch kein Hobby … was also sagen?

„Ähem … im Moment mag ich Huah! Sehr gerne, eine alte Hamburger Band, nicht so ‚Hamburger Schule‘-mäßig, die gab’s ja eh nie, nicht Diskurspop, was auch immer das genau sein soll …“ nicht abdriften, am Ende interessiert sie’s ja doch nicht so sehr. “Ja, die haben sehr schöne Lieder gemacht, ihr erstes Album ‚Was machen Huah! Jetzt‘ genannt, Bernadette La Hengst war da, und Knarf Rellöm … unter anderem. Kennst Du die?“

„Nein, aber klingt interessant. Was haben die so gemacht?“

„Sehr humorvolle Sachen, meist so als Lala-Pop verpackt und meist Liebe und den ‚Scheiß Kapitalismus‘, so hieß ein Album von ihnen, behandelnd. Und Du, was magst Du so?“
„Ach, eher so R’n’B und Soul, oder ein bisschen HipHop … das ist so die Musik, zu der ich tanzen kann. Oder House, halt so Mädchenmusik.“
„Mädchenmusik, sehr gut … ähem … kennst Du Guther? Sicher nicht, oder? Nein, ähem, also, erschienen auf Morr Music, und deren Sängerin, Julia Guther, designt auch ganz tolle Sache, die jedenfalls sagte mal, sie würden Mädchenmusik machen … die Musik würde gerade richtig gut hierher passen … also, nicht weil außer mir nur Mädchen da sind, sondern zum Park, zur Sonne und so …“

Von unbekannter Musik sprechen, ohne sie zu hören, das ging nicht. Genau darin aber liegt das Problem: Was tun, wenn es kaum anderes gibt, über das man zu sprechen vermag und kaum jemand kennt, was man mag? Da sitzen und trinken, schauen, wie sich Menschen abwenden, früher oder später.

Oder aber, wie Annabelle es jetzt tat, wie sie früher oder später lieber mit bekannten Menschen über ebenfalls bekannte Personen sprechen. Eine schweigsame halbe Stunde später machte sich Nathan betrunken auf den Heimweg.

4 Kommentare zu “Nathan (III): Parklife”

  1. Jan sagt:

    Liest sich wirklich gut. Nur das Musik-einbinden könnte etwas subtiler geschehen (wie beim ersten Song), und das Ende kommt auch etwas plötzlich, bzw der letzte Satz. Aber sehr gelungen sonst!

  2. Lennart sagt:

    Mhm, joah, subtiler… da hast Du nicht unrecht, da ließe sich auf jeden Fall noch etwas feilen. Und das Ende…. mhm, nennen wir’s mal einen Cliffhangar (-:

  3. kevin sagt:

    Gefällt mir richtig gut, die Story mit Nathan! Bin da schon gespannt, wie sich das fortentwickelt.

  4. […] und damit den Rausch verdünnen. Denn so schlimm, dass Nathan auf ihn angewiesen wäre, war die Parkmerkwürdigkeit dann doch […]

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